Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

richt über ihre Necognoscirungen zu erstatten. Der Telegraph spannte seinen
Draht aus, der entweder auf gewöhnlichen Pfählen ruhte oder in Guttapercha
eingehüllt von einem kleinen Wagen, dem die Bedienung, den Apparat im
Bandelier, zu Pferde folgte, im Trabe auf dem Erdboden entrollt wurde. Alle
Dienstzweige organisirten sich, und die Druckerei arbeitete so regelmäßig, wie
sie zu Washington gethan.

Thun wir den Amerikanern Gerechtigkeit an: sie verstehen sich aus dieses
Lagerleben besser als irgendwer anders. Ihre Gewohnheit viel zu reisen und
häufig den Wohnort zu wechseln, der häufige Anblick jener patriarchalischen
Emigrantcnkaravcmen, die über die westlichen Prairien wandern, das Noma¬
denleben, welches alle ihre Offiziere unter den Jndianerstämmen führen, alles
dies macht sie geeigneter für diese Lebensweise als andere Soldaten. Diese
Zeltstäbe mit ihren hunderttausend Menschen erinnerte an Beschreibungen der
Bibel. Aber nichts hatte mit dem biblischen Zeitalter gemein jener Wald von
Transportschiffen, großentheils Dampfern , welche in Wolken von Rauch gehüllt
eintrafen, sobald das Lager aufgeschlagen wurde, und welche, mit Geräusch
ihren Dampf entlassend sich ans Ufer legten und hier Quais errichteten, wo
lehr bald die außerordentlichste Thätigkeit herrschte. Tausende von Wagen
kamen von allen Seiten auf Wegen, welche die Axt in wenigen Augenblicken
ihnen im Holze öffnete, und kehrten dann mit allen den vielen Bedürfnissen
einer Armee: Zwieback, Salzfleisch, Kaffee, Zucker, Hafer, Mais, Heu u. A.
beladen vom Flusse in den Wald zurück. Man schiffte die Kranken ein, ach
von Tage zu Tage immer mehr; denn die Jahreszeit war regnerisch und zu¬
gleich glühend heiß, und jene schönen Wiesenflächen am Pamunkey erzeugten
tödtliche Fieber. Dann kam die Nacht, durch nichts gestört, ars durch den
Ästigen Ruf des Spottvogels. Am Morgen setzten sich Flottille und Armee
wieder in Marsch und ließen hinter sich die schweigende, durch ihren Zug ihrer
Jungfräulichkeit beraubte Natur zurück."

Am 16. Mai traf man in White House, einem hübschen Gute ein, welches
einst Washington gehört hatte und jetzt im Besitz seiner Nachkommen, der
Familie Lee war. Der Chef dieses Hauses war einer der höchsten Offiziere
der Conföderirten. Niemand von den Föderalisten aber nahm davon Veran¬
lassung, sich irgend eine Verletzung dieses Besitzthums zu erlauben, Schild¬
wachen wehrten den Eintritt, ja Mac Clellan trieb die Rücksicht so weit,
daß er selbst nicht einmal hier Quartier nahm, sondern sein Zelt auf einer
benachbarten Wiese ausschlagen ließ.

"Zu White House endigte die Schifffahrt auf dem Pamunkey. Die Uork-
river-Eisenbahn, welche diesen Fluß mit Richmond verband, überschritt denselben
hier vermittelst einer Brücke, welche der Feind zerstört hatte, und führte dann
w fast gerader Linie nach der Hauptstadt Virginiens. Dieser Weg war ziem-


richt über ihre Necognoscirungen zu erstatten. Der Telegraph spannte seinen
Draht aus, der entweder auf gewöhnlichen Pfählen ruhte oder in Guttapercha
eingehüllt von einem kleinen Wagen, dem die Bedienung, den Apparat im
Bandelier, zu Pferde folgte, im Trabe auf dem Erdboden entrollt wurde. Alle
Dienstzweige organisirten sich, und die Druckerei arbeitete so regelmäßig, wie
sie zu Washington gethan.

Thun wir den Amerikanern Gerechtigkeit an: sie verstehen sich aus dieses
Lagerleben besser als irgendwer anders. Ihre Gewohnheit viel zu reisen und
häufig den Wohnort zu wechseln, der häufige Anblick jener patriarchalischen
Emigrantcnkaravcmen, die über die westlichen Prairien wandern, das Noma¬
denleben, welches alle ihre Offiziere unter den Jndianerstämmen führen, alles
dies macht sie geeigneter für diese Lebensweise als andere Soldaten. Diese
Zeltstäbe mit ihren hunderttausend Menschen erinnerte an Beschreibungen der
Bibel. Aber nichts hatte mit dem biblischen Zeitalter gemein jener Wald von
Transportschiffen, großentheils Dampfern , welche in Wolken von Rauch gehüllt
eintrafen, sobald das Lager aufgeschlagen wurde, und welche, mit Geräusch
ihren Dampf entlassend sich ans Ufer legten und hier Quais errichteten, wo
lehr bald die außerordentlichste Thätigkeit herrschte. Tausende von Wagen
kamen von allen Seiten auf Wegen, welche die Axt in wenigen Augenblicken
ihnen im Holze öffnete, und kehrten dann mit allen den vielen Bedürfnissen
einer Armee: Zwieback, Salzfleisch, Kaffee, Zucker, Hafer, Mais, Heu u. A.
beladen vom Flusse in den Wald zurück. Man schiffte die Kranken ein, ach
von Tage zu Tage immer mehr; denn die Jahreszeit war regnerisch und zu¬
gleich glühend heiß, und jene schönen Wiesenflächen am Pamunkey erzeugten
tödtliche Fieber. Dann kam die Nacht, durch nichts gestört, ars durch den
Ästigen Ruf des Spottvogels. Am Morgen setzten sich Flottille und Armee
wieder in Marsch und ließen hinter sich die schweigende, durch ihren Zug ihrer
Jungfräulichkeit beraubte Natur zurück."

Am 16. Mai traf man in White House, einem hübschen Gute ein, welches
einst Washington gehört hatte und jetzt im Besitz seiner Nachkommen, der
Familie Lee war. Der Chef dieses Hauses war einer der höchsten Offiziere
der Conföderirten. Niemand von den Föderalisten aber nahm davon Veran¬
lassung, sich irgend eine Verletzung dieses Besitzthums zu erlauben, Schild¬
wachen wehrten den Eintritt, ja Mac Clellan trieb die Rücksicht so weit,
daß er selbst nicht einmal hier Quartier nahm, sondern sein Zelt auf einer
benachbarten Wiese ausschlagen ließ.

„Zu White House endigte die Schifffahrt auf dem Pamunkey. Die Uork-
river-Eisenbahn, welche diesen Fluß mit Richmond verband, überschritt denselben
hier vermittelst einer Brücke, welche der Feind zerstört hatte, und führte dann
w fast gerader Linie nach der Hauptstadt Virginiens. Dieser Weg war ziem-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115289"/>
            <p xml:id="ID_1392" prev="#ID_1391"> richt über ihre Necognoscirungen zu erstatten. Der Telegraph spannte seinen<lb/>
Draht aus, der entweder auf gewöhnlichen Pfählen ruhte oder in Guttapercha<lb/>
eingehüllt von einem kleinen Wagen, dem die Bedienung, den Apparat im<lb/>
Bandelier, zu Pferde folgte, im Trabe auf dem Erdboden entrollt wurde. Alle<lb/>
Dienstzweige organisirten sich, und die Druckerei arbeitete so regelmäßig, wie<lb/>
sie zu Washington gethan.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1393"> Thun wir den Amerikanern Gerechtigkeit an: sie verstehen sich aus dieses<lb/>
Lagerleben besser als irgendwer anders. Ihre Gewohnheit viel zu reisen und<lb/>
häufig den Wohnort zu wechseln, der häufige Anblick jener patriarchalischen<lb/>
Emigrantcnkaravcmen, die über die westlichen Prairien wandern, das Noma¬<lb/>
denleben, welches alle ihre Offiziere unter den Jndianerstämmen führen, alles<lb/>
dies macht sie geeigneter für diese Lebensweise als andere Soldaten. Diese<lb/>
Zeltstäbe mit ihren hunderttausend Menschen erinnerte an Beschreibungen der<lb/>
Bibel. Aber nichts hatte mit dem biblischen Zeitalter gemein jener Wald von<lb/>
Transportschiffen, großentheils Dampfern , welche in Wolken von Rauch gehüllt<lb/>
eintrafen, sobald das Lager aufgeschlagen wurde, und welche, mit Geräusch<lb/>
ihren Dampf entlassend sich ans Ufer legten und hier Quais errichteten, wo<lb/>
lehr bald die außerordentlichste Thätigkeit herrschte. Tausende von Wagen<lb/>
kamen von allen Seiten auf Wegen, welche die Axt in wenigen Augenblicken<lb/>
ihnen im Holze öffnete, und kehrten dann mit allen den vielen Bedürfnissen<lb/>
einer Armee: Zwieback, Salzfleisch, Kaffee, Zucker, Hafer, Mais, Heu u. A.<lb/>
beladen vom Flusse in den Wald zurück. Man schiffte die Kranken ein, ach<lb/>
von Tage zu Tage immer mehr; denn die Jahreszeit war regnerisch und zu¬<lb/>
gleich glühend heiß, und jene schönen Wiesenflächen am Pamunkey erzeugten<lb/>
tödtliche Fieber. Dann kam die Nacht, durch nichts gestört, ars durch den<lb/>
Ästigen Ruf des Spottvogels. Am Morgen setzten sich Flottille und Armee<lb/>
wieder in Marsch und ließen hinter sich die schweigende, durch ihren Zug ihrer<lb/>
Jungfräulichkeit beraubte Natur zurück."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1394"> Am 16. Mai traf man in White House, einem hübschen Gute ein, welches<lb/>
einst Washington gehört hatte und jetzt im Besitz seiner Nachkommen, der<lb/>
Familie Lee war. Der Chef dieses Hauses war einer der höchsten Offiziere<lb/>
der Conföderirten. Niemand von den Föderalisten aber nahm davon Veran¬<lb/>
lassung, sich irgend eine Verletzung dieses Besitzthums zu erlauben, Schild¬<lb/>
wachen wehrten den Eintritt, ja Mac Clellan trieb die Rücksicht so weit,<lb/>
daß er selbst nicht einmal hier Quartier nahm, sondern sein Zelt auf einer<lb/>
benachbarten Wiese ausschlagen ließ.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1395" next="#ID_1396"> &#x201E;Zu White House endigte die Schifffahrt auf dem Pamunkey. Die Uork-<lb/>
river-Eisenbahn, welche diesen Fluß mit Richmond verband, überschritt denselben<lb/>
hier vermittelst einer Brücke, welche der Feind zerstört hatte, und führte dann<lb/>
w fast gerader Linie nach der Hauptstadt Virginiens. Dieser Weg war ziem-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0437] richt über ihre Necognoscirungen zu erstatten. Der Telegraph spannte seinen Draht aus, der entweder auf gewöhnlichen Pfählen ruhte oder in Guttapercha eingehüllt von einem kleinen Wagen, dem die Bedienung, den Apparat im Bandelier, zu Pferde folgte, im Trabe auf dem Erdboden entrollt wurde. Alle Dienstzweige organisirten sich, und die Druckerei arbeitete so regelmäßig, wie sie zu Washington gethan. Thun wir den Amerikanern Gerechtigkeit an: sie verstehen sich aus dieses Lagerleben besser als irgendwer anders. Ihre Gewohnheit viel zu reisen und häufig den Wohnort zu wechseln, der häufige Anblick jener patriarchalischen Emigrantcnkaravcmen, die über die westlichen Prairien wandern, das Noma¬ denleben, welches alle ihre Offiziere unter den Jndianerstämmen führen, alles dies macht sie geeigneter für diese Lebensweise als andere Soldaten. Diese Zeltstäbe mit ihren hunderttausend Menschen erinnerte an Beschreibungen der Bibel. Aber nichts hatte mit dem biblischen Zeitalter gemein jener Wald von Transportschiffen, großentheils Dampfern , welche in Wolken von Rauch gehüllt eintrafen, sobald das Lager aufgeschlagen wurde, und welche, mit Geräusch ihren Dampf entlassend sich ans Ufer legten und hier Quais errichteten, wo lehr bald die außerordentlichste Thätigkeit herrschte. Tausende von Wagen kamen von allen Seiten auf Wegen, welche die Axt in wenigen Augenblicken ihnen im Holze öffnete, und kehrten dann mit allen den vielen Bedürfnissen einer Armee: Zwieback, Salzfleisch, Kaffee, Zucker, Hafer, Mais, Heu u. A. beladen vom Flusse in den Wald zurück. Man schiffte die Kranken ein, ach von Tage zu Tage immer mehr; denn die Jahreszeit war regnerisch und zu¬ gleich glühend heiß, und jene schönen Wiesenflächen am Pamunkey erzeugten tödtliche Fieber. Dann kam die Nacht, durch nichts gestört, ars durch den Ästigen Ruf des Spottvogels. Am Morgen setzten sich Flottille und Armee wieder in Marsch und ließen hinter sich die schweigende, durch ihren Zug ihrer Jungfräulichkeit beraubte Natur zurück." Am 16. Mai traf man in White House, einem hübschen Gute ein, welches einst Washington gehört hatte und jetzt im Besitz seiner Nachkommen, der Familie Lee war. Der Chef dieses Hauses war einer der höchsten Offiziere der Conföderirten. Niemand von den Föderalisten aber nahm davon Veran¬ lassung, sich irgend eine Verletzung dieses Besitzthums zu erlauben, Schild¬ wachen wehrten den Eintritt, ja Mac Clellan trieb die Rücksicht so weit, daß er selbst nicht einmal hier Quartier nahm, sondern sein Zelt auf einer benachbarten Wiese ausschlagen ließ. „Zu White House endigte die Schifffahrt auf dem Pamunkey. Die Uork- river-Eisenbahn, welche diesen Fluß mit Richmond verband, überschritt denselben hier vermittelst einer Brücke, welche der Feind zerstört hatte, und führte dann w fast gerader Linie nach der Hauptstadt Virginiens. Dieser Weg war ziem-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/437
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/437>, abgerufen am 27.09.2024.