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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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deren Besitzungen sein Land vergrößert worden war. Wie das Gemisch der
verschiedenen bisherigen Verfassungen aufhören mußte, so durften auch nicht
länger einzelne Korporationen und Stände einen Staat im Staate bilden.
So wurde dem Adel seine ganze feudale Stellung genommen, seine Patrimo-
nialgerichte, seine Steuerbefreiungen, die besonderen Erbrechte, die Fidei-
commisse, ja alle Ehrenrechte aufgehoben, das Corporationswesen der Univer¬
sität vernichtet, das protestantische Kirchengut für Staatsgut erklärt, das Finanz¬
wesen unificirt, kurz alle Besonderrechte, welche mit der Allmacht des Staats
im Widerstreit schienen, beseitigt. Was dann nach diesem großen Zerstörungs¬
proceß an die Stelle trat, war zunächst nur die absolute Willkür des Regenten,
die sich in etlichen tausend Verordnungen aussprach, und die sämmtliche Unter-
thanen durch den Huldigungseid unter das gleichmäßige Joch eines tyranni¬
schen Willens beugte. Ein büreaukratisches System wurde in aller Eile über
das ganze Land ausgespannt, dessen letzte Fäden in der Hand des Regenten
zusammenliefen, und dessen Wirkung nach unten die völligste Unterdrückung
der individuellen Freiheit war.

Als aber nach dem Austoben der Kriege Friedrich vom Wiener Congresse,
wo er bekanntlich gegen alle Einmischung in die innern Angelegenheiten der
einzelnen Bundesstaaten protestirt hatte, in sein Land zurückkam, ergriff er,
theils um die Mediatisirten in gesetzlichen Schranken zu halten, die auf dem
Congreß so begünstigt worden waren, theils dem Zug der Zeit folgend, welche
Angesichts der großen, in den Kriegen gebrachten Opfer eine Einschränkung der
fürstlichen Souveränetät, ein rechtliches Verhältniß zwischen Fürst und Unter¬
thanen verlangte, die Initiative, um einen verfassungsmäßigen Zustand in sei¬
nem Lande herzustellen. Hierzu war aber nun die alte ständische Verfassung,
die im Tübinger Vertrag begründet, von Herzog Christoph ausgebaut worden
war, am allerwenigsten geeignet. Diese Verfassung Altwürtcmbergs beruhte
auf einem rein privatrechtlichen Verhältniß zwischen Fürst und Ständen, das
ein organisches Staatsganze, wie es der modernen Zeit vorschwebte, völlig
unmöglich machte. Sie war ein Vertrag, der deshalb auswärts seine Bürg¬
schaft suchte, und entweder durch den Kaiser oder durch einzelne Reichsfürsten
garantirt war. und wobei beide Paciscenten stets einander feindlich gegenüber
standen. Die Geistlichkeit und die Abgeordneten des dritten Standes (denn
der Adel hatte sich immer fern gehalten) traten überdies nur als die Vertreter
ihrer Corporationsinteressen auf. Das Militärwesen beruhte auf einem völlig
veralteten System und war seit lange Gegenstand unaufhörlichen Streites ge¬
wesen, ebenso das Steuerwesen, das niemals gesetzlich geregelt war. Besonders
im Punkt der Finanzen stieß immer das fürstliche und das Landesinteresse auf
einander, und zwischen dem Kammergut und den freiwilligen Steuern der
Landschaft lag dann noch das Kirchengut, von dem beide Theile nach Kräften


deren Besitzungen sein Land vergrößert worden war. Wie das Gemisch der
verschiedenen bisherigen Verfassungen aufhören mußte, so durften auch nicht
länger einzelne Korporationen und Stände einen Staat im Staate bilden.
So wurde dem Adel seine ganze feudale Stellung genommen, seine Patrimo-
nialgerichte, seine Steuerbefreiungen, die besonderen Erbrechte, die Fidei-
commisse, ja alle Ehrenrechte aufgehoben, das Corporationswesen der Univer¬
sität vernichtet, das protestantische Kirchengut für Staatsgut erklärt, das Finanz¬
wesen unificirt, kurz alle Besonderrechte, welche mit der Allmacht des Staats
im Widerstreit schienen, beseitigt. Was dann nach diesem großen Zerstörungs¬
proceß an die Stelle trat, war zunächst nur die absolute Willkür des Regenten,
die sich in etlichen tausend Verordnungen aussprach, und die sämmtliche Unter-
thanen durch den Huldigungseid unter das gleichmäßige Joch eines tyranni¬
schen Willens beugte. Ein büreaukratisches System wurde in aller Eile über
das ganze Land ausgespannt, dessen letzte Fäden in der Hand des Regenten
zusammenliefen, und dessen Wirkung nach unten die völligste Unterdrückung
der individuellen Freiheit war.

Als aber nach dem Austoben der Kriege Friedrich vom Wiener Congresse,
wo er bekanntlich gegen alle Einmischung in die innern Angelegenheiten der
einzelnen Bundesstaaten protestirt hatte, in sein Land zurückkam, ergriff er,
theils um die Mediatisirten in gesetzlichen Schranken zu halten, die auf dem
Congreß so begünstigt worden waren, theils dem Zug der Zeit folgend, welche
Angesichts der großen, in den Kriegen gebrachten Opfer eine Einschränkung der
fürstlichen Souveränetät, ein rechtliches Verhältniß zwischen Fürst und Unter¬
thanen verlangte, die Initiative, um einen verfassungsmäßigen Zustand in sei¬
nem Lande herzustellen. Hierzu war aber nun die alte ständische Verfassung,
die im Tübinger Vertrag begründet, von Herzog Christoph ausgebaut worden
war, am allerwenigsten geeignet. Diese Verfassung Altwürtcmbergs beruhte
auf einem rein privatrechtlichen Verhältniß zwischen Fürst und Ständen, das
ein organisches Staatsganze, wie es der modernen Zeit vorschwebte, völlig
unmöglich machte. Sie war ein Vertrag, der deshalb auswärts seine Bürg¬
schaft suchte, und entweder durch den Kaiser oder durch einzelne Reichsfürsten
garantirt war. und wobei beide Paciscenten stets einander feindlich gegenüber
standen. Die Geistlichkeit und die Abgeordneten des dritten Standes (denn
der Adel hatte sich immer fern gehalten) traten überdies nur als die Vertreter
ihrer Corporationsinteressen auf. Das Militärwesen beruhte auf einem völlig
veralteten System und war seit lange Gegenstand unaufhörlichen Streites ge¬
wesen, ebenso das Steuerwesen, das niemals gesetzlich geregelt war. Besonders
im Punkt der Finanzen stieß immer das fürstliche und das Landesinteresse auf
einander, und zwischen dem Kammergut und den freiwilligen Steuern der
Landschaft lag dann noch das Kirchengut, von dem beide Theile nach Kräften


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[0418] deren Besitzungen sein Land vergrößert worden war. Wie das Gemisch der verschiedenen bisherigen Verfassungen aufhören mußte, so durften auch nicht länger einzelne Korporationen und Stände einen Staat im Staate bilden. So wurde dem Adel seine ganze feudale Stellung genommen, seine Patrimo- nialgerichte, seine Steuerbefreiungen, die besonderen Erbrechte, die Fidei- commisse, ja alle Ehrenrechte aufgehoben, das Corporationswesen der Univer¬ sität vernichtet, das protestantische Kirchengut für Staatsgut erklärt, das Finanz¬ wesen unificirt, kurz alle Besonderrechte, welche mit der Allmacht des Staats im Widerstreit schienen, beseitigt. Was dann nach diesem großen Zerstörungs¬ proceß an die Stelle trat, war zunächst nur die absolute Willkür des Regenten, die sich in etlichen tausend Verordnungen aussprach, und die sämmtliche Unter- thanen durch den Huldigungseid unter das gleichmäßige Joch eines tyranni¬ schen Willens beugte. Ein büreaukratisches System wurde in aller Eile über das ganze Land ausgespannt, dessen letzte Fäden in der Hand des Regenten zusammenliefen, und dessen Wirkung nach unten die völligste Unterdrückung der individuellen Freiheit war. Als aber nach dem Austoben der Kriege Friedrich vom Wiener Congresse, wo er bekanntlich gegen alle Einmischung in die innern Angelegenheiten der einzelnen Bundesstaaten protestirt hatte, in sein Land zurückkam, ergriff er, theils um die Mediatisirten in gesetzlichen Schranken zu halten, die auf dem Congreß so begünstigt worden waren, theils dem Zug der Zeit folgend, welche Angesichts der großen, in den Kriegen gebrachten Opfer eine Einschränkung der fürstlichen Souveränetät, ein rechtliches Verhältniß zwischen Fürst und Unter¬ thanen verlangte, die Initiative, um einen verfassungsmäßigen Zustand in sei¬ nem Lande herzustellen. Hierzu war aber nun die alte ständische Verfassung, die im Tübinger Vertrag begründet, von Herzog Christoph ausgebaut worden war, am allerwenigsten geeignet. Diese Verfassung Altwürtcmbergs beruhte auf einem rein privatrechtlichen Verhältniß zwischen Fürst und Ständen, das ein organisches Staatsganze, wie es der modernen Zeit vorschwebte, völlig unmöglich machte. Sie war ein Vertrag, der deshalb auswärts seine Bürg¬ schaft suchte, und entweder durch den Kaiser oder durch einzelne Reichsfürsten garantirt war. und wobei beide Paciscenten stets einander feindlich gegenüber standen. Die Geistlichkeit und die Abgeordneten des dritten Standes (denn der Adel hatte sich immer fern gehalten) traten überdies nur als die Vertreter ihrer Corporationsinteressen auf. Das Militärwesen beruhte auf einem völlig veralteten System und war seit lange Gegenstand unaufhörlichen Streites ge¬ wesen, ebenso das Steuerwesen, das niemals gesetzlich geregelt war. Besonders im Punkt der Finanzen stieß immer das fürstliche und das Landesinteresse auf einander, und zwischen dem Kammergut und den freiwilligen Steuern der Landschaft lag dann noch das Kirchengut, von dem beide Theile nach Kräften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/418>, abgerufen am 27.09.2024.