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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Der "d1u"z rum" hatte auf unser schwächeres Nervensystem, unterstützt von
der Aufregung der wechselvollen Scenen des Abends, obwohl in weit gerin¬
gerer Quantität als von den Uebrigen genossen, einen höchst bejammernswerthen
Eindruck gemacht und uns in eine Art lethargischen Zustand versetzt, der gegen
die Außenwelt so ziemlich gleichgültig machte und den ganzen Tumult ruhig
mit ansehn ließ, als ob sich das so von selbst verstände. Wir ließen uns dann
auch ohne den geringsten Versuch zur Widersetzlichkeit auf eine Pritsche legen,
welche für ein Bett gelten sollte, und auf der wir den Schlaf der Gerechten
schliefen. Das Erwachen zum jüngsten Gericht kann dem Sünder nicht schreck¬
licher sein, als das Erwachen, welches diesem Schlafe folgte. schauernd vor
Kälte (denn von Bedeckung war in der Hitze des Gefechts ganz abgesehen wor¬
den), förmlich durchnäßt von dem schweren Thau, welcher in das offen gelassene
Zelt gedrungen war, von dem unbequemen Lager steif in allen Gliedern und
dazu fieberhaft aufgeregt durch die Nachwehen unsrer Libationen vom vorher¬
gehenden Abend, bedurften wir erst einiger Zeit, um uns in unsere Situation
zu finden, und fanden wir sie nichts weniger als tröstlich, als wir sie vollkom¬
men begriffen hatten.

Es war gegen fünf Uhr Morgens, als wir dje Grenzen des verhängniß-
vollen Lagers überschritten, um durch einen anstrengenden Spaziergang den
Folgen unsrer Extravaganzen vorzubeugen und der Gastfreundschaft des Hoch¬
landes für immer zu entsagen. Die Sonne ging eben auf und säumte den
Horizont mit einem herrlichen Purpurstreifen; das lustige Volk des Waldes war
schon munter und jubelte uns in hundert verschiedenen Tonarten entgegen; aber
was war uns Hekuba! Uns erfreute weder Sonne noch Vogelsang; wir hat¬
ten keinen Sinn für das Erwachen der Natur, für die Waldesfrische, welche
sonst einen so erquickenden Einfluß auf den Wanderer übt, wir strebten nur
rastlos vorwärts, bis uns die Anstrengung in eine wohlthuende Perforation
versetzte, auf welche eine todtenähnliche Müdigkeit folgte. Die Sonne schien
schon warm auf uns herab; wir suchten uns einen passenden Platz aus und
streckten uns auf dem weichen Waldmoose nieder, welches den ganzen Boden in
üppiger Fülle überwucherte.

Es war Mittag vorüber, als wir Beaufort wieder erreichten, nachdem wir,
da zum Glück unsere Geschäfte mit den Hochländern beendigt waren, deren
Lager sorgfältig vermieden hatten. Nachdem uns hier ein Bekannter meines Ge¬
fährten zu einem Frühstück verhelfen, dachten wir daran, die Zeit, welche wir
noch in Beaufort und Umgegend zu verweilen gezwungen waren, auf nützliche
Weise zu verwerthen. Besonders lag uns daran, eine Tour nach Port Royal-
Ferry zu machen, um das Terrain genau kennen zu lernen und einen Einblick
in die relative Stellung der beiden sich gegenüberstehenden Truppencorps zu
gewinnen. Wir erlangten zu diesem Zweck Pässe aus dem Hauptquartier, um


Der „d1u«z rum" hatte auf unser schwächeres Nervensystem, unterstützt von
der Aufregung der wechselvollen Scenen des Abends, obwohl in weit gerin¬
gerer Quantität als von den Uebrigen genossen, einen höchst bejammernswerthen
Eindruck gemacht und uns in eine Art lethargischen Zustand versetzt, der gegen
die Außenwelt so ziemlich gleichgültig machte und den ganzen Tumult ruhig
mit ansehn ließ, als ob sich das so von selbst verstände. Wir ließen uns dann
auch ohne den geringsten Versuch zur Widersetzlichkeit auf eine Pritsche legen,
welche für ein Bett gelten sollte, und auf der wir den Schlaf der Gerechten
schliefen. Das Erwachen zum jüngsten Gericht kann dem Sünder nicht schreck¬
licher sein, als das Erwachen, welches diesem Schlafe folgte. schauernd vor
Kälte (denn von Bedeckung war in der Hitze des Gefechts ganz abgesehen wor¬
den), förmlich durchnäßt von dem schweren Thau, welcher in das offen gelassene
Zelt gedrungen war, von dem unbequemen Lager steif in allen Gliedern und
dazu fieberhaft aufgeregt durch die Nachwehen unsrer Libationen vom vorher¬
gehenden Abend, bedurften wir erst einiger Zeit, um uns in unsere Situation
zu finden, und fanden wir sie nichts weniger als tröstlich, als wir sie vollkom¬
men begriffen hatten.

Es war gegen fünf Uhr Morgens, als wir dje Grenzen des verhängniß-
vollen Lagers überschritten, um durch einen anstrengenden Spaziergang den
Folgen unsrer Extravaganzen vorzubeugen und der Gastfreundschaft des Hoch¬
landes für immer zu entsagen. Die Sonne ging eben auf und säumte den
Horizont mit einem herrlichen Purpurstreifen; das lustige Volk des Waldes war
schon munter und jubelte uns in hundert verschiedenen Tonarten entgegen; aber
was war uns Hekuba! Uns erfreute weder Sonne noch Vogelsang; wir hat¬
ten keinen Sinn für das Erwachen der Natur, für die Waldesfrische, welche
sonst einen so erquickenden Einfluß auf den Wanderer übt, wir strebten nur
rastlos vorwärts, bis uns die Anstrengung in eine wohlthuende Perforation
versetzte, auf welche eine todtenähnliche Müdigkeit folgte. Die Sonne schien
schon warm auf uns herab; wir suchten uns einen passenden Platz aus und
streckten uns auf dem weichen Waldmoose nieder, welches den ganzen Boden in
üppiger Fülle überwucherte.

Es war Mittag vorüber, als wir Beaufort wieder erreichten, nachdem wir,
da zum Glück unsere Geschäfte mit den Hochländern beendigt waren, deren
Lager sorgfältig vermieden hatten. Nachdem uns hier ein Bekannter meines Ge¬
fährten zu einem Frühstück verhelfen, dachten wir daran, die Zeit, welche wir
noch in Beaufort und Umgegend zu verweilen gezwungen waren, auf nützliche
Weise zu verwerthen. Besonders lag uns daran, eine Tour nach Port Royal-
Ferry zu machen, um das Terrain genau kennen zu lernen und einen Einblick
in die relative Stellung der beiden sich gegenüberstehenden Truppencorps zu
gewinnen. Wir erlangten zu diesem Zweck Pässe aus dem Hauptquartier, um


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[0278] Der „d1u«z rum" hatte auf unser schwächeres Nervensystem, unterstützt von der Aufregung der wechselvollen Scenen des Abends, obwohl in weit gerin¬ gerer Quantität als von den Uebrigen genossen, einen höchst bejammernswerthen Eindruck gemacht und uns in eine Art lethargischen Zustand versetzt, der gegen die Außenwelt so ziemlich gleichgültig machte und den ganzen Tumult ruhig mit ansehn ließ, als ob sich das so von selbst verstände. Wir ließen uns dann auch ohne den geringsten Versuch zur Widersetzlichkeit auf eine Pritsche legen, welche für ein Bett gelten sollte, und auf der wir den Schlaf der Gerechten schliefen. Das Erwachen zum jüngsten Gericht kann dem Sünder nicht schreck¬ licher sein, als das Erwachen, welches diesem Schlafe folgte. schauernd vor Kälte (denn von Bedeckung war in der Hitze des Gefechts ganz abgesehen wor¬ den), förmlich durchnäßt von dem schweren Thau, welcher in das offen gelassene Zelt gedrungen war, von dem unbequemen Lager steif in allen Gliedern und dazu fieberhaft aufgeregt durch die Nachwehen unsrer Libationen vom vorher¬ gehenden Abend, bedurften wir erst einiger Zeit, um uns in unsere Situation zu finden, und fanden wir sie nichts weniger als tröstlich, als wir sie vollkom¬ men begriffen hatten. Es war gegen fünf Uhr Morgens, als wir dje Grenzen des verhängniß- vollen Lagers überschritten, um durch einen anstrengenden Spaziergang den Folgen unsrer Extravaganzen vorzubeugen und der Gastfreundschaft des Hoch¬ landes für immer zu entsagen. Die Sonne ging eben auf und säumte den Horizont mit einem herrlichen Purpurstreifen; das lustige Volk des Waldes war schon munter und jubelte uns in hundert verschiedenen Tonarten entgegen; aber was war uns Hekuba! Uns erfreute weder Sonne noch Vogelsang; wir hat¬ ten keinen Sinn für das Erwachen der Natur, für die Waldesfrische, welche sonst einen so erquickenden Einfluß auf den Wanderer übt, wir strebten nur rastlos vorwärts, bis uns die Anstrengung in eine wohlthuende Perforation versetzte, auf welche eine todtenähnliche Müdigkeit folgte. Die Sonne schien schon warm auf uns herab; wir suchten uns einen passenden Platz aus und streckten uns auf dem weichen Waldmoose nieder, welches den ganzen Boden in üppiger Fülle überwucherte. Es war Mittag vorüber, als wir Beaufort wieder erreichten, nachdem wir, da zum Glück unsere Geschäfte mit den Hochländern beendigt waren, deren Lager sorgfältig vermieden hatten. Nachdem uns hier ein Bekannter meines Ge¬ fährten zu einem Frühstück verhelfen, dachten wir daran, die Zeit, welche wir noch in Beaufort und Umgegend zu verweilen gezwungen waren, auf nützliche Weise zu verwerthen. Besonders lag uns daran, eine Tour nach Port Royal- Ferry zu machen, um das Terrain genau kennen zu lernen und einen Einblick in die relative Stellung der beiden sich gegenüberstehenden Truppencorps zu gewinnen. Wir erlangten zu diesem Zweck Pässe aus dem Hauptquartier, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/278>, abgerufen am 20.10.2024.