Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gewinnen mußte, aber hier ist die Verantwortlichkeit durchaus nicht blos der
Armee und deren Führer zuzuwälzen. Wer waren die Leute, welche, nachdem
sie sie zu einem unzeitigen Feldzug genöthigt, dem Feinde das Geheimniß der
gegen ihn vorbereiteten Operationen verrathen hatten, bevor man auch nur für
die Ausführung bereit war? Hatte Mac Clellan den Mangel an Einheit im
Ziel und im Handeln zu verantworten, welcher die Bewegungen der Bundes¬
heere gehindert hatte, seit man ihm den Oberbefehl über alle diese Heere ge¬
nommen? War endlich Mac Clellan verantwortlich für die systematische
Schwächung, die er im Angesicht des Anschwellens der feindlichen Streitkräfte
von Beginn des Feldzugs an erfahren hatte? Trotz aller dieser Verkehrtheiten
hatte er sein Heer unter die Mauern von Richmond geführt, aber er besaß nicht
mehr die Mittel, den großen Schlag zu führen, der sehr wahrscheinlich dem
Kriege ein Ende gemacht hätte. In einem feindlichen, mit Wald bedeckten
Lande, wo man nichts siebt und sehr wenig weiß was vorgeht, ist man steten
Ueberfällen ausgesetzt; was als eine einfache Recognoscirung erscheint, kann in
Wirklichkeit ein ernster und allgemeiner Angriff sein. Man braucht viele Leute,
um sich gegen solche Ueberfällt zu sichern, man braucht deren außerdem, um
eine Eommunicaiionslinie herzustellen, welche nicht ohne Gefahr durchbrochen
werden kann. So bedürfte es hier offenbar einer Verstärkung der Armee.
Konnte man darauf rechnen? Konnten die Föderalisten mit einer mächtigen
Concentration antworten auf die, welche sich beim Feinde vollzogen hatte, und
welche sowohl durch die Beobachtungen der Luftschiffer als durch das tägliche
Zeugniß der Deserteure bestätigt wurde? Das war die Hauptfrage, die man
sich vorlegte.

General Wovl konnte von Norfolk, Burnside von Nordcarolina einige
Truppen zuführen; aber das war unbedeutend, während in Nordvirginien, in
der Umgebung von Washington mehr als 80,000 Mann versammelt waren.
Von diesen 80,000 Mann war die Hälfte etwa bestimmt, dem Parteigänger
Jackson, den man immer als im Shenandoah-Thal erschienen signalisirte, Wider¬
stand zu leisten. Der Rest war unter den Befehlen Mac Dowells zu Fredericks-
burg, nur zwanzig Lieues nördlich von Richmond vereinigt. Sie hatten die
Brücke wieder hergestellt, über welche die vom Potomac nach Richmond führende
Eisenbahn den Nappahannvck überschreitet. Indem sie dieser Bahn folgten,
war es ihnen möglich, sich in drei oder vier Tagen mit dem Heere Mac Clel-
lans zu vereinigen. Es war nicht zu befürchten, daß sie mit dem Abmarsch
von Fredericksburg irgend wie eine Blöße gaben, es gab in diesen Gegenden
keine Feinde. Ihr Aufenthalt in jener Stadt war ein so notorisch unnützer
für die föderale Sache, daß er ein Gegenstand der Neckerei für die Zeitungen
der Confödcrirten geworden war, wo man dieses Eorps das fünfte Rad am
Wagen nannte. Man wußte außerdem in der Potomac-Armee, daß General


gewinnen mußte, aber hier ist die Verantwortlichkeit durchaus nicht blos der
Armee und deren Führer zuzuwälzen. Wer waren die Leute, welche, nachdem
sie sie zu einem unzeitigen Feldzug genöthigt, dem Feinde das Geheimniß der
gegen ihn vorbereiteten Operationen verrathen hatten, bevor man auch nur für
die Ausführung bereit war? Hatte Mac Clellan den Mangel an Einheit im
Ziel und im Handeln zu verantworten, welcher die Bewegungen der Bundes¬
heere gehindert hatte, seit man ihm den Oberbefehl über alle diese Heere ge¬
nommen? War endlich Mac Clellan verantwortlich für die systematische
Schwächung, die er im Angesicht des Anschwellens der feindlichen Streitkräfte
von Beginn des Feldzugs an erfahren hatte? Trotz aller dieser Verkehrtheiten
hatte er sein Heer unter die Mauern von Richmond geführt, aber er besaß nicht
mehr die Mittel, den großen Schlag zu führen, der sehr wahrscheinlich dem
Kriege ein Ende gemacht hätte. In einem feindlichen, mit Wald bedeckten
Lande, wo man nichts siebt und sehr wenig weiß was vorgeht, ist man steten
Ueberfällen ausgesetzt; was als eine einfache Recognoscirung erscheint, kann in
Wirklichkeit ein ernster und allgemeiner Angriff sein. Man braucht viele Leute,
um sich gegen solche Ueberfällt zu sichern, man braucht deren außerdem, um
eine Eommunicaiionslinie herzustellen, welche nicht ohne Gefahr durchbrochen
werden kann. So bedürfte es hier offenbar einer Verstärkung der Armee.
Konnte man darauf rechnen? Konnten die Föderalisten mit einer mächtigen
Concentration antworten auf die, welche sich beim Feinde vollzogen hatte, und
welche sowohl durch die Beobachtungen der Luftschiffer als durch das tägliche
Zeugniß der Deserteure bestätigt wurde? Das war die Hauptfrage, die man
sich vorlegte.

General Wovl konnte von Norfolk, Burnside von Nordcarolina einige
Truppen zuführen; aber das war unbedeutend, während in Nordvirginien, in
der Umgebung von Washington mehr als 80,000 Mann versammelt waren.
Von diesen 80,000 Mann war die Hälfte etwa bestimmt, dem Parteigänger
Jackson, den man immer als im Shenandoah-Thal erschienen signalisirte, Wider¬
stand zu leisten. Der Rest war unter den Befehlen Mac Dowells zu Fredericks-
burg, nur zwanzig Lieues nördlich von Richmond vereinigt. Sie hatten die
Brücke wieder hergestellt, über welche die vom Potomac nach Richmond führende
Eisenbahn den Nappahannvck überschreitet. Indem sie dieser Bahn folgten,
war es ihnen möglich, sich in drei oder vier Tagen mit dem Heere Mac Clel-
lans zu vereinigen. Es war nicht zu befürchten, daß sie mit dem Abmarsch
von Fredericksburg irgend wie eine Blöße gaben, es gab in diesen Gegenden
keine Feinde. Ihr Aufenthalt in jener Stadt war ein so notorisch unnützer
für die föderale Sache, daß er ein Gegenstand der Neckerei für die Zeitungen
der Confödcrirten geworden war, wo man dieses Eorps das fünfte Rad am
Wagen nannte. Man wußte außerdem in der Potomac-Armee, daß General


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115292"/>
            <p xml:id="ID_1404" prev="#ID_1403"> gewinnen mußte, aber hier ist die Verantwortlichkeit durchaus nicht blos der<lb/>
Armee und deren Führer zuzuwälzen. Wer waren die Leute, welche, nachdem<lb/>
sie sie zu einem unzeitigen Feldzug genöthigt, dem Feinde das Geheimniß der<lb/>
gegen ihn vorbereiteten Operationen verrathen hatten, bevor man auch nur für<lb/>
die Ausführung bereit war? Hatte Mac Clellan den Mangel an Einheit im<lb/>
Ziel und im Handeln zu verantworten, welcher die Bewegungen der Bundes¬<lb/>
heere gehindert hatte, seit man ihm den Oberbefehl über alle diese Heere ge¬<lb/>
nommen? War endlich Mac Clellan verantwortlich für die systematische<lb/>
Schwächung, die er im Angesicht des Anschwellens der feindlichen Streitkräfte<lb/>
von Beginn des Feldzugs an erfahren hatte? Trotz aller dieser Verkehrtheiten<lb/>
hatte er sein Heer unter die Mauern von Richmond geführt, aber er besaß nicht<lb/>
mehr die Mittel, den großen Schlag zu führen, der sehr wahrscheinlich dem<lb/>
Kriege ein Ende gemacht hätte. In einem feindlichen, mit Wald bedeckten<lb/>
Lande, wo man nichts siebt und sehr wenig weiß was vorgeht, ist man steten<lb/>
Ueberfällen ausgesetzt; was als eine einfache Recognoscirung erscheint, kann in<lb/>
Wirklichkeit ein ernster und allgemeiner Angriff sein. Man braucht viele Leute,<lb/>
um sich gegen solche Ueberfällt zu sichern, man braucht deren außerdem, um<lb/>
eine Eommunicaiionslinie herzustellen, welche nicht ohne Gefahr durchbrochen<lb/>
werden kann. So bedürfte es hier offenbar einer Verstärkung der Armee.<lb/>
Konnte man darauf rechnen? Konnten die Föderalisten mit einer mächtigen<lb/>
Concentration antworten auf die, welche sich beim Feinde vollzogen hatte, und<lb/>
welche sowohl durch die Beobachtungen der Luftschiffer als durch das tägliche<lb/>
Zeugniß der Deserteure bestätigt wurde? Das war die Hauptfrage, die man<lb/>
sich vorlegte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1405" next="#ID_1406"> General Wovl konnte von Norfolk, Burnside von Nordcarolina einige<lb/>
Truppen zuführen; aber das war unbedeutend, während in Nordvirginien, in<lb/>
der Umgebung von Washington mehr als 80,000 Mann versammelt waren.<lb/>
Von diesen 80,000 Mann war die Hälfte etwa bestimmt, dem Parteigänger<lb/>
Jackson, den man immer als im Shenandoah-Thal erschienen signalisirte, Wider¬<lb/>
stand zu leisten. Der Rest war unter den Befehlen Mac Dowells zu Fredericks-<lb/>
burg, nur zwanzig Lieues nördlich von Richmond vereinigt. Sie hatten die<lb/>
Brücke wieder hergestellt, über welche die vom Potomac nach Richmond führende<lb/>
Eisenbahn den Nappahannvck überschreitet. Indem sie dieser Bahn folgten,<lb/>
war es ihnen möglich, sich in drei oder vier Tagen mit dem Heere Mac Clel-<lb/>
lans zu vereinigen. Es war nicht zu befürchten, daß sie mit dem Abmarsch<lb/>
von Fredericksburg irgend wie eine Blöße gaben, es gab in diesen Gegenden<lb/>
keine Feinde. Ihr Aufenthalt in jener Stadt war ein so notorisch unnützer<lb/>
für die föderale Sache, daß er ein Gegenstand der Neckerei für die Zeitungen<lb/>
der Confödcrirten geworden war, wo man dieses Eorps das fünfte Rad am<lb/>
Wagen nannte. Man wußte außerdem in der Potomac-Armee, daß General</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] gewinnen mußte, aber hier ist die Verantwortlichkeit durchaus nicht blos der Armee und deren Führer zuzuwälzen. Wer waren die Leute, welche, nachdem sie sie zu einem unzeitigen Feldzug genöthigt, dem Feinde das Geheimniß der gegen ihn vorbereiteten Operationen verrathen hatten, bevor man auch nur für die Ausführung bereit war? Hatte Mac Clellan den Mangel an Einheit im Ziel und im Handeln zu verantworten, welcher die Bewegungen der Bundes¬ heere gehindert hatte, seit man ihm den Oberbefehl über alle diese Heere ge¬ nommen? War endlich Mac Clellan verantwortlich für die systematische Schwächung, die er im Angesicht des Anschwellens der feindlichen Streitkräfte von Beginn des Feldzugs an erfahren hatte? Trotz aller dieser Verkehrtheiten hatte er sein Heer unter die Mauern von Richmond geführt, aber er besaß nicht mehr die Mittel, den großen Schlag zu führen, der sehr wahrscheinlich dem Kriege ein Ende gemacht hätte. In einem feindlichen, mit Wald bedeckten Lande, wo man nichts siebt und sehr wenig weiß was vorgeht, ist man steten Ueberfällen ausgesetzt; was als eine einfache Recognoscirung erscheint, kann in Wirklichkeit ein ernster und allgemeiner Angriff sein. Man braucht viele Leute, um sich gegen solche Ueberfällt zu sichern, man braucht deren außerdem, um eine Eommunicaiionslinie herzustellen, welche nicht ohne Gefahr durchbrochen werden kann. So bedürfte es hier offenbar einer Verstärkung der Armee. Konnte man darauf rechnen? Konnten die Föderalisten mit einer mächtigen Concentration antworten auf die, welche sich beim Feinde vollzogen hatte, und welche sowohl durch die Beobachtungen der Luftschiffer als durch das tägliche Zeugniß der Deserteure bestätigt wurde? Das war die Hauptfrage, die man sich vorlegte. General Wovl konnte von Norfolk, Burnside von Nordcarolina einige Truppen zuführen; aber das war unbedeutend, während in Nordvirginien, in der Umgebung von Washington mehr als 80,000 Mann versammelt waren. Von diesen 80,000 Mann war die Hälfte etwa bestimmt, dem Parteigänger Jackson, den man immer als im Shenandoah-Thal erschienen signalisirte, Wider¬ stand zu leisten. Der Rest war unter den Befehlen Mac Dowells zu Fredericks- burg, nur zwanzig Lieues nördlich von Richmond vereinigt. Sie hatten die Brücke wieder hergestellt, über welche die vom Potomac nach Richmond führende Eisenbahn den Nappahannvck überschreitet. Indem sie dieser Bahn folgten, war es ihnen möglich, sich in drei oder vier Tagen mit dem Heere Mac Clel- lans zu vereinigen. Es war nicht zu befürchten, daß sie mit dem Abmarsch von Fredericksburg irgend wie eine Blöße gaben, es gab in diesen Gegenden keine Feinde. Ihr Aufenthalt in jener Stadt war ein so notorisch unnützer für die föderale Sache, daß er ein Gegenstand der Neckerei für die Zeitungen der Confödcrirten geworden war, wo man dieses Eorps das fünfte Rad am Wagen nannte. Man wußte außerdem in der Potomac-Armee, daß General

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/440>, abgerufen am 27.09.2024.