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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Das Kriegsjahr 1859 kam: alle Gagerns glühten für Deutschlands Theil¬
nahme am Kampfe an Oestreichs Seite. Damals wird es gewesen sein, wo sich
in Heinrich v. Gagerns Seele") der Uebertritt auf seinen jetzigen Standpunkt
definitiv vollzog. In Weimar hat er ihn ausgesprochen: östreichisch-preußische
Centralgewalt, geeinigt durch den Druck eines deutschen Parlaments; und da
er dort schlechterdings gar keinen Anklang fand, sondern auf lauter Anhänger
seiner eigenen alten Richtung traf, so ging er nach Frankfurt, um, vielleicht
mit einigem Widerstreben, die grvßdeutsche Partei organisiren zu helfen. Eine
tragische Konversion! Psychologisch freilich sehr erklärlich, aber doch eine starke
Probe für die Pietät vor einem achtungswerthen Charakter. Wir betrachten diese
Bekehrung als eines der schmerzlichsten Opfer, die uns der erste verunglückte
Anlauf zum nationalen'Staat gekostet hat.

H. v. Gagern, der die Rcformanträge der acht Regierungen für noch nicht
reif zur Beurtheilung erklärt wissen wollte -- in Weimar freilich hatte er sie
reif gesunden, aber für ein Verdammungsurtheil --, erlangte in Frankfurt
kaum ein Dutzend Anhänger unter 3--400; und M. Mohl, indem er der
Delcgirtenversammlung ein nationales Parlament gegenüberstellte, hatte nur
ungefähr zwei Dutzend Gesinnungsgenossen. So stark wär die Mehrheit für
einfache Unterstützung des östreichisch-mittelstaatlichen Reformprojects. Die
Faiseurs der Versammlung, wohl begreifend, daß eine schwache Mehrheit so viel
bedeuten werde wie eine Verurtheilung, hatten alle Künste aufgeboten, um die
Bildung einer starken und geschlossenen Minderheit zu vereiteln. Der vor¬
bereitende engere Ausschuß ist deshalb nie bekannt geworden; man kann blos
vermuthen, daß v. Wydenbrugk, Fröbel, v. Varnbüler, Weis, v. Lerchenfeld
u. s. w. in ihm nicht gefehlt haben. Ebenso geheim hielt man selbst den früh
eintreffenden unbekannten Theilnehmern das vorzulegende Programm und die
Namen der Eingezeichneten. M. Mohl half sich daher so gut er konnte, als
er sein Gcgenprogramm rechtzeitig veröffentlichte. Aber wer von weniger
blindem Preußenhaß getrieben wurde, der sah leicht, daß er Gefahr lief, sich
als leidender Theil in eine schlau abgekartete Komödie verwickeln zu lassen.
Als man dann seiner Sache hinlänglich sicher war, wurden die Eingefangenen
mit der schmeichelhaftesten Courtoisie behandelt und erhielten die Ehrenplätze-
Ja, nachträglich scheint man sogar nicht abgeneigt, die Nothesten der Rothen
zu dem fertigen Programm heranzuziehen, vorausgesetzt nur, daß sie Preußen
so rechtschaffen hassen wie Moritz Mohl und der Freiherr v. Lerchenfeld.

Herr v. Lerchenfeld hat übrigens in Frankfurt vor der Welt die Rolle
nicht gespielt, die man ihm zutraute. Die Zuhörer, selbst die voreingenommenen.



"> crmuthlich durch Einwirkung des Wiener Bruders, der schon früher in wichtigen
D. Red. Frage" für ihn gedacht, ihm vorempfundcn haben soll.

Das Kriegsjahr 1859 kam: alle Gagerns glühten für Deutschlands Theil¬
nahme am Kampfe an Oestreichs Seite. Damals wird es gewesen sein, wo sich
in Heinrich v. Gagerns Seele") der Uebertritt auf seinen jetzigen Standpunkt
definitiv vollzog. In Weimar hat er ihn ausgesprochen: östreichisch-preußische
Centralgewalt, geeinigt durch den Druck eines deutschen Parlaments; und da
er dort schlechterdings gar keinen Anklang fand, sondern auf lauter Anhänger
seiner eigenen alten Richtung traf, so ging er nach Frankfurt, um, vielleicht
mit einigem Widerstreben, die grvßdeutsche Partei organisiren zu helfen. Eine
tragische Konversion! Psychologisch freilich sehr erklärlich, aber doch eine starke
Probe für die Pietät vor einem achtungswerthen Charakter. Wir betrachten diese
Bekehrung als eines der schmerzlichsten Opfer, die uns der erste verunglückte
Anlauf zum nationalen'Staat gekostet hat.

H. v. Gagern, der die Rcformanträge der acht Regierungen für noch nicht
reif zur Beurtheilung erklärt wissen wollte — in Weimar freilich hatte er sie
reif gesunden, aber für ein Verdammungsurtheil —, erlangte in Frankfurt
kaum ein Dutzend Anhänger unter 3—400; und M. Mohl, indem er der
Delcgirtenversammlung ein nationales Parlament gegenüberstellte, hatte nur
ungefähr zwei Dutzend Gesinnungsgenossen. So stark wär die Mehrheit für
einfache Unterstützung des östreichisch-mittelstaatlichen Reformprojects. Die
Faiseurs der Versammlung, wohl begreifend, daß eine schwache Mehrheit so viel
bedeuten werde wie eine Verurtheilung, hatten alle Künste aufgeboten, um die
Bildung einer starken und geschlossenen Minderheit zu vereiteln. Der vor¬
bereitende engere Ausschuß ist deshalb nie bekannt geworden; man kann blos
vermuthen, daß v. Wydenbrugk, Fröbel, v. Varnbüler, Weis, v. Lerchenfeld
u. s. w. in ihm nicht gefehlt haben. Ebenso geheim hielt man selbst den früh
eintreffenden unbekannten Theilnehmern das vorzulegende Programm und die
Namen der Eingezeichneten. M. Mohl half sich daher so gut er konnte, als
er sein Gcgenprogramm rechtzeitig veröffentlichte. Aber wer von weniger
blindem Preußenhaß getrieben wurde, der sah leicht, daß er Gefahr lief, sich
als leidender Theil in eine schlau abgekartete Komödie verwickeln zu lassen.
Als man dann seiner Sache hinlänglich sicher war, wurden die Eingefangenen
mit der schmeichelhaftesten Courtoisie behandelt und erhielten die Ehrenplätze-
Ja, nachträglich scheint man sogar nicht abgeneigt, die Nothesten der Rothen
zu dem fertigen Programm heranzuziehen, vorausgesetzt nur, daß sie Preußen
so rechtschaffen hassen wie Moritz Mohl und der Freiherr v. Lerchenfeld.

Herr v. Lerchenfeld hat übrigens in Frankfurt vor der Welt die Rolle
nicht gespielt, die man ihm zutraute. Die Zuhörer, selbst die voreingenommenen.



"> crmuthlich durch Einwirkung des Wiener Bruders, der schon früher in wichtigen
D. Red. Frage» für ihn gedacht, ihm vorempfundcn haben soll.
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[0254] Das Kriegsjahr 1859 kam: alle Gagerns glühten für Deutschlands Theil¬ nahme am Kampfe an Oestreichs Seite. Damals wird es gewesen sein, wo sich in Heinrich v. Gagerns Seele") der Uebertritt auf seinen jetzigen Standpunkt definitiv vollzog. In Weimar hat er ihn ausgesprochen: östreichisch-preußische Centralgewalt, geeinigt durch den Druck eines deutschen Parlaments; und da er dort schlechterdings gar keinen Anklang fand, sondern auf lauter Anhänger seiner eigenen alten Richtung traf, so ging er nach Frankfurt, um, vielleicht mit einigem Widerstreben, die grvßdeutsche Partei organisiren zu helfen. Eine tragische Konversion! Psychologisch freilich sehr erklärlich, aber doch eine starke Probe für die Pietät vor einem achtungswerthen Charakter. Wir betrachten diese Bekehrung als eines der schmerzlichsten Opfer, die uns der erste verunglückte Anlauf zum nationalen'Staat gekostet hat. H. v. Gagern, der die Rcformanträge der acht Regierungen für noch nicht reif zur Beurtheilung erklärt wissen wollte — in Weimar freilich hatte er sie reif gesunden, aber für ein Verdammungsurtheil —, erlangte in Frankfurt kaum ein Dutzend Anhänger unter 3—400; und M. Mohl, indem er der Delcgirtenversammlung ein nationales Parlament gegenüberstellte, hatte nur ungefähr zwei Dutzend Gesinnungsgenossen. So stark wär die Mehrheit für einfache Unterstützung des östreichisch-mittelstaatlichen Reformprojects. Die Faiseurs der Versammlung, wohl begreifend, daß eine schwache Mehrheit so viel bedeuten werde wie eine Verurtheilung, hatten alle Künste aufgeboten, um die Bildung einer starken und geschlossenen Minderheit zu vereiteln. Der vor¬ bereitende engere Ausschuß ist deshalb nie bekannt geworden; man kann blos vermuthen, daß v. Wydenbrugk, Fröbel, v. Varnbüler, Weis, v. Lerchenfeld u. s. w. in ihm nicht gefehlt haben. Ebenso geheim hielt man selbst den früh eintreffenden unbekannten Theilnehmern das vorzulegende Programm und die Namen der Eingezeichneten. M. Mohl half sich daher so gut er konnte, als er sein Gcgenprogramm rechtzeitig veröffentlichte. Aber wer von weniger blindem Preußenhaß getrieben wurde, der sah leicht, daß er Gefahr lief, sich als leidender Theil in eine schlau abgekartete Komödie verwickeln zu lassen. Als man dann seiner Sache hinlänglich sicher war, wurden die Eingefangenen mit der schmeichelhaftesten Courtoisie behandelt und erhielten die Ehrenplätze- Ja, nachträglich scheint man sogar nicht abgeneigt, die Nothesten der Rothen zu dem fertigen Programm heranzuziehen, vorausgesetzt nur, daß sie Preußen so rechtschaffen hassen wie Moritz Mohl und der Freiherr v. Lerchenfeld. Herr v. Lerchenfeld hat übrigens in Frankfurt vor der Welt die Rolle nicht gespielt, die man ihm zutraute. Die Zuhörer, selbst die voreingenommenen. "> crmuthlich durch Einwirkung des Wiener Bruders, der schon früher in wichtigen D. Red. Frage» für ihn gedacht, ihm vorempfundcn haben soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/254>, abgerufen am 20.10.2024.