Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Der erste Tag der Versammlung ging nicht vorüber, ohne den lagerten
Junkern diese Schattenseiten einer nationalen Agitation empfindlich zu Gemüthe
zu führen. Der ehrliche und in Allem fanatische Mohl, so vereinzelt er sich
fühlen mußte, ließ es sich gleichwohl nicht nehmen, seinem Mißtrauen gegen
die Tendenzen des ihn umgebenden Adels Worte zu leihen, gleichsam zur Recht¬
fertigung seines Erscheinens vor dem demokratischen Publicum daheim. Ein
hannoverscher Junker, Schatzratb v. Rössing, nahm die Herausforderung zwar
keck genug, auf; aber sein würtembergischer Standesgenoß v. Varnbüler be¬
lehrte ihn alsbald durch begütigende Ablenkung, daß dies nicht der Ort sei. um
Interessen des Adels zu vertreten. Mohl behauptete nicht allein seinen Stand,
er wurde auch nachher noch mehr als vorher mit einer Aufmerksamkeit behan¬
delt, die deutlich zeigte, welchen unendlichen Werth man auf seine Theilnahme
legte.

Aus ähnlichen Beweggründen ging das Verfahren hervor, das man gegen
den berühmtesten Besucher der Versammlung, gegen Heinrich von Gagern beob¬
achtete. Daß er da sein werde, war nach seinem Fiasco in Weimar allerdings
nicht sehr überraschend mehr. Aber ob er selbst mit der Erwartung nach Frank¬
furt gegangen ist, als Mitbegründer einer großdeutschen Partei heimzukehren,
wird man vielleicht noch bezweifeln dürfen. Er kannte ja ohne Zweifel die
grundsätzliche Abweichung seines Standpunktes von dein der Entrepreneure. Er
wußte, daß sie zusammenkämen, um die Nechbergschen Delegirte" flügge machen
zu helfen, von deren Fluge er sich schlechterdings nichts versprechen konnte.
Warum ließ er sich also in den Ausschuß zur Entwerfung der Statuten eines
grvßdeutschen Vereins ziehen, der doch das unannehmbare Programm nur zu
verwirklichen bestimmt sein konnte?

Herr v. Wydenbrugk freilich wußte wohl, was er that, als er vom Bureau
herab hinter dem berühmten Redner der Versammlung heftig zuwinkte, sich zu
seiner Bewillkommnung von ihren Sitzen zu erheben. Herr v. Varnbüler wußte
es, als er den ersten Platz im Statuten-Ausschuß für Herrn v. Gagern offen
hielt, und die ganze Versammlung verstand mehr oder weniger ihre Acquisition
zu schätzen, indem sie gewohnheitsmäßig wohl einmal auch da applaudirte, wo
das ehemalige Haupt der Gothaer den Gedanken rechtfertigte, zu dessen Be¬
kämpfung man zusammengetreten war. Er rechtfertigte ihn allerdings nur
für die Vergangenheit, nicht für die Gegenwart. Der Gedanke der preußischen
Spitze ist Herrn v. Gagern zufolge richtig gewesen, als er noch erst in kleinen
Kreisen begriffen und gewürdigt wurde; er ist falsch, seitdem Millionen sich mit
der Ueberzeugung durchdrungen haben, daß nur auf diesem Wege Heil für
Deutschland sei. Hat etwa die Bekehrung der demokratischen Partei im ganzen
deutschen Norden zu diesem Gedanken dessen hauptsächlichsten Urheber stutzig
gemacht? Aber die constitutionelle Partei hat ihn darum doch nicht aufgegeben;


Der erste Tag der Versammlung ging nicht vorüber, ohne den lagerten
Junkern diese Schattenseiten einer nationalen Agitation empfindlich zu Gemüthe
zu führen. Der ehrliche und in Allem fanatische Mohl, so vereinzelt er sich
fühlen mußte, ließ es sich gleichwohl nicht nehmen, seinem Mißtrauen gegen
die Tendenzen des ihn umgebenden Adels Worte zu leihen, gleichsam zur Recht¬
fertigung seines Erscheinens vor dem demokratischen Publicum daheim. Ein
hannoverscher Junker, Schatzratb v. Rössing, nahm die Herausforderung zwar
keck genug, auf; aber sein würtembergischer Standesgenoß v. Varnbüler be¬
lehrte ihn alsbald durch begütigende Ablenkung, daß dies nicht der Ort sei. um
Interessen des Adels zu vertreten. Mohl behauptete nicht allein seinen Stand,
er wurde auch nachher noch mehr als vorher mit einer Aufmerksamkeit behan¬
delt, die deutlich zeigte, welchen unendlichen Werth man auf seine Theilnahme
legte.

Aus ähnlichen Beweggründen ging das Verfahren hervor, das man gegen
den berühmtesten Besucher der Versammlung, gegen Heinrich von Gagern beob¬
achtete. Daß er da sein werde, war nach seinem Fiasco in Weimar allerdings
nicht sehr überraschend mehr. Aber ob er selbst mit der Erwartung nach Frank¬
furt gegangen ist, als Mitbegründer einer großdeutschen Partei heimzukehren,
wird man vielleicht noch bezweifeln dürfen. Er kannte ja ohne Zweifel die
grundsätzliche Abweichung seines Standpunktes von dein der Entrepreneure. Er
wußte, daß sie zusammenkämen, um die Nechbergschen Delegirte» flügge machen
zu helfen, von deren Fluge er sich schlechterdings nichts versprechen konnte.
Warum ließ er sich also in den Ausschuß zur Entwerfung der Statuten eines
grvßdeutschen Vereins ziehen, der doch das unannehmbare Programm nur zu
verwirklichen bestimmt sein konnte?

Herr v. Wydenbrugk freilich wußte wohl, was er that, als er vom Bureau
herab hinter dem berühmten Redner der Versammlung heftig zuwinkte, sich zu
seiner Bewillkommnung von ihren Sitzen zu erheben. Herr v. Varnbüler wußte
es, als er den ersten Platz im Statuten-Ausschuß für Herrn v. Gagern offen
hielt, und die ganze Versammlung verstand mehr oder weniger ihre Acquisition
zu schätzen, indem sie gewohnheitsmäßig wohl einmal auch da applaudirte, wo
das ehemalige Haupt der Gothaer den Gedanken rechtfertigte, zu dessen Be¬
kämpfung man zusammengetreten war. Er rechtfertigte ihn allerdings nur
für die Vergangenheit, nicht für die Gegenwart. Der Gedanke der preußischen
Spitze ist Herrn v. Gagern zufolge richtig gewesen, als er noch erst in kleinen
Kreisen begriffen und gewürdigt wurde; er ist falsch, seitdem Millionen sich mit
der Ueberzeugung durchdrungen haben, daß nur auf diesem Wege Heil für
Deutschland sei. Hat etwa die Bekehrung der demokratischen Partei im ganzen
deutschen Norden zu diesem Gedanken dessen hauptsächlichsten Urheber stutzig
gemacht? Aber die constitutionelle Partei hat ihn darum doch nicht aufgegeben;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115104"/>
          <p xml:id="ID_790"> Der erste Tag der Versammlung ging nicht vorüber, ohne den lagerten<lb/>
Junkern diese Schattenseiten einer nationalen Agitation empfindlich zu Gemüthe<lb/>
zu führen. Der ehrliche und in Allem fanatische Mohl, so vereinzelt er sich<lb/>
fühlen mußte, ließ es sich gleichwohl nicht nehmen, seinem Mißtrauen gegen<lb/>
die Tendenzen des ihn umgebenden Adels Worte zu leihen, gleichsam zur Recht¬<lb/>
fertigung seines Erscheinens vor dem demokratischen Publicum daheim. Ein<lb/>
hannoverscher Junker, Schatzratb v. Rössing, nahm die Herausforderung zwar<lb/>
keck genug, auf; aber sein würtembergischer Standesgenoß v. Varnbüler be¬<lb/>
lehrte ihn alsbald durch begütigende Ablenkung, daß dies nicht der Ort sei. um<lb/>
Interessen des Adels zu vertreten. Mohl behauptete nicht allein seinen Stand,<lb/>
er wurde auch nachher noch mehr als vorher mit einer Aufmerksamkeit behan¬<lb/>
delt, die deutlich zeigte, welchen unendlichen Werth man auf seine Theilnahme<lb/>
legte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_791"> Aus ähnlichen Beweggründen ging das Verfahren hervor, das man gegen<lb/>
den berühmtesten Besucher der Versammlung, gegen Heinrich von Gagern beob¬<lb/>
achtete. Daß er da sein werde, war nach seinem Fiasco in Weimar allerdings<lb/>
nicht sehr überraschend mehr. Aber ob er selbst mit der Erwartung nach Frank¬<lb/>
furt gegangen ist, als Mitbegründer einer großdeutschen Partei heimzukehren,<lb/>
wird man vielleicht noch bezweifeln dürfen. Er kannte ja ohne Zweifel die<lb/>
grundsätzliche Abweichung seines Standpunktes von dein der Entrepreneure. Er<lb/>
wußte, daß sie zusammenkämen, um die Nechbergschen Delegirte» flügge machen<lb/>
zu helfen, von deren Fluge er sich schlechterdings nichts versprechen konnte.<lb/>
Warum ließ er sich also in den Ausschuß zur Entwerfung der Statuten eines<lb/>
grvßdeutschen Vereins ziehen, der doch das unannehmbare Programm nur zu<lb/>
verwirklichen bestimmt sein konnte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_792" next="#ID_793"> Herr v. Wydenbrugk freilich wußte wohl, was er that, als er vom Bureau<lb/>
herab hinter dem berühmten Redner der Versammlung heftig zuwinkte, sich zu<lb/>
seiner Bewillkommnung von ihren Sitzen zu erheben. Herr v. Varnbüler wußte<lb/>
es, als er den ersten Platz im Statuten-Ausschuß für Herrn v. Gagern offen<lb/>
hielt, und die ganze Versammlung verstand mehr oder weniger ihre Acquisition<lb/>
zu schätzen, indem sie gewohnheitsmäßig wohl einmal auch da applaudirte, wo<lb/>
das ehemalige Haupt der Gothaer den Gedanken rechtfertigte, zu dessen Be¬<lb/>
kämpfung man zusammengetreten war. Er rechtfertigte ihn allerdings nur<lb/>
für die Vergangenheit, nicht für die Gegenwart. Der Gedanke der preußischen<lb/>
Spitze ist Herrn v. Gagern zufolge richtig gewesen, als er noch erst in kleinen<lb/>
Kreisen begriffen und gewürdigt wurde; er ist falsch, seitdem Millionen sich mit<lb/>
der Ueberzeugung durchdrungen haben, daß nur auf diesem Wege Heil für<lb/>
Deutschland sei. Hat etwa die Bekehrung der demokratischen Partei im ganzen<lb/>
deutschen Norden zu diesem Gedanken dessen hauptsächlichsten Urheber stutzig<lb/>
gemacht? Aber die constitutionelle Partei hat ihn darum doch nicht aufgegeben;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0252] Der erste Tag der Versammlung ging nicht vorüber, ohne den lagerten Junkern diese Schattenseiten einer nationalen Agitation empfindlich zu Gemüthe zu führen. Der ehrliche und in Allem fanatische Mohl, so vereinzelt er sich fühlen mußte, ließ es sich gleichwohl nicht nehmen, seinem Mißtrauen gegen die Tendenzen des ihn umgebenden Adels Worte zu leihen, gleichsam zur Recht¬ fertigung seines Erscheinens vor dem demokratischen Publicum daheim. Ein hannoverscher Junker, Schatzratb v. Rössing, nahm die Herausforderung zwar keck genug, auf; aber sein würtembergischer Standesgenoß v. Varnbüler be¬ lehrte ihn alsbald durch begütigende Ablenkung, daß dies nicht der Ort sei. um Interessen des Adels zu vertreten. Mohl behauptete nicht allein seinen Stand, er wurde auch nachher noch mehr als vorher mit einer Aufmerksamkeit behan¬ delt, die deutlich zeigte, welchen unendlichen Werth man auf seine Theilnahme legte. Aus ähnlichen Beweggründen ging das Verfahren hervor, das man gegen den berühmtesten Besucher der Versammlung, gegen Heinrich von Gagern beob¬ achtete. Daß er da sein werde, war nach seinem Fiasco in Weimar allerdings nicht sehr überraschend mehr. Aber ob er selbst mit der Erwartung nach Frank¬ furt gegangen ist, als Mitbegründer einer großdeutschen Partei heimzukehren, wird man vielleicht noch bezweifeln dürfen. Er kannte ja ohne Zweifel die grundsätzliche Abweichung seines Standpunktes von dein der Entrepreneure. Er wußte, daß sie zusammenkämen, um die Nechbergschen Delegirte» flügge machen zu helfen, von deren Fluge er sich schlechterdings nichts versprechen konnte. Warum ließ er sich also in den Ausschuß zur Entwerfung der Statuten eines grvßdeutschen Vereins ziehen, der doch das unannehmbare Programm nur zu verwirklichen bestimmt sein konnte? Herr v. Wydenbrugk freilich wußte wohl, was er that, als er vom Bureau herab hinter dem berühmten Redner der Versammlung heftig zuwinkte, sich zu seiner Bewillkommnung von ihren Sitzen zu erheben. Herr v. Varnbüler wußte es, als er den ersten Platz im Statuten-Ausschuß für Herrn v. Gagern offen hielt, und die ganze Versammlung verstand mehr oder weniger ihre Acquisition zu schätzen, indem sie gewohnheitsmäßig wohl einmal auch da applaudirte, wo das ehemalige Haupt der Gothaer den Gedanken rechtfertigte, zu dessen Be¬ kämpfung man zusammengetreten war. Er rechtfertigte ihn allerdings nur für die Vergangenheit, nicht für die Gegenwart. Der Gedanke der preußischen Spitze ist Herrn v. Gagern zufolge richtig gewesen, als er noch erst in kleinen Kreisen begriffen und gewürdigt wurde; er ist falsch, seitdem Millionen sich mit der Ueberzeugung durchdrungen haben, daß nur auf diesem Wege Heil für Deutschland sei. Hat etwa die Bekehrung der demokratischen Partei im ganzen deutschen Norden zu diesem Gedanken dessen hauptsächlichsten Urheber stutzig gemacht? Aber die constitutionelle Partei hat ihn darum doch nicht aufgegeben;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/252
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/252>, abgerufen am 20.10.2024.