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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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unweise, tugendhaft oder lasterhaft, wie er nun einmal ist, auf den Landtag,
wo er mit vielen hundert ab- und zureisenden Genossen die zufälligen Majori¬
täten bildet von denen der Ausfall der Beschlüsse abhängt. Als Deputirte
der Städte erscheinen nach neuerer Praxis ausschließlich die Bürgermeister.
Zwischen ihnen und der Commune findet in Bezug auf die Landtagsverhandlungen
nur eine ganz äußerliche Beziehung statt. Ein vor einigen Jahren ergangenes
Ministerialdecret, durch welches die Bürgerausschüsse mit Strafe bedroht wer¬
den, wenn sie ohne Aufforderung von Seiten des Magistrats Landesangelegen¬
heiten zur Berathung ziehen, hat die ursprüngliche Idee, daß die städtischen
Deputirten ihre Commun vertreten, vollends in den Hintergrund gedrängt und
das Sonderinteresse des Bürgermeisters oder des Magistrats an die Stelle des
Interesses der Cominun gesetzt. In der Mehrzahl der Städte werden die
Bürgermeister vom Großherzoge ernannt, und in einem Theile derjenigen Städte,
in welchen sie von Rath und Bürgcrausschuß gewählt werden, unterliegt die
Wahl der landesherrlichen Bestätigung, was freilich Alles schon Abweichungen
von der ursprünglichen Selbständigkeit der Communen sind, die erst die absolu¬
tistische Praxis des achtzehnten Jahrhunderts einführte. Wenn durch das
landesherrliche Erncnnungs- und Bestäligungsrecht in Ansehung der Bürger¬
meister die Unabhängigkeit der Vertretung communaler Interessen dem Landes¬
herrn gegenüber beeinträchtigt wird, so ist die Stellung der Bürgermeister auch
nach einer andern Seite hin, nämlich sofern sie als Justitiare bei ritterschaft-
lichen Patrimonialgerichtcn und als Rechtsanwälte zu den Mitgliedern der
Ritterschaft in Beziehung stehen, durch manche Rücksichtnahmen bedingt. Die
hiernach erklärlichen häusigen Conflicte zwischen dem eigenen Interesse und dem
der Commune sind nicht immer in Pflichtmäßiger Weise gelöst worden. Bei
der Bewilligung des indirecten Steucrmodus im Jahre 1748 ließen sich die
vvrderstädtischen Bürgermeister ihre Mitwirkung dazu durch eine Gratification
von 1200 Thlr. aus der Accise bezahlen. Diese Einnahme wurde ihnen für
das Jahr 1749 unter der Bedingung prolongirt, daß sie sich für die definitive
Einführung jenes Modus interessiren würden, und im Jahre 1750 wurden,
um die Vorderstädte und ihre Bürgermeister bei guter Laune zu erhalten, den
letzteren neue Vortheile aus der Accise zugewandt. Auch in den Auseinander¬
setzungen der Landschaft mit der Ritterschaft spielten Einflüsse ähnlicher Art
immer eine große Rolle, z. B. bei den Vergleichen über die Theilnahme der Städte
an den Landcsklöstern. Bei der nach allen Seiten hin abhängigen Stellung
der Bürgermeister darf man ein festes und bewußtes politisches Handeln bei
ihnen nicht suchen. Es kann nichts Kläglicheres gedacht werden als jene ab¬
solute Willenlosigkeit, mit welcher die Landschaft nach Einführung des Staats-
grundgesetzes im Jahre 1849 von der politischen Bühne verschwand, sodann
den Einleitungen zu dessen Beseitigung zuschaute und endlich, nachdem die


unweise, tugendhaft oder lasterhaft, wie er nun einmal ist, auf den Landtag,
wo er mit vielen hundert ab- und zureisenden Genossen die zufälligen Majori¬
täten bildet von denen der Ausfall der Beschlüsse abhängt. Als Deputirte
der Städte erscheinen nach neuerer Praxis ausschließlich die Bürgermeister.
Zwischen ihnen und der Commune findet in Bezug auf die Landtagsverhandlungen
nur eine ganz äußerliche Beziehung statt. Ein vor einigen Jahren ergangenes
Ministerialdecret, durch welches die Bürgerausschüsse mit Strafe bedroht wer¬
den, wenn sie ohne Aufforderung von Seiten des Magistrats Landesangelegen¬
heiten zur Berathung ziehen, hat die ursprüngliche Idee, daß die städtischen
Deputirten ihre Commun vertreten, vollends in den Hintergrund gedrängt und
das Sonderinteresse des Bürgermeisters oder des Magistrats an die Stelle des
Interesses der Cominun gesetzt. In der Mehrzahl der Städte werden die
Bürgermeister vom Großherzoge ernannt, und in einem Theile derjenigen Städte,
in welchen sie von Rath und Bürgcrausschuß gewählt werden, unterliegt die
Wahl der landesherrlichen Bestätigung, was freilich Alles schon Abweichungen
von der ursprünglichen Selbständigkeit der Communen sind, die erst die absolu¬
tistische Praxis des achtzehnten Jahrhunderts einführte. Wenn durch das
landesherrliche Erncnnungs- und Bestäligungsrecht in Ansehung der Bürger¬
meister die Unabhängigkeit der Vertretung communaler Interessen dem Landes¬
herrn gegenüber beeinträchtigt wird, so ist die Stellung der Bürgermeister auch
nach einer andern Seite hin, nämlich sofern sie als Justitiare bei ritterschaft-
lichen Patrimonialgerichtcn und als Rechtsanwälte zu den Mitgliedern der
Ritterschaft in Beziehung stehen, durch manche Rücksichtnahmen bedingt. Die
hiernach erklärlichen häusigen Conflicte zwischen dem eigenen Interesse und dem
der Commune sind nicht immer in Pflichtmäßiger Weise gelöst worden. Bei
der Bewilligung des indirecten Steucrmodus im Jahre 1748 ließen sich die
vvrderstädtischen Bürgermeister ihre Mitwirkung dazu durch eine Gratification
von 1200 Thlr. aus der Accise bezahlen. Diese Einnahme wurde ihnen für
das Jahr 1749 unter der Bedingung prolongirt, daß sie sich für die definitive
Einführung jenes Modus interessiren würden, und im Jahre 1750 wurden,
um die Vorderstädte und ihre Bürgermeister bei guter Laune zu erhalten, den
letzteren neue Vortheile aus der Accise zugewandt. Auch in den Auseinander¬
setzungen der Landschaft mit der Ritterschaft spielten Einflüsse ähnlicher Art
immer eine große Rolle, z. B. bei den Vergleichen über die Theilnahme der Städte
an den Landcsklöstern. Bei der nach allen Seiten hin abhängigen Stellung
der Bürgermeister darf man ein festes und bewußtes politisches Handeln bei
ihnen nicht suchen. Es kann nichts Kläglicheres gedacht werden als jene ab¬
solute Willenlosigkeit, mit welcher die Landschaft nach Einführung des Staats-
grundgesetzes im Jahre 1849 von der politischen Bühne verschwand, sodann
den Einleitungen zu dessen Beseitigung zuschaute und endlich, nachdem die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/339>, abgerufen am 27.09.2024.