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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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ziere von allen Graden den Abschied, wahrend die "Getreuen" befördert und
mit Orden geschmückt wurden; darunter v. Haynau, der damalige Kriegs¬
minister, v> Ende, der jüngst abgetretene Kriegsminister, v. Osterhausen, der
jetzige Kriegsminister. Die übrigen Offiziere, nahezu zweihundert, wurden erst
längere Zeit in peinlicher Ungewißheit über ihr künftiges Schicksal gelassen,
und dann wurde ihnen gesagt, daß ihre Abschiedsgesuche, in welchen die Rechte
des Staatsdienstgesetzes vorbehalten waren, nicht angenommen werden könnten.
Gleichzeitig kam -- die Verfassung war ja inzwischen durch die bayrischen und
östreichischen Bajonnete gefallen, -- eine neue Eidesformel zur Anwendung.
Die Ableistung dieses neuen Eides verweigerten mehre Offiziere mit Rücksicht
aus ihren früheren Eid. Es traten aus dem Dienst Major Pfister, Haupt-
mann Renouard ?c. Auch Hauptmann Dörr hat bald darauf den Abschied
genommen. Dagegen wurde von den im November 1850 verabschiedeten
Offizieren ein Theil wieder activ, mit Rücksicht auf die veränderten Verhältnisse.
Der andere Theil blieb entlassen; darunter der Generalmajor v. Urff, die
Oberstlieutenants v. Bardeleben, v. Ochs', Goral, Bödicker, der Major Rainer,
die Hauptleute Bennecke, v. Uslar. Beß u. s. w.

Der Generalmajor v. Urfs, einer der ausgezeichnetesten und geachtetsten
Offiziere der Armee, früher von dem Kurfürsten besonders werth gehalten,
starb vor mehren Jahren auf seiner Besitzung in Hessen. Bei der Beerdigung
fanden sich Gensdarmen ein, um auf höheren Befehl diejenigen Personen zu
verzeichnen, welche es gewagt hatten, dem in Ungnade Verstorbenen die letzte
Ehre zu erweisen. Seine Söhne haben außerhalb Kurhessen Dienste nehmen
müssen.

Auch der in den Corpsgeist der Offiziere nicht Eingeweihte wird leicht er¬
messen, daß die Harmonie zwischen denjenigen Offizieren, welche sich an den
Verfassungseid gebunden gehalten hatten, und den sogenannten "Getreuen"
nicht die beste sein konnte. Erstere bildeten die starke Mehrzahl; reichlich neun
Zehntheile der Offiziere, letztere waren die Begünstigten. Die "Getreuen"
fühlten sich unheimlich; sie hatten Scheu, die ihnen verliehenen Orden anzu¬
legen, sie wurden durch einen besondern Befehl dazu genöthigt. Ein "getreuer"
Lieutenant mußte seine Versetzung zur Gensdarmerie nachsuchen, weil seine
Stellung im Regiment unhaltbar geworden war u. s. w. Zum Ueberfluß
wurde dann auch noch später durch Begünstigung und Bevorzugung der "Ge¬
treuen" dafür gesorgt, daß das unter der Asche glimmende Feuer nicht ver¬
löschen konnte.

Da erschien nun vor etwa vier Wochen eine Schrift bei Knaster in Frank¬
furt unter dem Titel "Staatsdiener und Staatsschwächen der Gegenwart",
welche in einem eigenthümlichen Gewand von staatsrechtlich-philosophischen und
moralphilosvphischen Betrachtungen die inneren Zustände der kurhessischen Armee


ziere von allen Graden den Abschied, wahrend die „Getreuen" befördert und
mit Orden geschmückt wurden; darunter v. Haynau, der damalige Kriegs¬
minister, v> Ende, der jüngst abgetretene Kriegsminister, v. Osterhausen, der
jetzige Kriegsminister. Die übrigen Offiziere, nahezu zweihundert, wurden erst
längere Zeit in peinlicher Ungewißheit über ihr künftiges Schicksal gelassen,
und dann wurde ihnen gesagt, daß ihre Abschiedsgesuche, in welchen die Rechte
des Staatsdienstgesetzes vorbehalten waren, nicht angenommen werden könnten.
Gleichzeitig kam — die Verfassung war ja inzwischen durch die bayrischen und
östreichischen Bajonnete gefallen, — eine neue Eidesformel zur Anwendung.
Die Ableistung dieses neuen Eides verweigerten mehre Offiziere mit Rücksicht
aus ihren früheren Eid. Es traten aus dem Dienst Major Pfister, Haupt-
mann Renouard ?c. Auch Hauptmann Dörr hat bald darauf den Abschied
genommen. Dagegen wurde von den im November 1850 verabschiedeten
Offizieren ein Theil wieder activ, mit Rücksicht auf die veränderten Verhältnisse.
Der andere Theil blieb entlassen; darunter der Generalmajor v. Urff, die
Oberstlieutenants v. Bardeleben, v. Ochs', Goral, Bödicker, der Major Rainer,
die Hauptleute Bennecke, v. Uslar. Beß u. s. w.

Der Generalmajor v. Urfs, einer der ausgezeichnetesten und geachtetsten
Offiziere der Armee, früher von dem Kurfürsten besonders werth gehalten,
starb vor mehren Jahren auf seiner Besitzung in Hessen. Bei der Beerdigung
fanden sich Gensdarmen ein, um auf höheren Befehl diejenigen Personen zu
verzeichnen, welche es gewagt hatten, dem in Ungnade Verstorbenen die letzte
Ehre zu erweisen. Seine Söhne haben außerhalb Kurhessen Dienste nehmen
müssen.

Auch der in den Corpsgeist der Offiziere nicht Eingeweihte wird leicht er¬
messen, daß die Harmonie zwischen denjenigen Offizieren, welche sich an den
Verfassungseid gebunden gehalten hatten, und den sogenannten „Getreuen"
nicht die beste sein konnte. Erstere bildeten die starke Mehrzahl; reichlich neun
Zehntheile der Offiziere, letztere waren die Begünstigten. Die „Getreuen"
fühlten sich unheimlich; sie hatten Scheu, die ihnen verliehenen Orden anzu¬
legen, sie wurden durch einen besondern Befehl dazu genöthigt. Ein „getreuer"
Lieutenant mußte seine Versetzung zur Gensdarmerie nachsuchen, weil seine
Stellung im Regiment unhaltbar geworden war u. s. w. Zum Ueberfluß
wurde dann auch noch später durch Begünstigung und Bevorzugung der „Ge¬
treuen" dafür gesorgt, daß das unter der Asche glimmende Feuer nicht ver¬
löschen konnte.

Da erschien nun vor etwa vier Wochen eine Schrift bei Knaster in Frank¬
furt unter dem Titel „Staatsdiener und Staatsschwächen der Gegenwart",
welche in einem eigenthümlichen Gewand von staatsrechtlich-philosophischen und
moralphilosvphischen Betrachtungen die inneren Zustände der kurhessischen Armee


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/457>, abgerufen am 20.10.2024.