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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Feinde desselben den Sieg errungen hatten, wieder in der Landesversammlung
Platz nahm.

Zu den allerschlimmsten Seiten der ausländischen Verfassung gehört die Art
und Weise, wie man auf Landtagen zu verhandeln gewohnt ist. Zwar kommen
ganz so wilde Scenen, wie sie noch auf den Landtagen des vorigen Jahrhun¬
derts spielten, nicht mehr vor. Damals ereignete es sich z. B. auf einem Land¬
tage zu Güstrow im October 1736, daß die Ritter von Wessen und von
Vieregge, nachdem es draußen zwischen ihnen zu Thätlichkeiten gekommen war,
mit Pistolen in die Landtagsversammlung drangen und hier ihren Kampf fort¬
setzen wollten. Als sie deshalb zu Haft gebracht waren, erklärte die Ritter¬
schaft, "daß durch die Arrestirung des Landtags Freiheit gebrochen sei". Aber
annähernd ähnliche Scenen, Provocationen zum Duell wegen eines abgegebenen
Votums, öffentlich referirte Schimpfworte. welche der Provocation Nachdruck
geben sollten, haben sich doch auch noch vor wenigen Jahren auf einem Land¬
tage ereignet, und wildes, wüstes Durcheinanderschreien Vieler, mehr verstärkt
als beschwichtigt durch die Landmarschälle. welche mit den Stäben ausstoßend
Ruhe gebieten und durch den dirigirenden Landrath. welcher das kolossale Tin¬
tenfaß mit beiden Händen erfaßt und zu gleichem Zweck in Bewegung setzt,
bilden noch auf jedem Landtage das regelmäßige Concert bei allen wichtigeren
Verhandlungen. Denn eine Geschäftsordnung ist gar nicht vorhanden. Die
Klagen über die mitunter bis zur Wildheit sich steigernde Unordnung bei den Land-
tagsdcvatten sind zwar sehr alt, aber die Lust am Herkommen war so groß,
daß sie stets wirkungslos verhallten. Im Jahre 1774, um frühere Anregungen
derselben Art zu übergehen, gab die Landschaft zu erwägen, ob es nicht gerathen
sei, auf Einführung einer Landtagsordnung Bedacht zunehmen, "um auf Land¬
tagen mit mehr Ruhe und ohne Betäubung ernsthaft deliberiren zu können".
Beim Dictiren des Protokolls sei es meistens so laut, daß man den Gegenstand
der Verhandlung gar nicht erfahre, das Protokoll werde selten verlesen u. s. w.
Im Jahre 1S22 ward der engere Aufschub zu einer Begutachtung derselben
Frage veranlaßt. Er begnügte sich jedoch, einige kleine Verbesserungen bei der
Abstimmung zu empfehlen. Zwar räumte er ein, daß die Art der landstän-
dischen Berathung auch noch sonst manche Mängel habe, und daß dabei oft mehr
Ruhe wünschenswert sei, erklärt aber zugleich, "daß ihm das Alter, das Her¬
kömmliche so heilig erscheine, daß er sich nicht entschließen könne, die
Abstellung einzelner, anscheinender Mängel, noch weniger die Umwandlung der
ganzen Berathungsart durch Einführung einer eignen Landtagsordnung für
^äthlich zu halten". Das Erachten führt weiter aus, wie die Berathungsart
anderer Kammern, wo die Redner in gehöriger Folge und Ordnung ihre Mei¬
nung vortrügen und wo eine geregelte Discussion stattfinde, zwar anscheinend
Vorzüge vor der Berathungsart auf dem mecklenburgischen Landtage habe, wo


Feinde desselben den Sieg errungen hatten, wieder in der Landesversammlung
Platz nahm.

Zu den allerschlimmsten Seiten der ausländischen Verfassung gehört die Art
und Weise, wie man auf Landtagen zu verhandeln gewohnt ist. Zwar kommen
ganz so wilde Scenen, wie sie noch auf den Landtagen des vorigen Jahrhun¬
derts spielten, nicht mehr vor. Damals ereignete es sich z. B. auf einem Land¬
tage zu Güstrow im October 1736, daß die Ritter von Wessen und von
Vieregge, nachdem es draußen zwischen ihnen zu Thätlichkeiten gekommen war,
mit Pistolen in die Landtagsversammlung drangen und hier ihren Kampf fort¬
setzen wollten. Als sie deshalb zu Haft gebracht waren, erklärte die Ritter¬
schaft, „daß durch die Arrestirung des Landtags Freiheit gebrochen sei". Aber
annähernd ähnliche Scenen, Provocationen zum Duell wegen eines abgegebenen
Votums, öffentlich referirte Schimpfworte. welche der Provocation Nachdruck
geben sollten, haben sich doch auch noch vor wenigen Jahren auf einem Land¬
tage ereignet, und wildes, wüstes Durcheinanderschreien Vieler, mehr verstärkt
als beschwichtigt durch die Landmarschälle. welche mit den Stäben ausstoßend
Ruhe gebieten und durch den dirigirenden Landrath. welcher das kolossale Tin¬
tenfaß mit beiden Händen erfaßt und zu gleichem Zweck in Bewegung setzt,
bilden noch auf jedem Landtage das regelmäßige Concert bei allen wichtigeren
Verhandlungen. Denn eine Geschäftsordnung ist gar nicht vorhanden. Die
Klagen über die mitunter bis zur Wildheit sich steigernde Unordnung bei den Land-
tagsdcvatten sind zwar sehr alt, aber die Lust am Herkommen war so groß,
daß sie stets wirkungslos verhallten. Im Jahre 1774, um frühere Anregungen
derselben Art zu übergehen, gab die Landschaft zu erwägen, ob es nicht gerathen
sei, auf Einführung einer Landtagsordnung Bedacht zunehmen, „um auf Land¬
tagen mit mehr Ruhe und ohne Betäubung ernsthaft deliberiren zu können".
Beim Dictiren des Protokolls sei es meistens so laut, daß man den Gegenstand
der Verhandlung gar nicht erfahre, das Protokoll werde selten verlesen u. s. w.
Im Jahre 1S22 ward der engere Aufschub zu einer Begutachtung derselben
Frage veranlaßt. Er begnügte sich jedoch, einige kleine Verbesserungen bei der
Abstimmung zu empfehlen. Zwar räumte er ein, daß die Art der landstän-
dischen Berathung auch noch sonst manche Mängel habe, und daß dabei oft mehr
Ruhe wünschenswert sei, erklärt aber zugleich, „daß ihm das Alter, das Her¬
kömmliche so heilig erscheine, daß er sich nicht entschließen könne, die
Abstellung einzelner, anscheinender Mängel, noch weniger die Umwandlung der
ganzen Berathungsart durch Einführung einer eignen Landtagsordnung für
^äthlich zu halten". Das Erachten führt weiter aus, wie die Berathungsart
anderer Kammern, wo die Redner in gehöriger Folge und Ordnung ihre Mei¬
nung vortrügen und wo eine geregelte Discussion stattfinde, zwar anscheinend
Vorzüge vor der Berathungsart auf dem mecklenburgischen Landtage habe, wo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/340>, abgerufen am 27.09.2024.