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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Vilmarianern künstlich hervorgerufene Druck. Vilmar in seiner "Hessenzeitung"
hat das Ohr des Landesherr", und er weiß, trotz aller äußern Plumpheit,
seine Zwecke überaus schlau zu verfolgen. Der Kurfürst ist zwar von jeher,
nach seinem ganzen Naturell, Vilmar und seinem Anhang nichts weniger als
gewogen; aber er meint für den Augenblick in diesen Leuten 5le einzig zu
Gebot stehenden Werkzeuge gefunden zu haben. In Wirklichkeit ist freilich die
Sache völlig umgekehrt. Im Jahre 1848 ze. sollte die "Freiheit der Kirche" die
Vilmarsche Kirchenherrschaft begründen. Damals sollte das landesherrliche
Episcopat als mit der "Freiheit der Kirche" im Widerspruch stehend beseitigt
werden. Jetzt soll das landesherrliche Episcopat der Schemel sein, auf welchem
Vilmar zu seinem Kirchenregiment emporsteigt. Die Abneigung, die im Palais
gegen die Wiederherstellung der Verfassung herrscht, wird außerdem noch durch
alle diejenigen unterstützt, welche bei dem Umsturz derselben geholfen haben und
deshalb wo nicht -für ihren Hals, doch für ihre Stellen fürchten.

Daß es unter solchen Umständen mit der praktischen Durchführung der
Verfassung nicht vorwärts gehen will, kann nicht Wunder nehmen.

Die Stellung des Ministeriums den Ständen gegenüber ergibt sich hier¬
nach von selbst. > Man muß zugeben, d5aß das Ministerium bei den jüngsten
Ständewahlen eine anerkennenswerthe Loyalität bethätigt hat. Nicht die ge¬
ringste Spur einer Einmischung oder Beeinflussung der Wahlen war zu bemer¬
ken. Auch die Wahl des Landtagscommissars Schüler ist im Lande als eine
durchaus passende anerkannt worden. Hiermit scheint sich aber auch die Kraft
des Ministeriums erschöpft zu haben. Schon die Rede bei Eröffnung der
Ständeversammlung zeigte seine trostlose Lage; nicht weniger die einzige Vor¬
lage, welche den Ständen gemacht worden ist-, der Entwurf zu einem Wahl¬
gesetz. Als einfache Negation der bestehenden gesetzlichen Zustände will dieser
Entwurf auf die Gesetzgebung von 1331. mit ihren guten und schlechten Eigen¬
schaften, zurückgreifen. Und diesem Entwurf sind noch obendrein Motive dürftigster
und bedenklichster Art beigefügt. Die Rückkehr zum Wahlgesetz von 1831 wäre an
und für sich gewiß so übel nicht, auch im Lande vielfach willkommen. Aber es durf¬
ten doch die wesentlichen Verbesserungen der späteren Gesetzgebung ?c. nicht über¬
gangen werden. Jedenfalls hätten die Gründe für die Rückkehr in einer pas¬
senderen Weise dargelegt werden müssen, wenn die Vorlage einige Aussicht
auf Erfolg haben sollte. So wie die Sache aber liegt, könnte man fast ver¬
sucht sein zu glauben, die Verwerfung der Vorlage sei von der verfassungsfeindlichen
Partei selbst beabsichtigt. Es wäre das auch ganz im Vilmarschen Sinne. Seine
Theorie geht nämlich dahin: "Das Wahlgesetz von 1849, welches die bundes¬
rechtlich verbürgten Standschaftsrechte der Standesherrn und der Reichsritter¬
schaft unberücksichtigt läßt, muh in Gemäßheit des Bundesbeschlusses vom
24. Mai einer Revision unterworfen werden. Bevor diese Revision stattgefunden


Vilmarianern künstlich hervorgerufene Druck. Vilmar in seiner „Hessenzeitung"
hat das Ohr des Landesherr», und er weiß, trotz aller äußern Plumpheit,
seine Zwecke überaus schlau zu verfolgen. Der Kurfürst ist zwar von jeher,
nach seinem ganzen Naturell, Vilmar und seinem Anhang nichts weniger als
gewogen; aber er meint für den Augenblick in diesen Leuten 5le einzig zu
Gebot stehenden Werkzeuge gefunden zu haben. In Wirklichkeit ist freilich die
Sache völlig umgekehrt. Im Jahre 1848 ze. sollte die „Freiheit der Kirche" die
Vilmarsche Kirchenherrschaft begründen. Damals sollte das landesherrliche
Episcopat als mit der „Freiheit der Kirche" im Widerspruch stehend beseitigt
werden. Jetzt soll das landesherrliche Episcopat der Schemel sein, auf welchem
Vilmar zu seinem Kirchenregiment emporsteigt. Die Abneigung, die im Palais
gegen die Wiederherstellung der Verfassung herrscht, wird außerdem noch durch
alle diejenigen unterstützt, welche bei dem Umsturz derselben geholfen haben und
deshalb wo nicht -für ihren Hals, doch für ihre Stellen fürchten.

Daß es unter solchen Umständen mit der praktischen Durchführung der
Verfassung nicht vorwärts gehen will, kann nicht Wunder nehmen.

Die Stellung des Ministeriums den Ständen gegenüber ergibt sich hier¬
nach von selbst. > Man muß zugeben, d5aß das Ministerium bei den jüngsten
Ständewahlen eine anerkennenswerthe Loyalität bethätigt hat. Nicht die ge¬
ringste Spur einer Einmischung oder Beeinflussung der Wahlen war zu bemer¬
ken. Auch die Wahl des Landtagscommissars Schüler ist im Lande als eine
durchaus passende anerkannt worden. Hiermit scheint sich aber auch die Kraft
des Ministeriums erschöpft zu haben. Schon die Rede bei Eröffnung der
Ständeversammlung zeigte seine trostlose Lage; nicht weniger die einzige Vor¬
lage, welche den Ständen gemacht worden ist-, der Entwurf zu einem Wahl¬
gesetz. Als einfache Negation der bestehenden gesetzlichen Zustände will dieser
Entwurf auf die Gesetzgebung von 1331. mit ihren guten und schlechten Eigen¬
schaften, zurückgreifen. Und diesem Entwurf sind noch obendrein Motive dürftigster
und bedenklichster Art beigefügt. Die Rückkehr zum Wahlgesetz von 1831 wäre an
und für sich gewiß so übel nicht, auch im Lande vielfach willkommen. Aber es durf¬
ten doch die wesentlichen Verbesserungen der späteren Gesetzgebung ?c. nicht über¬
gangen werden. Jedenfalls hätten die Gründe für die Rückkehr in einer pas¬
senderen Weise dargelegt werden müssen, wenn die Vorlage einige Aussicht
auf Erfolg haben sollte. So wie die Sache aber liegt, könnte man fast ver¬
sucht sein zu glauben, die Verwerfung der Vorlage sei von der verfassungsfeindlichen
Partei selbst beabsichtigt. Es wäre das auch ganz im Vilmarschen Sinne. Seine
Theorie geht nämlich dahin: „Das Wahlgesetz von 1849, welches die bundes¬
rechtlich verbürgten Standschaftsrechte der Standesherrn und der Reichsritter¬
schaft unberücksichtigt läßt, muh in Gemäßheit des Bundesbeschlusses vom
24. Mai einer Revision unterworfen werden. Bevor diese Revision stattgefunden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/379>, abgerufen am 20.10.2024.