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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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zu profitiren suchten. Das Hauptübel aber war, daß mit dem Ausbau der
Verfassung durch die Bildung der landständischen Ausschüsse sich ein oligarchi-
sches Element eingeschlichen hatte, indem insbesondere der engere Ausschuß mit
ausgedehnten Befugnissen ausgestattet, namentlich mit Verwaltung der ständi¬
schen Kasse'betraut, das Recht der Selbstergänzung besaß, und im Sinn der
Coterie ausübte. Dieser oligarchische permanente Ausschuß maßte sich allmälig
die wesentlichsten Rechte der Stände an, ein eifersüchtiger Kampf entspann sich
zwischen ihm und dem mehr und mehr seiner Souveränetät bewußten Fürsten-
thum, und wenn einmal der Herzog mit Gewalt in das Landschaftsgebäudc
eindrang, die Kästen erbrach und das Geld des Landes raubte, wenn er ein
anderes Mal die Versechter der Verfassung in den Kasematten des Asberg schmach¬
ten ließ, so kam es andrerseits auch vor, daß der Ausschuß den Fürsten ab¬
setzte und mit Zustimmung des Kaisers selbst die Negierung führte, ja einmal
scheute sich der Ausschuß, die Prälaten an der Spitze, nicht, den Fürsten in
seinem Schlafgemach erdrosseln zu lassen.

In dem Maße, in welchem nun einerseits die absolute Despotie des achtzehn¬
ten Jahrhunderts sich ausbildete, andrerseits der Ausschuß starr an seinen Pri¬
vilegien festhielt und als Wächter der Verfassung zugleich jeden vernünftigen
und sachlichen Fortschritt hinderte, verfiel das ständische Wesen in eine leere
Form, die längst für den Untergang reif war. Auch das Flicken half nichts
mehr. Als im Jahr 1797 noch einmal guter Wille auf beiden Seiten vor¬
handen war, eine ernstliche Besserung vorzunehmen, lieferten die langwierigen
Verhandlungen nur den unwidersprechlichen Beweis, daß die alten Formen sich
überlebt hatten und auf den bestehenden Grundlagen überhaupt keine zeit¬
gemäße Reorganisation des Staatswesens möglich war.

Diese Umstände muß man sich vergegenwärtigen, um zu begreisen, daß
diese Verfassung, die schon vor dem Zusammenbruch des Feudalwesens selbst
für Altwürtemberg sich überlebt hatte, unmöglich die vernünftige Form für das
neue, erweiterte und auf den Trümmern aller Particularrechte zu erbauende
Staatsganze werden konnte. Es war wohl natürlich, daß alle Privilegirten,
deren Rechte durch die große Zerstörungsarbeit Königs Friedrich verletzt waren,
nach den alten Dingen sich zurücksehnten, wie denn der Adel thatsächlich an
der Spitze der Opposition gegen die von Friedrich angebotene Verfassung stand-
Aber daß die Opposition gegen die Grundsätze dieser Verfassung populär wurde,
daß wenigstens in Altwürtemberg (denn Neuwürt"nberg war im Allgemeinen
den Verfassungsvorschlägen des Königs zugethan) gerade die ehrenwerthesten
Elemente sich dieser Opposition zugesellten, erklärt sich nur theils aus den
allgemeinen Tendenzen der Zeit, theils aus dem schwäbischen Stammcharakter,
am meisten aber aus dem Eindruck, den die Reformwuth des Königs in den
Gemüthern seiner Unterthanen zurückgelassen hatte.


zu profitiren suchten. Das Hauptübel aber war, daß mit dem Ausbau der
Verfassung durch die Bildung der landständischen Ausschüsse sich ein oligarchi-
sches Element eingeschlichen hatte, indem insbesondere der engere Ausschuß mit
ausgedehnten Befugnissen ausgestattet, namentlich mit Verwaltung der ständi¬
schen Kasse'betraut, das Recht der Selbstergänzung besaß, und im Sinn der
Coterie ausübte. Dieser oligarchische permanente Ausschuß maßte sich allmälig
die wesentlichsten Rechte der Stände an, ein eifersüchtiger Kampf entspann sich
zwischen ihm und dem mehr und mehr seiner Souveränetät bewußten Fürsten-
thum, und wenn einmal der Herzog mit Gewalt in das Landschaftsgebäudc
eindrang, die Kästen erbrach und das Geld des Landes raubte, wenn er ein
anderes Mal die Versechter der Verfassung in den Kasematten des Asberg schmach¬
ten ließ, so kam es andrerseits auch vor, daß der Ausschuß den Fürsten ab¬
setzte und mit Zustimmung des Kaisers selbst die Negierung führte, ja einmal
scheute sich der Ausschuß, die Prälaten an der Spitze, nicht, den Fürsten in
seinem Schlafgemach erdrosseln zu lassen.

In dem Maße, in welchem nun einerseits die absolute Despotie des achtzehn¬
ten Jahrhunderts sich ausbildete, andrerseits der Ausschuß starr an seinen Pri¬
vilegien festhielt und als Wächter der Verfassung zugleich jeden vernünftigen
und sachlichen Fortschritt hinderte, verfiel das ständische Wesen in eine leere
Form, die längst für den Untergang reif war. Auch das Flicken half nichts
mehr. Als im Jahr 1797 noch einmal guter Wille auf beiden Seiten vor¬
handen war, eine ernstliche Besserung vorzunehmen, lieferten die langwierigen
Verhandlungen nur den unwidersprechlichen Beweis, daß die alten Formen sich
überlebt hatten und auf den bestehenden Grundlagen überhaupt keine zeit¬
gemäße Reorganisation des Staatswesens möglich war.

Diese Umstände muß man sich vergegenwärtigen, um zu begreisen, daß
diese Verfassung, die schon vor dem Zusammenbruch des Feudalwesens selbst
für Altwürtemberg sich überlebt hatte, unmöglich die vernünftige Form für das
neue, erweiterte und auf den Trümmern aller Particularrechte zu erbauende
Staatsganze werden konnte. Es war wohl natürlich, daß alle Privilegirten,
deren Rechte durch die große Zerstörungsarbeit Königs Friedrich verletzt waren,
nach den alten Dingen sich zurücksehnten, wie denn der Adel thatsächlich an
der Spitze der Opposition gegen die von Friedrich angebotene Verfassung stand-
Aber daß die Opposition gegen die Grundsätze dieser Verfassung populär wurde,
daß wenigstens in Altwürtemberg (denn Neuwürt«nberg war im Allgemeinen
den Verfassungsvorschlägen des Königs zugethan) gerade die ehrenwerthesten
Elemente sich dieser Opposition zugesellten, erklärt sich nur theils aus den
allgemeinen Tendenzen der Zeit, theils aus dem schwäbischen Stammcharakter,
am meisten aber aus dem Eindruck, den die Reformwuth des Königs in den
Gemüthern seiner Unterthanen zurückgelassen hatte.


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[0419] zu profitiren suchten. Das Hauptübel aber war, daß mit dem Ausbau der Verfassung durch die Bildung der landständischen Ausschüsse sich ein oligarchi- sches Element eingeschlichen hatte, indem insbesondere der engere Ausschuß mit ausgedehnten Befugnissen ausgestattet, namentlich mit Verwaltung der ständi¬ schen Kasse'betraut, das Recht der Selbstergänzung besaß, und im Sinn der Coterie ausübte. Dieser oligarchische permanente Ausschuß maßte sich allmälig die wesentlichsten Rechte der Stände an, ein eifersüchtiger Kampf entspann sich zwischen ihm und dem mehr und mehr seiner Souveränetät bewußten Fürsten- thum, und wenn einmal der Herzog mit Gewalt in das Landschaftsgebäudc eindrang, die Kästen erbrach und das Geld des Landes raubte, wenn er ein anderes Mal die Versechter der Verfassung in den Kasematten des Asberg schmach¬ ten ließ, so kam es andrerseits auch vor, daß der Ausschuß den Fürsten ab¬ setzte und mit Zustimmung des Kaisers selbst die Negierung führte, ja einmal scheute sich der Ausschuß, die Prälaten an der Spitze, nicht, den Fürsten in seinem Schlafgemach erdrosseln zu lassen. In dem Maße, in welchem nun einerseits die absolute Despotie des achtzehn¬ ten Jahrhunderts sich ausbildete, andrerseits der Ausschuß starr an seinen Pri¬ vilegien festhielt und als Wächter der Verfassung zugleich jeden vernünftigen und sachlichen Fortschritt hinderte, verfiel das ständische Wesen in eine leere Form, die längst für den Untergang reif war. Auch das Flicken half nichts mehr. Als im Jahr 1797 noch einmal guter Wille auf beiden Seiten vor¬ handen war, eine ernstliche Besserung vorzunehmen, lieferten die langwierigen Verhandlungen nur den unwidersprechlichen Beweis, daß die alten Formen sich überlebt hatten und auf den bestehenden Grundlagen überhaupt keine zeit¬ gemäße Reorganisation des Staatswesens möglich war. Diese Umstände muß man sich vergegenwärtigen, um zu begreisen, daß diese Verfassung, die schon vor dem Zusammenbruch des Feudalwesens selbst für Altwürtemberg sich überlebt hatte, unmöglich die vernünftige Form für das neue, erweiterte und auf den Trümmern aller Particularrechte zu erbauende Staatsganze werden konnte. Es war wohl natürlich, daß alle Privilegirten, deren Rechte durch die große Zerstörungsarbeit Königs Friedrich verletzt waren, nach den alten Dingen sich zurücksehnten, wie denn der Adel thatsächlich an der Spitze der Opposition gegen die von Friedrich angebotene Verfassung stand- Aber daß die Opposition gegen die Grundsätze dieser Verfassung populär wurde, daß wenigstens in Altwürtemberg (denn Neuwürt«nberg war im Allgemeinen den Verfassungsvorschlägen des Königs zugethan) gerade die ehrenwerthesten Elemente sich dieser Opposition zugesellten, erklärt sich nur theils aus den allgemeinen Tendenzen der Zeit, theils aus dem schwäbischen Stammcharakter, am meisten aber aus dem Eindruck, den die Reformwuth des Königs in den Gemüthern seiner Unterthanen zurückgelassen hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/419>, abgerufen am 27.09.2024.