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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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daß jene Altrechtler in merkwürdiger Confusion jene modernen Ideen mit ihrem
alten guten Recht in Verbindung brachten, ja identificirten. Der Aufruf ist
betitelt: "Keine Adelskammer!" und führt aus, daß in der altwürtembergischen
Verfassung das Vertragsvcrhältniß zwischen Regenten und Volk vollkommen
klar und ausgesprochen sich darlege. In ihr sei keine Bourbonische Legitimität,
sie sei ein Gesellschaftsverhältniß freier, vernünftiger Wesen. Sie gebe dem
Regenten den Standpunkt, von dem ihn die Aufklärung der Zeit nicht ver-
drängen werde, und dem Volk die Stellung, in der auch ein über Menschen¬
würde aufgeklärtes Volk sich gefallen dürfe. Eben in diesem Reinmenschlichen
der alten Verfassung löse sich-das Räthsel, daß ein dreihundertjähriger Rechts¬
zustand noch jetzt vollkommen zeitgemäß erscheinen könne und gerade jetzt, wo
das Gefühl der Freiheit und Menschenwürde neu erwacht sei. Durch eine
Adelskammer aber würde zwischen Adel und übrigem Volk ein Verhältniß
herbeigeführt, das jenen rein menschlichen Verband durch Mysticismus und
Vorurtheil beflecken würde. Dem Adel sollen seine geschichtlichen Rechte nicht
streitig gemacht werden, aber Adelsvorurtheile ertrage man nicht mehr. Um
die Idee sei es zu thun, um Menschenwürde. Nach den dreißigjährigen Käm¬
pfen sollte Menschenrecht hergestellt, der entwürdigende Aristokratismus aus¬
geworfen werden, und jetzt solle dieser Aristokratismus durch neue Staats¬
verträge geheiligt werden? Dies hieße die vernünftige, altwürtembergische
Verfassung entweihen, die Sache des Vaterlands und der Menschheit ver¬
lassen u. s. w.

Es ist klar, daß durch eine solche Vermischung heterogenster Dinge, der
aufklärerischen Ideen mit der Anhänglichkeit an mittelalterliche Rechte, durch
eine Polemik, die sich gleichzeitig auf die Ueberlieferung und auf den Geist der
Zeit -berief, das Versassungswerk nicht gefördert werden konnte. Waren die
Patrioten gegen Adclsvorurtheile, so war es doch gerade der Adel, der mit
gutem Recht die hartnäckige Forderung des Alten am wirksamsten unterstützte,
und daran hing sich noch eine Menge beschränkter Vorurtheile, engherziger
Interessen, spießbürgerlich-particularistischcr Gesinnungen, zumal gegen die
neuen Landestheile. Doch es ist hier nicht der Ort, die Geschichte dieses Ver¬
fassungskampfes ins Einzelne zu verfolgen, der dann durch einen äußeren
Druck schnell einem gedeihlichen Ende entgegengeführt wurde, indem die
drohende Gefahr der Karlsbader Beschlüsse mit einem Mal die wünschenswerthe
Nachgiebigkeit erzeugte, und ein Resultat herbeiführte, bei welchem gegen die
ursprünglichen Negierungsvvrschläge zwar Manches gewonnen, aber auch Man¬
ches verloren wurde. Nur das verdient hervorgehoben zu werden, daß, als
schließlich zu allgemeiner Freude des Landes das Versassungswerk glücklich zu
Stande gekommen war, dieser Moment zugleich ein persönlicher Triumph des
vaterländischen Dichters wurde, indem zur Feier des Ereignisses sein Herzog


daß jene Altrechtler in merkwürdiger Confusion jene modernen Ideen mit ihrem
alten guten Recht in Verbindung brachten, ja identificirten. Der Aufruf ist
betitelt: „Keine Adelskammer!" und führt aus, daß in der altwürtembergischen
Verfassung das Vertragsvcrhältniß zwischen Regenten und Volk vollkommen
klar und ausgesprochen sich darlege. In ihr sei keine Bourbonische Legitimität,
sie sei ein Gesellschaftsverhältniß freier, vernünftiger Wesen. Sie gebe dem
Regenten den Standpunkt, von dem ihn die Aufklärung der Zeit nicht ver-
drängen werde, und dem Volk die Stellung, in der auch ein über Menschen¬
würde aufgeklärtes Volk sich gefallen dürfe. Eben in diesem Reinmenschlichen
der alten Verfassung löse sich-das Räthsel, daß ein dreihundertjähriger Rechts¬
zustand noch jetzt vollkommen zeitgemäß erscheinen könne und gerade jetzt, wo
das Gefühl der Freiheit und Menschenwürde neu erwacht sei. Durch eine
Adelskammer aber würde zwischen Adel und übrigem Volk ein Verhältniß
herbeigeführt, das jenen rein menschlichen Verband durch Mysticismus und
Vorurtheil beflecken würde. Dem Adel sollen seine geschichtlichen Rechte nicht
streitig gemacht werden, aber Adelsvorurtheile ertrage man nicht mehr. Um
die Idee sei es zu thun, um Menschenwürde. Nach den dreißigjährigen Käm¬
pfen sollte Menschenrecht hergestellt, der entwürdigende Aristokratismus aus¬
geworfen werden, und jetzt solle dieser Aristokratismus durch neue Staats¬
verträge geheiligt werden? Dies hieße die vernünftige, altwürtembergische
Verfassung entweihen, die Sache des Vaterlands und der Menschheit ver¬
lassen u. s. w.

Es ist klar, daß durch eine solche Vermischung heterogenster Dinge, der
aufklärerischen Ideen mit der Anhänglichkeit an mittelalterliche Rechte, durch
eine Polemik, die sich gleichzeitig auf die Ueberlieferung und auf den Geist der
Zeit -berief, das Versassungswerk nicht gefördert werden konnte. Waren die
Patrioten gegen Adclsvorurtheile, so war es doch gerade der Adel, der mit
gutem Recht die hartnäckige Forderung des Alten am wirksamsten unterstützte,
und daran hing sich noch eine Menge beschränkter Vorurtheile, engherziger
Interessen, spießbürgerlich-particularistischcr Gesinnungen, zumal gegen die
neuen Landestheile. Doch es ist hier nicht der Ort, die Geschichte dieses Ver¬
fassungskampfes ins Einzelne zu verfolgen, der dann durch einen äußeren
Druck schnell einem gedeihlichen Ende entgegengeführt wurde, indem die
drohende Gefahr der Karlsbader Beschlüsse mit einem Mal die wünschenswerthe
Nachgiebigkeit erzeugte, und ein Resultat herbeiführte, bei welchem gegen die
ursprünglichen Negierungsvvrschläge zwar Manches gewonnen, aber auch Man¬
ches verloren wurde. Nur das verdient hervorgehoben zu werden, daß, als
schließlich zu allgemeiner Freude des Landes das Versassungswerk glücklich zu
Stande gekommen war, dieser Moment zugleich ein persönlicher Triumph des
vaterländischen Dichters wurde, indem zur Feier des Ereignisses sein Herzog


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/422>, abgerufen am 20.10.2024.