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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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wilden Sitte, welche ihn hervorrief. Als im Jahr 1392 die Städte Rostock
und Wismar sogenannte Stehlbriefe ausgaben und damit Allen, welche auf
eigene Kosten gegen die nordischen Reiche Schiffe ausrüsten wollten, Sicherheit
für ihre Personen und das von ihnen geraubte Gut verkündigten, da begab sich
der Adel auch auf die See, um nach Beute zu jagen. Es entstanden die
"Vitalienbrüder", welche in den ersten Jahren freilich den Kriegsbrauch nicht
wesentlich überschritten, indem sie friedliche Dörfer niederbrannten und Menschen,
Vieh und sonstiges Gut wegführten, damit aber doch den Grund zu einer ge¬
meinen Seeräuberei legten, in welche dieses Kaperwesen bald ausartete. Bei
weitem die Mehrzahl der Hauptleute der Vitalienbrüder gehörte mecklenburgischen
Adelsfamilien an, darunter Marquard Preen, Bosse von Kaland,' Henning
Manteuffel (der noch jetzt bestehenden Familie angehörig, die im Mittelalter
ihre Wohnsitze in Mecklenburg, im Lande Stargard, hatte), Moltke und viele
andere, deren Namen noch aufbewahrt sind. Der zuletzt Genannte ward im
Jahre 1395 von den Stralsundern gefangen genommen und geköpft.

Der Kirchenreformation, die vom Bürgerstande ausging, gab der Adel,
zwar seine Zustimmung. Doch ward er dabei keineswegs vorwiegend von re¬
ligiösen Anschauungen geleitet, sondern es spielten hier auch die materiellen
Interessen eine hervorragende Rolle. Der Adel war vielfach verschuldet, und
seine Gläubiger waren meistentheils Kirchen und Klöster; auch lagen ihm
mancherlei Leistungen an Abgaben, Bauten u. s. w. an die Kirche ob. Die
Reformation bot nun eine Gelegenheit, die gern ergriffen ward, diese Schul¬
den und Verbindlichkeiten ganz oder theilweise abzuschütteln, und überdies
wußte Mancher noch einen Vorwand zu finden, um in den geistlichen und
klösterlichen Gebieten sich durch Plünderung zu bereichern. Bekannt sind beson¬
ders die Raubzüge, welche die von Plessen und andere Angesessene des Klützer
Orts in die Güter des Bischofs von Natzeburg unternahmen. Daneben wußte
der Adel einen bedeutenden Theil der jetzt der Säcularisation verfallenden
Stiftungen für sich zu retten. Ein Vertrag mit den Landesherren sicherte den
Ständen die Erhaltung der drei Klöster Dobbertin, Malchow und Ribnitz zur
Auferziehung inländischer Jungfrauen zu. Der Adel nahm diese Stiftungen
für sich und die Seinigen fast ausschließlich in Besitz und fand die Städte mit
einem unbedeutenden Antheil ab. Auf diesem Klvsterbesitz, welcher gegen Ueber¬
nahme fürstlicher Schulden erworben ward, deren Abbürdung dann den ntter-
schaftlichen Hintersassen und den Bürgern in den Städten zufiel, und bei
welchem der stiftungsmäßige Zweck immer mehr in den Hintergrund getreten ist,
ruhet ein großer Theil der Hülfsquellen, der Macht und des Einflusses des
mecklenburgischen Adels.

Wie wenig Gewicht derselbe auf den innern Gehalt des Reformations-
werkes legte, beweist auch die Thatsache, daß in der zweiten Hälfte des sechs-


wilden Sitte, welche ihn hervorrief. Als im Jahr 1392 die Städte Rostock
und Wismar sogenannte Stehlbriefe ausgaben und damit Allen, welche auf
eigene Kosten gegen die nordischen Reiche Schiffe ausrüsten wollten, Sicherheit
für ihre Personen und das von ihnen geraubte Gut verkündigten, da begab sich
der Adel auch auf die See, um nach Beute zu jagen. Es entstanden die
„Vitalienbrüder", welche in den ersten Jahren freilich den Kriegsbrauch nicht
wesentlich überschritten, indem sie friedliche Dörfer niederbrannten und Menschen,
Vieh und sonstiges Gut wegführten, damit aber doch den Grund zu einer ge¬
meinen Seeräuberei legten, in welche dieses Kaperwesen bald ausartete. Bei
weitem die Mehrzahl der Hauptleute der Vitalienbrüder gehörte mecklenburgischen
Adelsfamilien an, darunter Marquard Preen, Bosse von Kaland,' Henning
Manteuffel (der noch jetzt bestehenden Familie angehörig, die im Mittelalter
ihre Wohnsitze in Mecklenburg, im Lande Stargard, hatte), Moltke und viele
andere, deren Namen noch aufbewahrt sind. Der zuletzt Genannte ward im
Jahre 1395 von den Stralsundern gefangen genommen und geköpft.

Der Kirchenreformation, die vom Bürgerstande ausging, gab der Adel,
zwar seine Zustimmung. Doch ward er dabei keineswegs vorwiegend von re¬
ligiösen Anschauungen geleitet, sondern es spielten hier auch die materiellen
Interessen eine hervorragende Rolle. Der Adel war vielfach verschuldet, und
seine Gläubiger waren meistentheils Kirchen und Klöster; auch lagen ihm
mancherlei Leistungen an Abgaben, Bauten u. s. w. an die Kirche ob. Die
Reformation bot nun eine Gelegenheit, die gern ergriffen ward, diese Schul¬
den und Verbindlichkeiten ganz oder theilweise abzuschütteln, und überdies
wußte Mancher noch einen Vorwand zu finden, um in den geistlichen und
klösterlichen Gebieten sich durch Plünderung zu bereichern. Bekannt sind beson¬
ders die Raubzüge, welche die von Plessen und andere Angesessene des Klützer
Orts in die Güter des Bischofs von Natzeburg unternahmen. Daneben wußte
der Adel einen bedeutenden Theil der jetzt der Säcularisation verfallenden
Stiftungen für sich zu retten. Ein Vertrag mit den Landesherren sicherte den
Ständen die Erhaltung der drei Klöster Dobbertin, Malchow und Ribnitz zur
Auferziehung inländischer Jungfrauen zu. Der Adel nahm diese Stiftungen
für sich und die Seinigen fast ausschließlich in Besitz und fand die Städte mit
einem unbedeutenden Antheil ab. Auf diesem Klvsterbesitz, welcher gegen Ueber¬
nahme fürstlicher Schulden erworben ward, deren Abbürdung dann den ntter-
schaftlichen Hintersassen und den Bürgern in den Städten zufiel, und bei
welchem der stiftungsmäßige Zweck immer mehr in den Hintergrund getreten ist,
ruhet ein großer Theil der Hülfsquellen, der Macht und des Einflusses des
mecklenburgischen Adels.

Wie wenig Gewicht derselbe auf den innern Gehalt des Reformations-
werkes legte, beweist auch die Thatsache, daß in der zweiten Hälfte des sechs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/301>, abgerufen am 27.09.2024.