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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Adel erstreckt sich jedoch der Artikel 14 der Bundesacte ebenso wenig, wie der
Bundcsbeschluß vom 24. Mai. Es liegt also durchaus keine rechtliche Nöthi¬
gung vor. die auf streng verfassungsmäßigen Weg beseitigten Vorrechte der
Ritterschaft ze. wieder herzustellen. Einer derartigen Wiederherstellung wird die
Landesvertretung voraussichtlich nickt zustimmen. Der Grund hiervon ist sehr
einfach und natürlich. Früher hat eine principielle Abneigung gegen den Adel
nicht bestanden, und die Verdienste desselben in alter und neuer Zeit, nament¬
lich auch noch bei Errichtung der Verfassung im Jahr 1831, wurden keineswegs ver¬
kannt. Aber seit den letzten Jahren hat ein Umschlag stattgefunden. Die
Führer der Ritterschaft sind der Forderung des Landes nach seiner rechtmäßigen
Verfassung nicht beigetreten; sie haben sich sogar dieser Forderung feindlick
gegenübergestellt. Der von Hasscnpflug aufgehängte Köder einer Adelskammer
war von einem unwiderstehlichen Reiz. Die Ritterschaft verfiel genau in die
Rolle des thörichten .Knaben, der den Sperling in der Hand fortfliegen läßt,
um der Taube auf dein Dach nachzujagen. Schon die einfachste Klugheit mußte
der Ritterschaft rathen, die ihr dargebotene Hand zur Wiederherstellung der
Verfassung und zur Wiederherstellung ihrer früheren Vorrechte nicht zurückzuwei¬
sen. Diese Hand ist geboten worden, und der Preis war ebenso annehmlich
als sicher. Das Anerbieten wurde zurückgewiesen, weil man sich nicht ent¬
schließen konnte, den Köder einer ersten Kammer fahren zu lassen. Und doch
mußte schon damals auch das blödeste Auge sehen, daß das Hassenpflugsche
Machwerk dem Zusammensturz verfallen sei. Jetzt, nachdem die Taube auf dem
Dach längst verschwunden ist, will die Ritterschaft den Sperling wieder ein¬
fangen, welchen sie in thörichter Verblendung aus der Hand schlüpfen ließ. Ja
sie molestirt sogar eine hohe deutsche Bundesversammlung mit langathmigen
Bittgesuchen um den Verlornen Sperling. Selbst Herr Vilmar konnte es sich
nicht versagen, noch jüngst die Ritterschaft wegen ihres Gebahrens mit Hohn zu
beweisen: "sie bemühe sich ganz vergeblich in Frankfurt; sie habe ihre Vor¬
rechte 1849 feige ausgegeben, und sich dann 1852 behaglich in die ihr zugerich/
tete erste Kammer gebettet; wo sich kein Leben zeige, trete Verwesung ein :c."
Der fromme Mann ist sehr zornig auf die Ritterschaft, weil sie nicht unbedingt
nach seiner Pfeife tanzt.

Die neueste Geschichte dieser hessischen Aristokraten sollte dem gesammten Adel
in Deutschland zum warnenden Exempel dienen. Sie zeigt recht handgreiflich,
wohin es führt, wenn sich der Adel von dem Zusammenhang mit der Nation
lossagt und seine besonderen Zwecke verfolgt. Die hessische Ritterschaft als
Corporation ist dermalen nur noch eine Pfründcnanstalt. Die Gemahlin Kaiser
Heinrichs des Zweiten, die nul'eusche Kunigunde, deren Grabmal der präch¬
tige Bau des Bamberger Doms nmsckließt. hat zur Abbüßung ihrer vielen
Sünden viel Reichsgut zu frommen Zwecken vertrödelt, darunter auch das


Adel erstreckt sich jedoch der Artikel 14 der Bundesacte ebenso wenig, wie der
Bundcsbeschluß vom 24. Mai. Es liegt also durchaus keine rechtliche Nöthi¬
gung vor. die auf streng verfassungsmäßigen Weg beseitigten Vorrechte der
Ritterschaft ze. wieder herzustellen. Einer derartigen Wiederherstellung wird die
Landesvertretung voraussichtlich nickt zustimmen. Der Grund hiervon ist sehr
einfach und natürlich. Früher hat eine principielle Abneigung gegen den Adel
nicht bestanden, und die Verdienste desselben in alter und neuer Zeit, nament¬
lich auch noch bei Errichtung der Verfassung im Jahr 1831, wurden keineswegs ver¬
kannt. Aber seit den letzten Jahren hat ein Umschlag stattgefunden. Die
Führer der Ritterschaft sind der Forderung des Landes nach seiner rechtmäßigen
Verfassung nicht beigetreten; sie haben sich sogar dieser Forderung feindlick
gegenübergestellt. Der von Hasscnpflug aufgehängte Köder einer Adelskammer
war von einem unwiderstehlichen Reiz. Die Ritterschaft verfiel genau in die
Rolle des thörichten .Knaben, der den Sperling in der Hand fortfliegen läßt,
um der Taube auf dein Dach nachzujagen. Schon die einfachste Klugheit mußte
der Ritterschaft rathen, die ihr dargebotene Hand zur Wiederherstellung der
Verfassung und zur Wiederherstellung ihrer früheren Vorrechte nicht zurückzuwei¬
sen. Diese Hand ist geboten worden, und der Preis war ebenso annehmlich
als sicher. Das Anerbieten wurde zurückgewiesen, weil man sich nicht ent¬
schließen konnte, den Köder einer ersten Kammer fahren zu lassen. Und doch
mußte schon damals auch das blödeste Auge sehen, daß das Hassenpflugsche
Machwerk dem Zusammensturz verfallen sei. Jetzt, nachdem die Taube auf dem
Dach längst verschwunden ist, will die Ritterschaft den Sperling wieder ein¬
fangen, welchen sie in thörichter Verblendung aus der Hand schlüpfen ließ. Ja
sie molestirt sogar eine hohe deutsche Bundesversammlung mit langathmigen
Bittgesuchen um den Verlornen Sperling. Selbst Herr Vilmar konnte es sich
nicht versagen, noch jüngst die Ritterschaft wegen ihres Gebahrens mit Hohn zu
beweisen: „sie bemühe sich ganz vergeblich in Frankfurt; sie habe ihre Vor¬
rechte 1849 feige ausgegeben, und sich dann 1852 behaglich in die ihr zugerich/
tete erste Kammer gebettet; wo sich kein Leben zeige, trete Verwesung ein :c."
Der fromme Mann ist sehr zornig auf die Ritterschaft, weil sie nicht unbedingt
nach seiner Pfeife tanzt.

Die neueste Geschichte dieser hessischen Aristokraten sollte dem gesammten Adel
in Deutschland zum warnenden Exempel dienen. Sie zeigt recht handgreiflich,
wohin es führt, wenn sich der Adel von dem Zusammenhang mit der Nation
lossagt und seine besonderen Zwecke verfolgt. Die hessische Ritterschaft als
Corporation ist dermalen nur noch eine Pfründcnanstalt. Die Gemahlin Kaiser
Heinrichs des Zweiten, die nul'eusche Kunigunde, deren Grabmal der präch¬
tige Bau des Bamberger Doms nmsckließt. hat zur Abbüßung ihrer vielen
Sünden viel Reichsgut zu frommen Zwecken vertrödelt, darunter auch das


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[0446] Adel erstreckt sich jedoch der Artikel 14 der Bundesacte ebenso wenig, wie der Bundcsbeschluß vom 24. Mai. Es liegt also durchaus keine rechtliche Nöthi¬ gung vor. die auf streng verfassungsmäßigen Weg beseitigten Vorrechte der Ritterschaft ze. wieder herzustellen. Einer derartigen Wiederherstellung wird die Landesvertretung voraussichtlich nickt zustimmen. Der Grund hiervon ist sehr einfach und natürlich. Früher hat eine principielle Abneigung gegen den Adel nicht bestanden, und die Verdienste desselben in alter und neuer Zeit, nament¬ lich auch noch bei Errichtung der Verfassung im Jahr 1831, wurden keineswegs ver¬ kannt. Aber seit den letzten Jahren hat ein Umschlag stattgefunden. Die Führer der Ritterschaft sind der Forderung des Landes nach seiner rechtmäßigen Verfassung nicht beigetreten; sie haben sich sogar dieser Forderung feindlick gegenübergestellt. Der von Hasscnpflug aufgehängte Köder einer Adelskammer war von einem unwiderstehlichen Reiz. Die Ritterschaft verfiel genau in die Rolle des thörichten .Knaben, der den Sperling in der Hand fortfliegen läßt, um der Taube auf dein Dach nachzujagen. Schon die einfachste Klugheit mußte der Ritterschaft rathen, die ihr dargebotene Hand zur Wiederherstellung der Verfassung und zur Wiederherstellung ihrer früheren Vorrechte nicht zurückzuwei¬ sen. Diese Hand ist geboten worden, und der Preis war ebenso annehmlich als sicher. Das Anerbieten wurde zurückgewiesen, weil man sich nicht ent¬ schließen konnte, den Köder einer ersten Kammer fahren zu lassen. Und doch mußte schon damals auch das blödeste Auge sehen, daß das Hassenpflugsche Machwerk dem Zusammensturz verfallen sei. Jetzt, nachdem die Taube auf dem Dach längst verschwunden ist, will die Ritterschaft den Sperling wieder ein¬ fangen, welchen sie in thörichter Verblendung aus der Hand schlüpfen ließ. Ja sie molestirt sogar eine hohe deutsche Bundesversammlung mit langathmigen Bittgesuchen um den Verlornen Sperling. Selbst Herr Vilmar konnte es sich nicht versagen, noch jüngst die Ritterschaft wegen ihres Gebahrens mit Hohn zu beweisen: „sie bemühe sich ganz vergeblich in Frankfurt; sie habe ihre Vor¬ rechte 1849 feige ausgegeben, und sich dann 1852 behaglich in die ihr zugerich/ tete erste Kammer gebettet; wo sich kein Leben zeige, trete Verwesung ein :c." Der fromme Mann ist sehr zornig auf die Ritterschaft, weil sie nicht unbedingt nach seiner Pfeife tanzt. Die neueste Geschichte dieser hessischen Aristokraten sollte dem gesammten Adel in Deutschland zum warnenden Exempel dienen. Sie zeigt recht handgreiflich, wohin es führt, wenn sich der Adel von dem Zusammenhang mit der Nation lossagt und seine besonderen Zwecke verfolgt. Die hessische Ritterschaft als Corporation ist dermalen nur noch eine Pfründcnanstalt. Die Gemahlin Kaiser Heinrichs des Zweiten, die nul'eusche Kunigunde, deren Grabmal der präch¬ tige Bau des Bamberger Doms nmsckließt. hat zur Abbüßung ihrer vielen Sünden viel Reichsgut zu frommen Zwecken vertrödelt, darunter auch das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/446>, abgerufen am 27.09.2024.