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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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enthüllte. Der Generallieutenant v. Haynau, Hassenpflugs Kriegsminister
beim Umsturz der Verfassung, dermalen Höchstcommandirender, war besonders
stark angegriffen. Unter Anführung von Thatsachen wcir ihn vorgehalten,
daß er als Kriegsminister das kurhessische Offiziercorps der Hassenpflugschen
Politik frivol'geopfert habe, Hassenpflug selbst habe sich im Wilhelmsbad ge¬
äußert: die Sache, um die es sich handele, sei so wichtig, daß dabei nicht in
Betracht komme, wenn auch zweihundert kurhessischc Offiziere zu Grunde gingen.
Es war weiter dem Generallieutenant v. Haynau der leider nur zu wahre Vor¬
wurf ins Gesicht geschleudert, daß er sich als Oberbefehlshaber ungebührliche
Ehrenkränkungen gegen Offiziere erlaubt und dann der geforderten Genugthuung,
unter Berufung auf eine erschlichene Allerhöchste Ordre, aus F.eigheit
sich entzogen habe:c.

Die Schrift machte eine unbeschreibliche Wirkung, vorzugsweise unter den
Offizieren; die alten noch nicht vernarbten Wunden bluteten von neuem, bis
in die untersten Volksschichten hinab erstreckte sich die Aufregung. In öffentlichen
Localen wurde die Broschüre vorgelesen und verschlungen. Gerade die eigenthüm¬
liche moralphilosophische Sprache schien einen besonderen Eindruck zu machen.
Es war brennender Zunder an ein Pulverfaß gelegt.

Der interimistische Kriegsminister Kellermann macht dem Kurfürsten Mel¬
dung, der Kurfürst verfügt, Haynau sollte den anonymen Verfasser öffentlich
auffordern, feinen Namen zu nennen. Diese Aufforderung ward auch in "acht
der gelesensten Zeitungen" abgedruckt. Sie hat nicht wenig dazu beigetragen,
die Aufmerksamkeit des Auslandes zu erregen.

Man rieth hin und her nach dem Verfasser. Die "Getreuen" und die
"Mucker" glühten vor Zorn. Es wurden Veranstaltungen eingeleitet, um den
Chef und Meister zu retten. Ein gewisser Herr wollte eine Art Bescheinigung
des gesammten Offiziercorps zu Gunsten Haynaus zu Stande bringen. Aber
der Plan scheiterte an dem verständigen Sinn einiger höheren Offiziere, worunter
sich sogar "Getreue" befanden. Dann wurde von derselben Seite eine
Ehrenrettung in der Kreuzzeitung und durch sie in der Kasseler Zeitung ver¬
sucht. Als "Thatsache" ward hingestellt, "daß General v. Specht sowie das
hessische Offiziercorps überhaupt das Dienstverhältniß zu Generallieutenant
v. Haynau unbedenklich sortgesetzt und damit für eine vollständige Erledigung
jener Conflicte Zeugniß abgelegt hat." Und doch mußte dem Verfasser bekannt
sein, daß die überwiegende Mehrzahl der Offiziere mit ihrem durch die dienst¬
lichen Verhältnisse gebotenen Stillschweigen keineswegs eine Billigung hatte
ausdrücken wollen. Nicht weniger bekannt mußte ihm sein, daß v. Specht in
Folge eines in die Hand des Kurfürsten abgelegten Versprechens absolut ver¬
hindert war, in dieser Sache irgend etwas zu thun. Erst also sollten die Offi-
ziere mittelst des Dienstverhältnisses genöthigt werden zu Gunsten Haynaus zu


enthüllte. Der Generallieutenant v. Haynau, Hassenpflugs Kriegsminister
beim Umsturz der Verfassung, dermalen Höchstcommandirender, war besonders
stark angegriffen. Unter Anführung von Thatsachen wcir ihn vorgehalten,
daß er als Kriegsminister das kurhessische Offiziercorps der Hassenpflugschen
Politik frivol'geopfert habe, Hassenpflug selbst habe sich im Wilhelmsbad ge¬
äußert: die Sache, um die es sich handele, sei so wichtig, daß dabei nicht in
Betracht komme, wenn auch zweihundert kurhessischc Offiziere zu Grunde gingen.
Es war weiter dem Generallieutenant v. Haynau der leider nur zu wahre Vor¬
wurf ins Gesicht geschleudert, daß er sich als Oberbefehlshaber ungebührliche
Ehrenkränkungen gegen Offiziere erlaubt und dann der geforderten Genugthuung,
unter Berufung auf eine erschlichene Allerhöchste Ordre, aus F.eigheit
sich entzogen habe:c.

Die Schrift machte eine unbeschreibliche Wirkung, vorzugsweise unter den
Offizieren; die alten noch nicht vernarbten Wunden bluteten von neuem, bis
in die untersten Volksschichten hinab erstreckte sich die Aufregung. In öffentlichen
Localen wurde die Broschüre vorgelesen und verschlungen. Gerade die eigenthüm¬
liche moralphilosophische Sprache schien einen besonderen Eindruck zu machen.
Es war brennender Zunder an ein Pulverfaß gelegt.

Der interimistische Kriegsminister Kellermann macht dem Kurfürsten Mel¬
dung, der Kurfürst verfügt, Haynau sollte den anonymen Verfasser öffentlich
auffordern, feinen Namen zu nennen. Diese Aufforderung ward auch in „acht
der gelesensten Zeitungen" abgedruckt. Sie hat nicht wenig dazu beigetragen,
die Aufmerksamkeit des Auslandes zu erregen.

Man rieth hin und her nach dem Verfasser. Die „Getreuen" und die
„Mucker" glühten vor Zorn. Es wurden Veranstaltungen eingeleitet, um den
Chef und Meister zu retten. Ein gewisser Herr wollte eine Art Bescheinigung
des gesammten Offiziercorps zu Gunsten Haynaus zu Stande bringen. Aber
der Plan scheiterte an dem verständigen Sinn einiger höheren Offiziere, worunter
sich sogar „Getreue" befanden. Dann wurde von derselben Seite eine
Ehrenrettung in der Kreuzzeitung und durch sie in der Kasseler Zeitung ver¬
sucht. Als „Thatsache" ward hingestellt, „daß General v. Specht sowie das
hessische Offiziercorps überhaupt das Dienstverhältniß zu Generallieutenant
v. Haynau unbedenklich sortgesetzt und damit für eine vollständige Erledigung
jener Conflicte Zeugniß abgelegt hat." Und doch mußte dem Verfasser bekannt
sein, daß die überwiegende Mehrzahl der Offiziere mit ihrem durch die dienst¬
lichen Verhältnisse gebotenen Stillschweigen keineswegs eine Billigung hatte
ausdrücken wollen. Nicht weniger bekannt mußte ihm sein, daß v. Specht in
Folge eines in die Hand des Kurfürsten abgelegten Versprechens absolut ver¬
hindert war, in dieser Sache irgend etwas zu thun. Erst also sollten die Offi-
ziere mittelst des Dienstverhältnisses genöthigt werden zu Gunsten Haynaus zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/458>, abgerufen am 20.10.2024.