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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Indessen trotz alles Kriegslärms war es doch nur Schein. Gerade dieser
extremste Schritt, die Absehung Mehemed Ali's, bildete die Brücke, auf der
Frankreich in den europäischen Verein zurückkehrte. Von der Nothwendigkeit,
die Spannung nicht zu verewigen, waren im Grunde alle Mächte, Rußland
ausgenommen, durchdrungen. Sobald das nächste Ziel der Koalition erreicht
war, mußte namentlich England wünschen, wieder in ein be^res Verhältniß zu
Frankreich zu treten, da eine länger dauernde Entfremdung Frankreich ohne
Zweifel Nußland in die Arme geliefert haben würde. War es so schon in hohem
Grade bedenklich, die diplomatische Spannung mit Frankreich zu einem dauern¬
den Zustande weiden zu lassen, so waren die Wechselfälle eines allgemeinen Krie"
ges, der nothwendig einen propagandistischen Charakter annehmen mußte, völlig
unberechenbar. Preußen und Oestreich, wenngleich ihre Stellung zu der
vorliegenden Frage nicht ganz dieselbe war, waren doch darin einig, daß der
Frieden zu erhalten sei. und hatten eine größere Neigung zu vermittelnden Schrit¬
ten gezeigt, als Palmerston erwünscht war. Die orientalische Frage konnte über¬
haupt für Oestreich nur in dem Falle zur Kriegsfrage werden, wenn die Bedrohung
der Türkei von Rußland ausging. Der Streit zwischen Sultan und Pascha, die
Parteinahme Frankreichs für den letzteren, berührte dagegen die Interessen Oest¬
reichs nicht so unmittelbar, daß es sich in einen Krieg hätte einlassen sollen, den
Frankreich nicht führen konnte, ohne die revolutionären Elemente Italiens zu or-
ganisiren und gegen die östreichische Hegemonie in Italien ins Feld zu führen.
Uebrigens scheint es uns fast unzweifelhaft, daß Metternich auch aus Rücksicht
auf die allgemeine Weltlage im Lause der Verhandlungen eine Annäherung an
Frankreich erstrebt, und daß nicht blos augenblickliche Friedensliebe ihm seine ver¬
mittelnden Pläne eingegeben hat. Es war klar, daß Rußland seine eigenen
Pläne nur deshalb aufgab, um die Frankreichs zu hintertreiben. Wie, wenn
Rußland, das wenig Neigung hatte, Palmcrstons Interessen zu dienen, sich
unter der Hand mit Frankreich verständigte? Dieser Möglichkeit gegenüber
mußte die Möglichkeit eines Einverständnisses zwischen Oestreich und Frankreich
offen gehalten werden. Leider werden wir über diese Nebenintriguen, die offen¬
bar die Hauptaction nach allen Seiten durchkreuzten, nicht so klar unterrichtet,
wie es wünschenswerth ist.

Aber auch in Frankreich erweckte die immer näher tretende Gefahr eines
Krieges die ernstesten Bedenken. Zwar die Wogen der öffentlichen Meinung
gingen immer höher. Die Stimmung gegen England war in allen Schichten
der Gesellschaft, in allen Parteien eine überaus gereizte. Wer aber wird,
um des Falles einer Niederlage gar nicht zu gedenken, die Früchte eines glück¬
lich geführten Krieges davon tragen? Die Frage hatte das officielle Frankreich,
-- und das war keineswegs mit der Gesammtheit der französischen Nation zu
identificiren, -- schon 1831 sich beantwortet. Zahlreiche Stellen der höchst


Indessen trotz alles Kriegslärms war es doch nur Schein. Gerade dieser
extremste Schritt, die Absehung Mehemed Ali's, bildete die Brücke, auf der
Frankreich in den europäischen Verein zurückkehrte. Von der Nothwendigkeit,
die Spannung nicht zu verewigen, waren im Grunde alle Mächte, Rußland
ausgenommen, durchdrungen. Sobald das nächste Ziel der Koalition erreicht
war, mußte namentlich England wünschen, wieder in ein be^res Verhältniß zu
Frankreich zu treten, da eine länger dauernde Entfremdung Frankreich ohne
Zweifel Nußland in die Arme geliefert haben würde. War es so schon in hohem
Grade bedenklich, die diplomatische Spannung mit Frankreich zu einem dauern¬
den Zustande weiden zu lassen, so waren die Wechselfälle eines allgemeinen Krie»
ges, der nothwendig einen propagandistischen Charakter annehmen mußte, völlig
unberechenbar. Preußen und Oestreich, wenngleich ihre Stellung zu der
vorliegenden Frage nicht ganz dieselbe war, waren doch darin einig, daß der
Frieden zu erhalten sei. und hatten eine größere Neigung zu vermittelnden Schrit¬
ten gezeigt, als Palmerston erwünscht war. Die orientalische Frage konnte über¬
haupt für Oestreich nur in dem Falle zur Kriegsfrage werden, wenn die Bedrohung
der Türkei von Rußland ausging. Der Streit zwischen Sultan und Pascha, die
Parteinahme Frankreichs für den letzteren, berührte dagegen die Interessen Oest¬
reichs nicht so unmittelbar, daß es sich in einen Krieg hätte einlassen sollen, den
Frankreich nicht führen konnte, ohne die revolutionären Elemente Italiens zu or-
ganisiren und gegen die östreichische Hegemonie in Italien ins Feld zu führen.
Uebrigens scheint es uns fast unzweifelhaft, daß Metternich auch aus Rücksicht
auf die allgemeine Weltlage im Lause der Verhandlungen eine Annäherung an
Frankreich erstrebt, und daß nicht blos augenblickliche Friedensliebe ihm seine ver¬
mittelnden Pläne eingegeben hat. Es war klar, daß Rußland seine eigenen
Pläne nur deshalb aufgab, um die Frankreichs zu hintertreiben. Wie, wenn
Rußland, das wenig Neigung hatte, Palmcrstons Interessen zu dienen, sich
unter der Hand mit Frankreich verständigte? Dieser Möglichkeit gegenüber
mußte die Möglichkeit eines Einverständnisses zwischen Oestreich und Frankreich
offen gehalten werden. Leider werden wir über diese Nebenintriguen, die offen¬
bar die Hauptaction nach allen Seiten durchkreuzten, nicht so klar unterrichtet,
wie es wünschenswerth ist.

Aber auch in Frankreich erweckte die immer näher tretende Gefahr eines
Krieges die ernstesten Bedenken. Zwar die Wogen der öffentlichen Meinung
gingen immer höher. Die Stimmung gegen England war in allen Schichten
der Gesellschaft, in allen Parteien eine überaus gereizte. Wer aber wird,
um des Falles einer Niederlage gar nicht zu gedenken, die Früchte eines glück¬
lich geführten Krieges davon tragen? Die Frage hatte das officielle Frankreich,
— und das war keineswegs mit der Gesammtheit der französischen Nation zu
identificiren, — schon 1831 sich beantwortet. Zahlreiche Stellen der höchst


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[0345] Indessen trotz alles Kriegslärms war es doch nur Schein. Gerade dieser extremste Schritt, die Absehung Mehemed Ali's, bildete die Brücke, auf der Frankreich in den europäischen Verein zurückkehrte. Von der Nothwendigkeit, die Spannung nicht zu verewigen, waren im Grunde alle Mächte, Rußland ausgenommen, durchdrungen. Sobald das nächste Ziel der Koalition erreicht war, mußte namentlich England wünschen, wieder in ein be^res Verhältniß zu Frankreich zu treten, da eine länger dauernde Entfremdung Frankreich ohne Zweifel Nußland in die Arme geliefert haben würde. War es so schon in hohem Grade bedenklich, die diplomatische Spannung mit Frankreich zu einem dauern¬ den Zustande weiden zu lassen, so waren die Wechselfälle eines allgemeinen Krie» ges, der nothwendig einen propagandistischen Charakter annehmen mußte, völlig unberechenbar. Preußen und Oestreich, wenngleich ihre Stellung zu der vorliegenden Frage nicht ganz dieselbe war, waren doch darin einig, daß der Frieden zu erhalten sei. und hatten eine größere Neigung zu vermittelnden Schrit¬ ten gezeigt, als Palmerston erwünscht war. Die orientalische Frage konnte über¬ haupt für Oestreich nur in dem Falle zur Kriegsfrage werden, wenn die Bedrohung der Türkei von Rußland ausging. Der Streit zwischen Sultan und Pascha, die Parteinahme Frankreichs für den letzteren, berührte dagegen die Interessen Oest¬ reichs nicht so unmittelbar, daß es sich in einen Krieg hätte einlassen sollen, den Frankreich nicht führen konnte, ohne die revolutionären Elemente Italiens zu or- ganisiren und gegen die östreichische Hegemonie in Italien ins Feld zu führen. Uebrigens scheint es uns fast unzweifelhaft, daß Metternich auch aus Rücksicht auf die allgemeine Weltlage im Lause der Verhandlungen eine Annäherung an Frankreich erstrebt, und daß nicht blos augenblickliche Friedensliebe ihm seine ver¬ mittelnden Pläne eingegeben hat. Es war klar, daß Rußland seine eigenen Pläne nur deshalb aufgab, um die Frankreichs zu hintertreiben. Wie, wenn Rußland, das wenig Neigung hatte, Palmcrstons Interessen zu dienen, sich unter der Hand mit Frankreich verständigte? Dieser Möglichkeit gegenüber mußte die Möglichkeit eines Einverständnisses zwischen Oestreich und Frankreich offen gehalten werden. Leider werden wir über diese Nebenintriguen, die offen¬ bar die Hauptaction nach allen Seiten durchkreuzten, nicht so klar unterrichtet, wie es wünschenswerth ist. Aber auch in Frankreich erweckte die immer näher tretende Gefahr eines Krieges die ernstesten Bedenken. Zwar die Wogen der öffentlichen Meinung gingen immer höher. Die Stimmung gegen England war in allen Schichten der Gesellschaft, in allen Parteien eine überaus gereizte. Wer aber wird, um des Falles einer Niederlage gar nicht zu gedenken, die Früchte eines glück¬ lich geführten Krieges davon tragen? Die Frage hatte das officielle Frankreich, — und das war keineswegs mit der Gesammtheit der französischen Nation zu identificiren, — schon 1831 sich beantwortet. Zahlreiche Stellen der höchst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/345>, abgerufen am 27.09.2024.