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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Vereine: Sternes Schriften, eine französische Grammatik, Goldsmiths Über¬
setzung des Homer, Dumas Monte Christo, Popes Methaphysik, Bibel und
Gebetbücher, Scotts Romane :c., ein solches Konglomerat von Widerstreitenden
Elementen, daß sie offenbar nur Zeit und Zufall zusammengewürfelt haben
konnten. Die öffentliche Bibliothek, welche zugleich als' Schulraum diente, machte
einen nicht viel erfreulicheren Eindruck. Unter den circa tausend Banden, welche
sie enthielt, waren sehr wenig Classiker, nicht einmal ein Vollständiger Shakespeare.
Bücher metaphysischen Inhalts, Kirchengeschichten, Erbauungsbücher:c. befanden
sich neben Voltaire und Rousseau; die faulsten französischen Romane standen
neben ehrwürdigen Urkunden und durch ihr Alter theils werthvollen Chroniken;
aber nirgends Spuren einer sorgsamen Überwachung, einer liebenden Ordnung,
nirgends Spuren einer einsichtsvollen Benutzung!

Scenen, wie die oben erwähnten, wiederholten sich während meines Auf¬
enthalts in Beaufort fast stündlich. Wo die Sklaven unter Aufsicht zur Arbeit
geführt wurden, thaten sie ihre Schuldigkeit und wurden für ihre Arbeit gut
bezahlt; wo sie dem Pietismus in die Hände fielen, saulenzten sie auf eine
wahrhaft luxuriöse Weise. Auch die Häuser, welche nicht vom Militärcom-
mando in Anspruch genommen wurden (die Truppen lagen alle in Zelten, und
nur den höheren Offizieren war es erlaubt, von den festen Wohnungen Ge¬
brauch zu machen) hatten die Schwarzen besetzt und sich auf ihre Weise in
"Massas" Hinterlassenschaft eingerichtet.

General Stevens Commando bestand aus ca. 5000 Mann, meistens In--
fanteric, ein paar Schwadronen Vermont-Cavallerie und einigen Geschützen.
Die pennsylvanischen "Roundheads", einige Michigan-Regimenter und das neun¬
undsiebzigste New-Aork-Regiment theilten sich in den beschwerlichen Vorposten¬
dienst, welcher bei der bedeutenden Ausdehnung der Linien immer mehre hundert
Mann in Anspruch nahm. Mit den "Hochländern" hatten wir es im Besondern
zu thun und wurden von den Offizieren derselben mit echt schottischer Gastfreund¬
schaft, aber leider auch echt schottischer Armuth aufgenommen. Die "Messe",
zu der wir sofort eingeladen jwurden, bestand aus zwei Gerichten, bei welchen
ich jedoch keinen andern Geschmack als den von Pfeffer und Salz in furcht¬
baren Quantitäten unterscheiden konnte. Beim zweiten Bissen standen mir
schon die Thränen in den Augen, während die Tartanmänner mit einem Hel¬
denmuth zugriffen, welcher einer bessern Sache würdig war. Als ich versuchte,
die Wirkungen der scharfen Gewürze durch das Getränk zu mildern, welches
man uns vorgesetzt hatte, kam ich erst recht vom Regen in die Traufe: Es
war eine Mischung, welche in New-Uork unter dem Namen "bins ruiu" oder
"^örL^ liMmuZ" bekannt ist und aus schlechtem Alkohol mit Marmorabfällen
fabricirt wird. Ich dachte lebhaft an Selbstverbrennung, als ich das höllische
Naß meine Kehle hinuntergleiten ließ und wunderte mich im Stillen, daß


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setzung des Homer, Dumas Monte Christo, Popes Methaphysik, Bibel und
Gebetbücher, Scotts Romane :c., ein solches Konglomerat von Widerstreitenden
Elementen, daß sie offenbar nur Zeit und Zufall zusammengewürfelt haben
konnten. Die öffentliche Bibliothek, welche zugleich als' Schulraum diente, machte
einen nicht viel erfreulicheren Eindruck. Unter den circa tausend Banden, welche
sie enthielt, waren sehr wenig Classiker, nicht einmal ein Vollständiger Shakespeare.
Bücher metaphysischen Inhalts, Kirchengeschichten, Erbauungsbücher:c. befanden
sich neben Voltaire und Rousseau; die faulsten französischen Romane standen
neben ehrwürdigen Urkunden und durch ihr Alter theils werthvollen Chroniken;
aber nirgends Spuren einer sorgsamen Überwachung, einer liebenden Ordnung,
nirgends Spuren einer einsichtsvollen Benutzung!

Scenen, wie die oben erwähnten, wiederholten sich während meines Auf¬
enthalts in Beaufort fast stündlich. Wo die Sklaven unter Aufsicht zur Arbeit
geführt wurden, thaten sie ihre Schuldigkeit und wurden für ihre Arbeit gut
bezahlt; wo sie dem Pietismus in die Hände fielen, saulenzten sie auf eine
wahrhaft luxuriöse Weise. Auch die Häuser, welche nicht vom Militärcom-
mando in Anspruch genommen wurden (die Truppen lagen alle in Zelten, und
nur den höheren Offizieren war es erlaubt, von den festen Wohnungen Ge¬
brauch zu machen) hatten die Schwarzen besetzt und sich auf ihre Weise in
„Massas" Hinterlassenschaft eingerichtet.

General Stevens Commando bestand aus ca. 5000 Mann, meistens In--
fanteric, ein paar Schwadronen Vermont-Cavallerie und einigen Geschützen.
Die pennsylvanischen „Roundheads", einige Michigan-Regimenter und das neun¬
undsiebzigste New-Aork-Regiment theilten sich in den beschwerlichen Vorposten¬
dienst, welcher bei der bedeutenden Ausdehnung der Linien immer mehre hundert
Mann in Anspruch nahm. Mit den „Hochländern" hatten wir es im Besondern
zu thun und wurden von den Offizieren derselben mit echt schottischer Gastfreund¬
schaft, aber leider auch echt schottischer Armuth aufgenommen. Die „Messe",
zu der wir sofort eingeladen jwurden, bestand aus zwei Gerichten, bei welchen
ich jedoch keinen andern Geschmack als den von Pfeffer und Salz in furcht¬
baren Quantitäten unterscheiden konnte. Beim zweiten Bissen standen mir
schon die Thränen in den Augen, während die Tartanmänner mit einem Hel¬
denmuth zugriffen, welcher einer bessern Sache würdig war. Als ich versuchte,
die Wirkungen der scharfen Gewürze durch das Getränk zu mildern, welches
man uns vorgesetzt hatte, kam ich erst recht vom Regen in die Traufe: Es
war eine Mischung, welche in New-Uork unter dem Namen „bins ruiu" oder
„^örL^ liMmuZ" bekannt ist und aus schlechtem Alkohol mit Marmorabfällen
fabricirt wird. Ich dachte lebhaft an Selbstverbrennung, als ich das höllische
Naß meine Kehle hinuntergleiten ließ und wunderte mich im Stillen, daß


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[0275] Vereine: Sternes Schriften, eine französische Grammatik, Goldsmiths Über¬ setzung des Homer, Dumas Monte Christo, Popes Methaphysik, Bibel und Gebetbücher, Scotts Romane :c., ein solches Konglomerat von Widerstreitenden Elementen, daß sie offenbar nur Zeit und Zufall zusammengewürfelt haben konnten. Die öffentliche Bibliothek, welche zugleich als' Schulraum diente, machte einen nicht viel erfreulicheren Eindruck. Unter den circa tausend Banden, welche sie enthielt, waren sehr wenig Classiker, nicht einmal ein Vollständiger Shakespeare. Bücher metaphysischen Inhalts, Kirchengeschichten, Erbauungsbücher:c. befanden sich neben Voltaire und Rousseau; die faulsten französischen Romane standen neben ehrwürdigen Urkunden und durch ihr Alter theils werthvollen Chroniken; aber nirgends Spuren einer sorgsamen Überwachung, einer liebenden Ordnung, nirgends Spuren einer einsichtsvollen Benutzung! Scenen, wie die oben erwähnten, wiederholten sich während meines Auf¬ enthalts in Beaufort fast stündlich. Wo die Sklaven unter Aufsicht zur Arbeit geführt wurden, thaten sie ihre Schuldigkeit und wurden für ihre Arbeit gut bezahlt; wo sie dem Pietismus in die Hände fielen, saulenzten sie auf eine wahrhaft luxuriöse Weise. Auch die Häuser, welche nicht vom Militärcom- mando in Anspruch genommen wurden (die Truppen lagen alle in Zelten, und nur den höheren Offizieren war es erlaubt, von den festen Wohnungen Ge¬ brauch zu machen) hatten die Schwarzen besetzt und sich auf ihre Weise in „Massas" Hinterlassenschaft eingerichtet. General Stevens Commando bestand aus ca. 5000 Mann, meistens In-- fanteric, ein paar Schwadronen Vermont-Cavallerie und einigen Geschützen. Die pennsylvanischen „Roundheads", einige Michigan-Regimenter und das neun¬ undsiebzigste New-Aork-Regiment theilten sich in den beschwerlichen Vorposten¬ dienst, welcher bei der bedeutenden Ausdehnung der Linien immer mehre hundert Mann in Anspruch nahm. Mit den „Hochländern" hatten wir es im Besondern zu thun und wurden von den Offizieren derselben mit echt schottischer Gastfreund¬ schaft, aber leider auch echt schottischer Armuth aufgenommen. Die „Messe", zu der wir sofort eingeladen jwurden, bestand aus zwei Gerichten, bei welchen ich jedoch keinen andern Geschmack als den von Pfeffer und Salz in furcht¬ baren Quantitäten unterscheiden konnte. Beim zweiten Bissen standen mir schon die Thränen in den Augen, während die Tartanmänner mit einem Hel¬ denmuth zugriffen, welcher einer bessern Sache würdig war. Als ich versuchte, die Wirkungen der scharfen Gewürze durch das Getränk zu mildern, welches man uns vorgesetzt hatte, kam ich erst recht vom Regen in die Traufe: Es war eine Mischung, welche in New-Uork unter dem Namen „bins ruiu" oder „^örL^ liMmuZ" bekannt ist und aus schlechtem Alkohol mit Marmorabfällen fabricirt wird. Ich dachte lebhaft an Selbstverbrennung, als ich das höllische Naß meine Kehle hinuntergleiten ließ und wunderte mich im Stillen, daß 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/275>, abgerufen am 20.10.2024.