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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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den Bestandtheile in einem gemeinsamen Fahrwasser zu erhalten und dafür zu
sorgen, daß nirgend die wohlermessenen Schranken übersprungen wurden. Nur
einmal durchbrach ein lange verhaltener und aufgesammelter Zorn die Dämme
der selbstauferlegtenMäßigung, als Moritz Mohl den Beschwerden des würtember-
gischen Volks gegen die Ansprüche der heimischen Aristokratie Ausdruck verlieh --
ein Ausbruch, der eine wenig parlamentarische Scene zur Folge hatte. Besondere
Mäßigung zeigten die Ultramontanen in der Hervorkehrung ihrer eigentlichen
Absichten. Sie mochten fühlen, daß sie in der Verbindung mit halbliberalen
Parteien einen weit günstigeren Boden besitzen als in principieller Jsolirung,
daß ein großdeutscher Verein weit wirksamer für ihre Zwecke sei, als ein Pius-
verein.

Daß es nicht an erheiternden Scenen fehlte, kann bei einer so bunt zu¬
sammengesetzten Menge nicht befremden, und wenn sie häusiger vorkamen, als
sonst bei ähnlichen Versammlungen der Fall zu sein pflegt, so wird dies
schwerlich dem Zufall beizumessen sein.

Wichtiger ist indeß, daß die Verschiedenartigkeit der Elemente sich in ihrer
Wirkung auch aus den sachlichen Inhalt der Berathungen und Beschlüsse erstreckte.
Man konnte erwarten, daß auf dem lange angekündigten Tag endlich eine Klä¬
rung der großdeutschen Partei erfolgen werde, daß die liberalen Großdeutschen
sich von den nicht zu ihrem Vortheil ihnen anklebenden trüben Elementen rei¬
nigen und sich dadurch Anspruch auf die Anerkennung als eine der natio¬
nalen Parteien erwerben würden. Die Liberal-Großdeutschen haben dies
entweder nicht gewollt oder nicht gekonnt. Wie die reactionären und ultra¬
montanen Elemente die Allianz des halbliberalen Großdeutschthums suchen
müssen, so kann dieses, um als große Partei ^erscheinen, des großen Schweifes
aller der Elemente nicht entbehren, welche der nationalen Reform feindlich ge¬
sinnt sind und nur den Schein eines patriotischen Strebens sich erborgen, um
unter diesem Deckmantel um so besser ihre Zwecke zu verfolgen. Der Mißbrauch
und die Confusion, die sich an das sogenannte Großdeutschthum hängen, wer¬
den nach wie vor dieselben sein -- dies ist der nächste Eindruck, den die
Versammlung zurückgelassen hat.

Nur in dem, was sie nicht wollen, im Haß gegen Preußen, im Wider¬
willen gegen die Nationalpartei, im Sträuben gegen eine wahre Bundesreform,
welche den Particularstaat auf diejenige Bedeutung reducirte, welche ihm
innerhalb einer großen Nation zukommt, nur in diesem negativen Theile ist
die großdeutsche Partei einig. Wo es sich um die Aufstellung eines eigenen
Programms handelt, müssen sie sich mit einer Fassung begnügen, die nirgends¬
hin eine principielle Entscheidung wagt und der weitesten Deutung Raum läßt.
Jeder Position der Nationalpartei ist scheinbar eine eigene Position entgegen¬
gestellt: der Reichsverfassung die Anknüpfung an den Bundestag, der Central-


den Bestandtheile in einem gemeinsamen Fahrwasser zu erhalten und dafür zu
sorgen, daß nirgend die wohlermessenen Schranken übersprungen wurden. Nur
einmal durchbrach ein lange verhaltener und aufgesammelter Zorn die Dämme
der selbstauferlegtenMäßigung, als Moritz Mohl den Beschwerden des würtember-
gischen Volks gegen die Ansprüche der heimischen Aristokratie Ausdruck verlieh —
ein Ausbruch, der eine wenig parlamentarische Scene zur Folge hatte. Besondere
Mäßigung zeigten die Ultramontanen in der Hervorkehrung ihrer eigentlichen
Absichten. Sie mochten fühlen, daß sie in der Verbindung mit halbliberalen
Parteien einen weit günstigeren Boden besitzen als in principieller Jsolirung,
daß ein großdeutscher Verein weit wirksamer für ihre Zwecke sei, als ein Pius-
verein.

Daß es nicht an erheiternden Scenen fehlte, kann bei einer so bunt zu¬
sammengesetzten Menge nicht befremden, und wenn sie häusiger vorkamen, als
sonst bei ähnlichen Versammlungen der Fall zu sein pflegt, so wird dies
schwerlich dem Zufall beizumessen sein.

Wichtiger ist indeß, daß die Verschiedenartigkeit der Elemente sich in ihrer
Wirkung auch aus den sachlichen Inhalt der Berathungen und Beschlüsse erstreckte.
Man konnte erwarten, daß auf dem lange angekündigten Tag endlich eine Klä¬
rung der großdeutschen Partei erfolgen werde, daß die liberalen Großdeutschen
sich von den nicht zu ihrem Vortheil ihnen anklebenden trüben Elementen rei¬
nigen und sich dadurch Anspruch auf die Anerkennung als eine der natio¬
nalen Parteien erwerben würden. Die Liberal-Großdeutschen haben dies
entweder nicht gewollt oder nicht gekonnt. Wie die reactionären und ultra¬
montanen Elemente die Allianz des halbliberalen Großdeutschthums suchen
müssen, so kann dieses, um als große Partei ^erscheinen, des großen Schweifes
aller der Elemente nicht entbehren, welche der nationalen Reform feindlich ge¬
sinnt sind und nur den Schein eines patriotischen Strebens sich erborgen, um
unter diesem Deckmantel um so besser ihre Zwecke zu verfolgen. Der Mißbrauch
und die Confusion, die sich an das sogenannte Großdeutschthum hängen, wer¬
den nach wie vor dieselben sein — dies ist der nächste Eindruck, den die
Versammlung zurückgelassen hat.

Nur in dem, was sie nicht wollen, im Haß gegen Preußen, im Wider¬
willen gegen die Nationalpartei, im Sträuben gegen eine wahre Bundesreform,
welche den Particularstaat auf diejenige Bedeutung reducirte, welche ihm
innerhalb einer großen Nation zukommt, nur in diesem negativen Theile ist
die großdeutsche Partei einig. Wo es sich um die Aufstellung eines eigenen
Programms handelt, müssen sie sich mit einer Fassung begnügen, die nirgends¬
hin eine principielle Entscheidung wagt und der weitesten Deutung Raum läßt.
Jeder Position der Nationalpartei ist scheinbar eine eigene Position entgegen¬
gestellt: der Reichsverfassung die Anknüpfung an den Bundestag, der Central-


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[0309] den Bestandtheile in einem gemeinsamen Fahrwasser zu erhalten und dafür zu sorgen, daß nirgend die wohlermessenen Schranken übersprungen wurden. Nur einmal durchbrach ein lange verhaltener und aufgesammelter Zorn die Dämme der selbstauferlegtenMäßigung, als Moritz Mohl den Beschwerden des würtember- gischen Volks gegen die Ansprüche der heimischen Aristokratie Ausdruck verlieh — ein Ausbruch, der eine wenig parlamentarische Scene zur Folge hatte. Besondere Mäßigung zeigten die Ultramontanen in der Hervorkehrung ihrer eigentlichen Absichten. Sie mochten fühlen, daß sie in der Verbindung mit halbliberalen Parteien einen weit günstigeren Boden besitzen als in principieller Jsolirung, daß ein großdeutscher Verein weit wirksamer für ihre Zwecke sei, als ein Pius- verein. Daß es nicht an erheiternden Scenen fehlte, kann bei einer so bunt zu¬ sammengesetzten Menge nicht befremden, und wenn sie häusiger vorkamen, als sonst bei ähnlichen Versammlungen der Fall zu sein pflegt, so wird dies schwerlich dem Zufall beizumessen sein. Wichtiger ist indeß, daß die Verschiedenartigkeit der Elemente sich in ihrer Wirkung auch aus den sachlichen Inhalt der Berathungen und Beschlüsse erstreckte. Man konnte erwarten, daß auf dem lange angekündigten Tag endlich eine Klä¬ rung der großdeutschen Partei erfolgen werde, daß die liberalen Großdeutschen sich von den nicht zu ihrem Vortheil ihnen anklebenden trüben Elementen rei¬ nigen und sich dadurch Anspruch auf die Anerkennung als eine der natio¬ nalen Parteien erwerben würden. Die Liberal-Großdeutschen haben dies entweder nicht gewollt oder nicht gekonnt. Wie die reactionären und ultra¬ montanen Elemente die Allianz des halbliberalen Großdeutschthums suchen müssen, so kann dieses, um als große Partei ^erscheinen, des großen Schweifes aller der Elemente nicht entbehren, welche der nationalen Reform feindlich ge¬ sinnt sind und nur den Schein eines patriotischen Strebens sich erborgen, um unter diesem Deckmantel um so besser ihre Zwecke zu verfolgen. Der Mißbrauch und die Confusion, die sich an das sogenannte Großdeutschthum hängen, wer¬ den nach wie vor dieselben sein — dies ist der nächste Eindruck, den die Versammlung zurückgelassen hat. Nur in dem, was sie nicht wollen, im Haß gegen Preußen, im Wider¬ willen gegen die Nationalpartei, im Sträuben gegen eine wahre Bundesreform, welche den Particularstaat auf diejenige Bedeutung reducirte, welche ihm innerhalb einer großen Nation zukommt, nur in diesem negativen Theile ist die großdeutsche Partei einig. Wo es sich um die Aufstellung eines eigenen Programms handelt, müssen sie sich mit einer Fassung begnügen, die nirgends¬ hin eine principielle Entscheidung wagt und der weitesten Deutung Raum läßt. Jeder Position der Nationalpartei ist scheinbar eine eigene Position entgegen¬ gestellt: der Reichsverfassung die Anknüpfung an den Bundestag, der Central-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/309>, abgerufen am 27.09.2024.