Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese Seite von Uhlcmds Wirksamkeit ist jetzt halb vergessen, sie liegt in
den schwerfälligen Berichten der Commissionen, in den minutiösen Debatten
eines kleinen Landtags begraben. Sie ist jedoch insofern von hohem Interesse,
als sie zeigt, daß die Opposition, die sich noch kurz zuvor so hartnäckig auf
das alte, gute Recht steifte, schnell die Forderungen der Zeit begriff. Ja das
Verständniß, mit dem sie für die Ideen der Denkfreiheit, für mündliches Ver¬
fahren, für schärfere Trennung der Justiz und Verwaltung, als sie bis auf
diesen Tag in Würtemberg eingeführt ist, für Beschränkung des Schreiberei¬
unwesens, für vollkommen selbständige Verfassung der Gemeinde- und Amts-
corporationen kämpfte, muß auch auf die Beurtheilung ihrer früheren Haltung
vorteilhaft zurückwirken. Von nun an begann die Opposition in Würtem-
berg alle jene Forderungen aufzunehmen, welche, in allen Ständekammern von
Zeit zu Zeit wiederholt, lange fast die einzigen Lichtblicke im öffentlichen Leben
Deutschlands waren. Preßfreiheit, öffentliches Verfahren, Selbständigkeit der
Gemeinde waren die Punkte, die Uhland theils gelegentlich, theils in eigenen
Anträgen oder in Cvmmissivnsberichtcn immer wieder forderte. -- Der
Bericht, den Uhland über den im Jahr 182 l von der Regierung geforderten
Ausschluß Friedrich Lifts aus der Kammer erstattete, wäre für sich allein
beweisend für die muthvolle Unabhängigkeit seines Charakters. Bekanntlich
hatte List vor dem Beginn des Landtags einen detaillirtcn Antrag auf eine
Reihe von Verbesserungen im Staatswesen ausgearbeitet und drucken lassen,
der aber der Regierung so mißliebig war, daß sie eine Untersuchung gegen ihn
einleitete, und auf ihr Verlange" suspendirte auch die Kammer-- trotz Uhlands
Bericht -- seine landständische Wirksamkeit bis zum Ergebniß der Untersuchung,
der sich aber List durch die Flucht nach Amerika entzog.

Außer dieser höchst mühevollen landständischen Thätigkeit waren es in
dieser Zeit die wissenschaftlichen, auf die mittelalterliche deutsche Dichtung
gerichteten Arbeiten, welche Uhland seinem Dichterberuf entzogen. Nur gegen
Ende der zwanziger und zu Anfang der dreißiger Jahre trat er plötzlich noch
einmal mit einer Reihe seiner vollendetsten Balladen hervor, die dann i" die
Ausgabe der Gedichte von 1834 ausgenommen wurden. Im Jahr 1822
erschien die anziehende Monographie über Walther von der Vogelweide, welcher
dann später das Werk über den Mythus von Thor (1336), die alt- hoch- und
niederdeutschen Volkslieder (1344 und 1845) und seitdem eine Reihe von Auf¬
sätzen in wissenschaftlichen Zeitschriften folgten. Mehres, wie die Arbeit über
Wodan, hat sich druckfertig im Nachlaß vorgefunden. Seine Ernennung zum
Professor der deutschen Literatur an der Universität Tübingen, die im Jahr
1830 erfolgte, schien ihn für immer'auf diese Bahn zu weisen, er begann
auch sofort akademische und öffentliche Vorlesungen. Allein dasselbe Jahr
bildete zugleich einen Wendepunkt in der politischen Geschichte des Vaterlands


Diese Seite von Uhlcmds Wirksamkeit ist jetzt halb vergessen, sie liegt in
den schwerfälligen Berichten der Commissionen, in den minutiösen Debatten
eines kleinen Landtags begraben. Sie ist jedoch insofern von hohem Interesse,
als sie zeigt, daß die Opposition, die sich noch kurz zuvor so hartnäckig auf
das alte, gute Recht steifte, schnell die Forderungen der Zeit begriff. Ja das
Verständniß, mit dem sie für die Ideen der Denkfreiheit, für mündliches Ver¬
fahren, für schärfere Trennung der Justiz und Verwaltung, als sie bis auf
diesen Tag in Würtemberg eingeführt ist, für Beschränkung des Schreiberei¬
unwesens, für vollkommen selbständige Verfassung der Gemeinde- und Amts-
corporationen kämpfte, muß auch auf die Beurtheilung ihrer früheren Haltung
vorteilhaft zurückwirken. Von nun an begann die Opposition in Würtem-
berg alle jene Forderungen aufzunehmen, welche, in allen Ständekammern von
Zeit zu Zeit wiederholt, lange fast die einzigen Lichtblicke im öffentlichen Leben
Deutschlands waren. Preßfreiheit, öffentliches Verfahren, Selbständigkeit der
Gemeinde waren die Punkte, die Uhland theils gelegentlich, theils in eigenen
Anträgen oder in Cvmmissivnsberichtcn immer wieder forderte. — Der
Bericht, den Uhland über den im Jahr 182 l von der Regierung geforderten
Ausschluß Friedrich Lifts aus der Kammer erstattete, wäre für sich allein
beweisend für die muthvolle Unabhängigkeit seines Charakters. Bekanntlich
hatte List vor dem Beginn des Landtags einen detaillirtcn Antrag auf eine
Reihe von Verbesserungen im Staatswesen ausgearbeitet und drucken lassen,
der aber der Regierung so mißliebig war, daß sie eine Untersuchung gegen ihn
einleitete, und auf ihr Verlange» suspendirte auch die Kammer— trotz Uhlands
Bericht — seine landständische Wirksamkeit bis zum Ergebniß der Untersuchung,
der sich aber List durch die Flucht nach Amerika entzog.

Außer dieser höchst mühevollen landständischen Thätigkeit waren es in
dieser Zeit die wissenschaftlichen, auf die mittelalterliche deutsche Dichtung
gerichteten Arbeiten, welche Uhland seinem Dichterberuf entzogen. Nur gegen
Ende der zwanziger und zu Anfang der dreißiger Jahre trat er plötzlich noch
einmal mit einer Reihe seiner vollendetsten Balladen hervor, die dann i» die
Ausgabe der Gedichte von 1834 ausgenommen wurden. Im Jahr 1822
erschien die anziehende Monographie über Walther von der Vogelweide, welcher
dann später das Werk über den Mythus von Thor (1336), die alt- hoch- und
niederdeutschen Volkslieder (1344 und 1845) und seitdem eine Reihe von Auf¬
sätzen in wissenschaftlichen Zeitschriften folgten. Mehres, wie die Arbeit über
Wodan, hat sich druckfertig im Nachlaß vorgefunden. Seine Ernennung zum
Professor der deutschen Literatur an der Universität Tübingen, die im Jahr
1830 erfolgte, schien ihn für immer'auf diese Bahn zu weisen, er begann
auch sofort akademische und öffentliche Vorlesungen. Allein dasselbe Jahr
bildete zugleich einen Wendepunkt in der politischen Geschichte des Vaterlands


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115276"/>
          <p xml:id="ID_1352"> Diese Seite von Uhlcmds Wirksamkeit ist jetzt halb vergessen, sie liegt in<lb/>
den schwerfälligen Berichten der Commissionen, in den minutiösen Debatten<lb/>
eines kleinen Landtags begraben. Sie ist jedoch insofern von hohem Interesse,<lb/>
als sie zeigt, daß die Opposition, die sich noch kurz zuvor so hartnäckig auf<lb/>
das alte, gute Recht steifte, schnell die Forderungen der Zeit begriff. Ja das<lb/>
Verständniß, mit dem sie für die Ideen der Denkfreiheit, für mündliches Ver¬<lb/>
fahren, für schärfere Trennung der Justiz und Verwaltung, als sie bis auf<lb/>
diesen Tag in Würtemberg eingeführt ist, für Beschränkung des Schreiberei¬<lb/>
unwesens, für vollkommen selbständige Verfassung der Gemeinde- und Amts-<lb/>
corporationen kämpfte, muß auch auf die Beurtheilung ihrer früheren Haltung<lb/>
vorteilhaft zurückwirken. Von nun an begann die Opposition in Würtem-<lb/>
berg alle jene Forderungen aufzunehmen, welche, in allen Ständekammern von<lb/>
Zeit zu Zeit wiederholt, lange fast die einzigen Lichtblicke im öffentlichen Leben<lb/>
Deutschlands waren. Preßfreiheit, öffentliches Verfahren, Selbständigkeit der<lb/>
Gemeinde waren die Punkte, die Uhland theils gelegentlich, theils in eigenen<lb/>
Anträgen oder in Cvmmissivnsberichtcn immer wieder forderte. &#x2014; Der<lb/>
Bericht, den Uhland über den im Jahr 182 l von der Regierung geforderten<lb/>
Ausschluß Friedrich Lifts aus der Kammer erstattete, wäre für sich allein<lb/>
beweisend für die muthvolle Unabhängigkeit seines Charakters. Bekanntlich<lb/>
hatte List vor dem Beginn des Landtags einen detaillirtcn Antrag auf eine<lb/>
Reihe von Verbesserungen im Staatswesen ausgearbeitet und drucken lassen,<lb/>
der aber der Regierung so mißliebig war, daß sie eine Untersuchung gegen ihn<lb/>
einleitete, und auf ihr Verlange» suspendirte auch die Kammer&#x2014; trotz Uhlands<lb/>
Bericht &#x2014; seine landständische Wirksamkeit bis zum Ergebniß der Untersuchung,<lb/>
der sich aber List durch die Flucht nach Amerika entzog.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1353" next="#ID_1354"> Außer dieser höchst mühevollen landständischen Thätigkeit waren es in<lb/>
dieser Zeit die wissenschaftlichen, auf die mittelalterliche deutsche Dichtung<lb/>
gerichteten Arbeiten, welche Uhland seinem Dichterberuf entzogen. Nur gegen<lb/>
Ende der zwanziger und zu Anfang der dreißiger Jahre trat er plötzlich noch<lb/>
einmal mit einer Reihe seiner vollendetsten Balladen hervor, die dann i» die<lb/>
Ausgabe der Gedichte von 1834 ausgenommen wurden. Im Jahr 1822<lb/>
erschien die anziehende Monographie über Walther von der Vogelweide, welcher<lb/>
dann später das Werk über den Mythus von Thor (1336), die alt- hoch- und<lb/>
niederdeutschen Volkslieder (1344 und 1845) und seitdem eine Reihe von Auf¬<lb/>
sätzen in wissenschaftlichen Zeitschriften folgten. Mehres, wie die Arbeit über<lb/>
Wodan, hat sich druckfertig im Nachlaß vorgefunden. Seine Ernennung zum<lb/>
Professor der deutschen Literatur an der Universität Tübingen, die im Jahr<lb/>
1830 erfolgte, schien ihn für immer'auf diese Bahn zu weisen, er begann<lb/>
auch sofort akademische und öffentliche Vorlesungen. Allein dasselbe Jahr<lb/>
bildete zugleich einen Wendepunkt in der politischen Geschichte des Vaterlands</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0424] Diese Seite von Uhlcmds Wirksamkeit ist jetzt halb vergessen, sie liegt in den schwerfälligen Berichten der Commissionen, in den minutiösen Debatten eines kleinen Landtags begraben. Sie ist jedoch insofern von hohem Interesse, als sie zeigt, daß die Opposition, die sich noch kurz zuvor so hartnäckig auf das alte, gute Recht steifte, schnell die Forderungen der Zeit begriff. Ja das Verständniß, mit dem sie für die Ideen der Denkfreiheit, für mündliches Ver¬ fahren, für schärfere Trennung der Justiz und Verwaltung, als sie bis auf diesen Tag in Würtemberg eingeführt ist, für Beschränkung des Schreiberei¬ unwesens, für vollkommen selbständige Verfassung der Gemeinde- und Amts- corporationen kämpfte, muß auch auf die Beurtheilung ihrer früheren Haltung vorteilhaft zurückwirken. Von nun an begann die Opposition in Würtem- berg alle jene Forderungen aufzunehmen, welche, in allen Ständekammern von Zeit zu Zeit wiederholt, lange fast die einzigen Lichtblicke im öffentlichen Leben Deutschlands waren. Preßfreiheit, öffentliches Verfahren, Selbständigkeit der Gemeinde waren die Punkte, die Uhland theils gelegentlich, theils in eigenen Anträgen oder in Cvmmissivnsberichtcn immer wieder forderte. — Der Bericht, den Uhland über den im Jahr 182 l von der Regierung geforderten Ausschluß Friedrich Lifts aus der Kammer erstattete, wäre für sich allein beweisend für die muthvolle Unabhängigkeit seines Charakters. Bekanntlich hatte List vor dem Beginn des Landtags einen detaillirtcn Antrag auf eine Reihe von Verbesserungen im Staatswesen ausgearbeitet und drucken lassen, der aber der Regierung so mißliebig war, daß sie eine Untersuchung gegen ihn einleitete, und auf ihr Verlange» suspendirte auch die Kammer— trotz Uhlands Bericht — seine landständische Wirksamkeit bis zum Ergebniß der Untersuchung, der sich aber List durch die Flucht nach Amerika entzog. Außer dieser höchst mühevollen landständischen Thätigkeit waren es in dieser Zeit die wissenschaftlichen, auf die mittelalterliche deutsche Dichtung gerichteten Arbeiten, welche Uhland seinem Dichterberuf entzogen. Nur gegen Ende der zwanziger und zu Anfang der dreißiger Jahre trat er plötzlich noch einmal mit einer Reihe seiner vollendetsten Balladen hervor, die dann i» die Ausgabe der Gedichte von 1834 ausgenommen wurden. Im Jahr 1822 erschien die anziehende Monographie über Walther von der Vogelweide, welcher dann später das Werk über den Mythus von Thor (1336), die alt- hoch- und niederdeutschen Volkslieder (1344 und 1845) und seitdem eine Reihe von Auf¬ sätzen in wissenschaftlichen Zeitschriften folgten. Mehres, wie die Arbeit über Wodan, hat sich druckfertig im Nachlaß vorgefunden. Seine Ernennung zum Professor der deutschen Literatur an der Universität Tübingen, die im Jahr 1830 erfolgte, schien ihn für immer'auf diese Bahn zu weisen, er begann auch sofort akademische und öffentliche Vorlesungen. Allein dasselbe Jahr bildete zugleich einen Wendepunkt in der politischen Geschichte des Vaterlands

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/424
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/424>, abgerufen am 27.09.2024.