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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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"Dies ist," sagt unser Aufsatz, "so wahr, daß, wiewohl Sold und Dienst¬
zeit für Freiwillige und Reguläre gleich sind, die Werbung für letztere beinahe
unmöglich geworden ist. Die ganze Menschenclasse, aus der sich früher die
Armee recrutirte, meldet sich jetzt zu den Freiwilligen. Hier die Ungebunden-
heit. dort die Mannszucht, so ist die Wahl bald getroffen. Die durch das
allgemeine Stimmrecht erzeugten Gewohnheiten spielen ihre Rolle auch auf dem
Schlachtfeld. Kraft stillschweigender Uebereinkunft geht das Regiment auf den
Feind los, kämpft es tapfer, ja sehr tapfer, läßt es sich verwunden und todten;
kraft stillschweigender Uebereinkunft aber auch tritt es, wenn man genug für
die militärische Ehre gethan zu haben meint, Mann für Mann den Rückzug
an. Der Oberst versucht vielleicht, eine Richtung, einen Antrieb zu geben, aber
gewöhnlich umsonst. Die Offiziere denken nicht einmal daran: warum sollten
sie sich auch bemühen, weshalb sollte man ihnen gehorchen, wo doch die Mehr¬
heit des Regiments für Umkehren ist?"

Die Mängel eines solchen Zustandes liegen auf der Hand. Sie wurden
auch von Mac Clellan und den übrigen Berufsoffizieren aus der Schule von
Westpoint nicht verkannt. Man besserte nach Kräften und nicht ohne Erfolg.
Zunächst galt es die ungeheuren Massen, die das Land der Regierung ohne
Druck, aus eignem Antrieb und eignen Mitteln zur Verfügung gestellt, in ein
geordnetes Heer zu verwandeln. "Je vier Regimenter wurden zu einer Bri¬
gade, je drei Brigaden zu einer Division vereinigt. Jeder Division theilte man
vier Batterien zu, von welchen drei von Freiwilligen, eine von Regularen be¬
dient wurde; die letztern sollten den andern als Muster dienen, und ihr Capi-
tän erhielt auch über diese den Oberbefehl. Einen Augenblick dachte man
jeder Division ein Bataillon Regulärer beizugeben, um hier die Rolle der "Lan¬
zenspitze" zu übernehmen, welche Lord Clyde den europäischen Truppen in den
Sipoys-Armeen zugetheilt hatte, aber man kam davon zurück. Es schien ge¬
rathener, die einzige wirklich disciplinirte Truppe, welche man besaß, beisammen
zu halten. Im Uebrigen war die Formation in Divisionen gut; sie ist von
sehr großem Nutzen gewesen."

"Dann mußte für die Militärverwaltung, Proviant, Munition, Transport¬
mittel gesorgt werden, es waren die Artilleriereserven, die Genietruppen, die
Pontonniere, die topographische Brigade, der Telegraphendienst und die Spitäler
zu organisiren. Diese gewaltige Arbeit vollendete sich mit einer Raschheit und
einem Erfolg, die um so außerordentlicher erscheinen, wenn man bedenkt, daß,
Alles ohne jene leitende Tradition zu schaffen war, Niemand anders als aus
Büchern wußte, wie die zur Führung einer Armee unumgänglichen Fäden zu
handhaben seien, und die Zahl derer sogar, die auf Reisen in Europa gesehen,
was eine große Truppenzusammenziehung bedeuten will, unendlich gering
war."


„Dies ist," sagt unser Aufsatz, „so wahr, daß, wiewohl Sold und Dienst¬
zeit für Freiwillige und Reguläre gleich sind, die Werbung für letztere beinahe
unmöglich geworden ist. Die ganze Menschenclasse, aus der sich früher die
Armee recrutirte, meldet sich jetzt zu den Freiwilligen. Hier die Ungebunden-
heit. dort die Mannszucht, so ist die Wahl bald getroffen. Die durch das
allgemeine Stimmrecht erzeugten Gewohnheiten spielen ihre Rolle auch auf dem
Schlachtfeld. Kraft stillschweigender Uebereinkunft geht das Regiment auf den
Feind los, kämpft es tapfer, ja sehr tapfer, läßt es sich verwunden und todten;
kraft stillschweigender Uebereinkunft aber auch tritt es, wenn man genug für
die militärische Ehre gethan zu haben meint, Mann für Mann den Rückzug
an. Der Oberst versucht vielleicht, eine Richtung, einen Antrieb zu geben, aber
gewöhnlich umsonst. Die Offiziere denken nicht einmal daran: warum sollten
sie sich auch bemühen, weshalb sollte man ihnen gehorchen, wo doch die Mehr¬
heit des Regiments für Umkehren ist?"

Die Mängel eines solchen Zustandes liegen auf der Hand. Sie wurden
auch von Mac Clellan und den übrigen Berufsoffizieren aus der Schule von
Westpoint nicht verkannt. Man besserte nach Kräften und nicht ohne Erfolg.
Zunächst galt es die ungeheuren Massen, die das Land der Regierung ohne
Druck, aus eignem Antrieb und eignen Mitteln zur Verfügung gestellt, in ein
geordnetes Heer zu verwandeln. „Je vier Regimenter wurden zu einer Bri¬
gade, je drei Brigaden zu einer Division vereinigt. Jeder Division theilte man
vier Batterien zu, von welchen drei von Freiwilligen, eine von Regularen be¬
dient wurde; die letztern sollten den andern als Muster dienen, und ihr Capi-
tän erhielt auch über diese den Oberbefehl. Einen Augenblick dachte man
jeder Division ein Bataillon Regulärer beizugeben, um hier die Rolle der „Lan¬
zenspitze" zu übernehmen, welche Lord Clyde den europäischen Truppen in den
Sipoys-Armeen zugetheilt hatte, aber man kam davon zurück. Es schien ge¬
rathener, die einzige wirklich disciplinirte Truppe, welche man besaß, beisammen
zu halten. Im Uebrigen war die Formation in Divisionen gut; sie ist von
sehr großem Nutzen gewesen."

„Dann mußte für die Militärverwaltung, Proviant, Munition, Transport¬
mittel gesorgt werden, es waren die Artilleriereserven, die Genietruppen, die
Pontonniere, die topographische Brigade, der Telegraphendienst und die Spitäler
zu organisiren. Diese gewaltige Arbeit vollendete sich mit einer Raschheit und
einem Erfolg, die um so außerordentlicher erscheinen, wenn man bedenkt, daß,
Alles ohne jene leitende Tradition zu schaffen war, Niemand anders als aus
Büchern wußte, wie die zur Führung einer Armee unumgänglichen Fäden zu
handhaben seien, und die Zahl derer sogar, die auf Reisen in Europa gesehen,
was eine große Truppenzusammenziehung bedeuten will, unendlich gering
war."


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[0398] „Dies ist," sagt unser Aufsatz, „so wahr, daß, wiewohl Sold und Dienst¬ zeit für Freiwillige und Reguläre gleich sind, die Werbung für letztere beinahe unmöglich geworden ist. Die ganze Menschenclasse, aus der sich früher die Armee recrutirte, meldet sich jetzt zu den Freiwilligen. Hier die Ungebunden- heit. dort die Mannszucht, so ist die Wahl bald getroffen. Die durch das allgemeine Stimmrecht erzeugten Gewohnheiten spielen ihre Rolle auch auf dem Schlachtfeld. Kraft stillschweigender Uebereinkunft geht das Regiment auf den Feind los, kämpft es tapfer, ja sehr tapfer, läßt es sich verwunden und todten; kraft stillschweigender Uebereinkunft aber auch tritt es, wenn man genug für die militärische Ehre gethan zu haben meint, Mann für Mann den Rückzug an. Der Oberst versucht vielleicht, eine Richtung, einen Antrieb zu geben, aber gewöhnlich umsonst. Die Offiziere denken nicht einmal daran: warum sollten sie sich auch bemühen, weshalb sollte man ihnen gehorchen, wo doch die Mehr¬ heit des Regiments für Umkehren ist?" Die Mängel eines solchen Zustandes liegen auf der Hand. Sie wurden auch von Mac Clellan und den übrigen Berufsoffizieren aus der Schule von Westpoint nicht verkannt. Man besserte nach Kräften und nicht ohne Erfolg. Zunächst galt es die ungeheuren Massen, die das Land der Regierung ohne Druck, aus eignem Antrieb und eignen Mitteln zur Verfügung gestellt, in ein geordnetes Heer zu verwandeln. „Je vier Regimenter wurden zu einer Bri¬ gade, je drei Brigaden zu einer Division vereinigt. Jeder Division theilte man vier Batterien zu, von welchen drei von Freiwilligen, eine von Regularen be¬ dient wurde; die letztern sollten den andern als Muster dienen, und ihr Capi- tän erhielt auch über diese den Oberbefehl. Einen Augenblick dachte man jeder Division ein Bataillon Regulärer beizugeben, um hier die Rolle der „Lan¬ zenspitze" zu übernehmen, welche Lord Clyde den europäischen Truppen in den Sipoys-Armeen zugetheilt hatte, aber man kam davon zurück. Es schien ge¬ rathener, die einzige wirklich disciplinirte Truppe, welche man besaß, beisammen zu halten. Im Uebrigen war die Formation in Divisionen gut; sie ist von sehr großem Nutzen gewesen." „Dann mußte für die Militärverwaltung, Proviant, Munition, Transport¬ mittel gesorgt werden, es waren die Artilleriereserven, die Genietruppen, die Pontonniere, die topographische Brigade, der Telegraphendienst und die Spitäler zu organisiren. Diese gewaltige Arbeit vollendete sich mit einer Raschheit und einem Erfolg, die um so außerordentlicher erscheinen, wenn man bedenkt, daß, Alles ohne jene leitende Tradition zu schaffen war, Niemand anders als aus Büchern wußte, wie die zur Führung einer Armee unumgänglichen Fäden zu handhaben seien, und die Zahl derer sogar, die auf Reisen in Europa gesehen, was eine große Truppenzusammenziehung bedeuten will, unendlich gering war."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/398>, abgerufen am 20.10.2024.