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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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auf gleichem Fuß mit Personen dänischer oder anderer Nationalität behandelt
werden sollen. Die Beschwerden, welche Deutschland als Verletzungen dieser
Versprechungen erhebt, sind in der neuen preußischen Note vom 22. August
zusammengefaßt.

"Die systematische Zerstörung nationaler und nachbarlicher Anhänglichkeit
zwischen Schleswig und Holstein, die Vernachlässigung der Bestimmungen die
Universität Kiel betreffend, die Ueberfüllung des Herzogthums Schleswig mit
dänischen Verwaltungsbeamten, dänischer Geistlichkeit in Kirche und Schule, der
ganze Geist der Verwaltung in diesem Herzogthum. endlich die Verletzung aller
bestehenden und praktischen Beziehungen bei der Aufrechthaltung des Sprache
edicts. sind Thatsachen, die notorisch öffentlich sind, und deren Beweis in Jeder¬
manns Händen ist."

Es würde für alle praktischen Zwecke vergeblich sein eine beständige Ober¬
aufsicht durch Deutschland bei der Ernennung von dänischen Beamten zu Civil¬
ämtern in Schleswig oder der Verwaltung in Kirche und Schule von dänischen
Geistlichen, zu versuchen. Solche Oberaufsicht würde zu beständiger Erneue-
rung von Streitigkeiten und einem fortwährenden Uebelwollen führen.

Die beste Art diese Uebel sür die Gegenwart zu heilen und zukünftigen
Beschwerden zuvorzukommen, ist, Schleswig eine vollständige Selbständigkeit zu
gewähren. -- Dem schleswigschen Landtage zu erlauben frei zu verhandeln und
unabhängig zu beschließen über Fragen, welche die Universität, die Kirchen und
Schulen des Landes berühren, über die Sprache, welche gebraucht wird, wo die
dänische Bevölkerung die Oberhand hat, wo die Deutschen überwiegen und wo
die Stämme gemischt sind.

Zuletzt komme ich zur Verfassungsfrage, der verwickeltsten und verwirrtesten
aller dieser Streitfragen. Verträge. Protokolle und Depeschen geben uns wenig Licht
über diesen Gegenstand, und die matten Strahlen, welche sie gewähren, bringen
uns vielmehr vom rechten Wege ab. Denn was könnte zerstörender sein für alle
Vereinigung, alle Wirksamkeit, alle Kraft und wahrlich alle Unabhängigkeit, denn
als absolute Regel aufzustellen, daß kein Gesetz als durchgegangen und kein
Budget als angenommen zu betrachten, wenn es nicht von vier Ständeversamm¬
lungen der Monarchie übereinstimmend angenommen. Was würde Oestreich
sagen, wenn von ihm verlangt würde eine Verfassung zu acceptiren, welche die
Thätigkeit des Reichsraths zu Wien hemmte, so lange nicht besondere Stände
in Ungarn, Galizien und Venetien dasselbe Gesetz angenommen oder dasselbe
Budget genehmigt hätten? Wie würde sich Preußen selbst benehmen bei einem
unbedingten Veto, das den Ständen Posens bei den Verhandlungen seines
Parlaments gegeben wäre? (siel)

Wenn eine solche Verfassung zu einem baldigen und entscheidenden Bruch
führen muß, so wollen wir betrachten, ob jeder Theil nicht seine volle unabhän-


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auf gleichem Fuß mit Personen dänischer oder anderer Nationalität behandelt
werden sollen. Die Beschwerden, welche Deutschland als Verletzungen dieser
Versprechungen erhebt, sind in der neuen preußischen Note vom 22. August
zusammengefaßt.

„Die systematische Zerstörung nationaler und nachbarlicher Anhänglichkeit
zwischen Schleswig und Holstein, die Vernachlässigung der Bestimmungen die
Universität Kiel betreffend, die Ueberfüllung des Herzogthums Schleswig mit
dänischen Verwaltungsbeamten, dänischer Geistlichkeit in Kirche und Schule, der
ganze Geist der Verwaltung in diesem Herzogthum. endlich die Verletzung aller
bestehenden und praktischen Beziehungen bei der Aufrechthaltung des Sprache
edicts. sind Thatsachen, die notorisch öffentlich sind, und deren Beweis in Jeder¬
manns Händen ist."

Es würde für alle praktischen Zwecke vergeblich sein eine beständige Ober¬
aufsicht durch Deutschland bei der Ernennung von dänischen Beamten zu Civil¬
ämtern in Schleswig oder der Verwaltung in Kirche und Schule von dänischen
Geistlichen, zu versuchen. Solche Oberaufsicht würde zu beständiger Erneue-
rung von Streitigkeiten und einem fortwährenden Uebelwollen führen.

Die beste Art diese Uebel sür die Gegenwart zu heilen und zukünftigen
Beschwerden zuvorzukommen, ist, Schleswig eine vollständige Selbständigkeit zu
gewähren. — Dem schleswigschen Landtage zu erlauben frei zu verhandeln und
unabhängig zu beschließen über Fragen, welche die Universität, die Kirchen und
Schulen des Landes berühren, über die Sprache, welche gebraucht wird, wo die
dänische Bevölkerung die Oberhand hat, wo die Deutschen überwiegen und wo
die Stämme gemischt sind.

Zuletzt komme ich zur Verfassungsfrage, der verwickeltsten und verwirrtesten
aller dieser Streitfragen. Verträge. Protokolle und Depeschen geben uns wenig Licht
über diesen Gegenstand, und die matten Strahlen, welche sie gewähren, bringen
uns vielmehr vom rechten Wege ab. Denn was könnte zerstörender sein für alle
Vereinigung, alle Wirksamkeit, alle Kraft und wahrlich alle Unabhängigkeit, denn
als absolute Regel aufzustellen, daß kein Gesetz als durchgegangen und kein
Budget als angenommen zu betrachten, wenn es nicht von vier Ständeversamm¬
lungen der Monarchie übereinstimmend angenommen. Was würde Oestreich
sagen, wenn von ihm verlangt würde eine Verfassung zu acceptiren, welche die
Thätigkeit des Reichsraths zu Wien hemmte, so lange nicht besondere Stände
in Ungarn, Galizien und Venetien dasselbe Gesetz angenommen oder dasselbe
Budget genehmigt hätten? Wie würde sich Preußen selbst benehmen bei einem
unbedingten Veto, das den Ständen Posens bei den Verhandlungen seines
Parlaments gegeben wäre? (siel)

Wenn eine solche Verfassung zu einem baldigen und entscheidenden Bruch
führen muß, so wollen wir betrachten, ob jeder Theil nicht seine volle unabhän-


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[0325] auf gleichem Fuß mit Personen dänischer oder anderer Nationalität behandelt werden sollen. Die Beschwerden, welche Deutschland als Verletzungen dieser Versprechungen erhebt, sind in der neuen preußischen Note vom 22. August zusammengefaßt. „Die systematische Zerstörung nationaler und nachbarlicher Anhänglichkeit zwischen Schleswig und Holstein, die Vernachlässigung der Bestimmungen die Universität Kiel betreffend, die Ueberfüllung des Herzogthums Schleswig mit dänischen Verwaltungsbeamten, dänischer Geistlichkeit in Kirche und Schule, der ganze Geist der Verwaltung in diesem Herzogthum. endlich die Verletzung aller bestehenden und praktischen Beziehungen bei der Aufrechthaltung des Sprache edicts. sind Thatsachen, die notorisch öffentlich sind, und deren Beweis in Jeder¬ manns Händen ist." Es würde für alle praktischen Zwecke vergeblich sein eine beständige Ober¬ aufsicht durch Deutschland bei der Ernennung von dänischen Beamten zu Civil¬ ämtern in Schleswig oder der Verwaltung in Kirche und Schule von dänischen Geistlichen, zu versuchen. Solche Oberaufsicht würde zu beständiger Erneue- rung von Streitigkeiten und einem fortwährenden Uebelwollen führen. Die beste Art diese Uebel sür die Gegenwart zu heilen und zukünftigen Beschwerden zuvorzukommen, ist, Schleswig eine vollständige Selbständigkeit zu gewähren. — Dem schleswigschen Landtage zu erlauben frei zu verhandeln und unabhängig zu beschließen über Fragen, welche die Universität, die Kirchen und Schulen des Landes berühren, über die Sprache, welche gebraucht wird, wo die dänische Bevölkerung die Oberhand hat, wo die Deutschen überwiegen und wo die Stämme gemischt sind. Zuletzt komme ich zur Verfassungsfrage, der verwickeltsten und verwirrtesten aller dieser Streitfragen. Verträge. Protokolle und Depeschen geben uns wenig Licht über diesen Gegenstand, und die matten Strahlen, welche sie gewähren, bringen uns vielmehr vom rechten Wege ab. Denn was könnte zerstörender sein für alle Vereinigung, alle Wirksamkeit, alle Kraft und wahrlich alle Unabhängigkeit, denn als absolute Regel aufzustellen, daß kein Gesetz als durchgegangen und kein Budget als angenommen zu betrachten, wenn es nicht von vier Ständeversamm¬ lungen der Monarchie übereinstimmend angenommen. Was würde Oestreich sagen, wenn von ihm verlangt würde eine Verfassung zu acceptiren, welche die Thätigkeit des Reichsraths zu Wien hemmte, so lange nicht besondere Stände in Ungarn, Galizien und Venetien dasselbe Gesetz angenommen oder dasselbe Budget genehmigt hätten? Wie würde sich Preußen selbst benehmen bei einem unbedingten Veto, das den Ständen Posens bei den Verhandlungen seines Parlaments gegeben wäre? (siel) Wenn eine solche Verfassung zu einem baldigen und entscheidenden Bruch führen muß, so wollen wir betrachten, ob jeder Theil nicht seine volle unabhän- 40*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/325>, abgerufen am 27.09.2024.