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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Die in die Kirche eingerückten Truppen sperren das Mittelschiff, den Raum
um den Hochaltar und das rechte Kreuzschiff, wo die Fußwaschung vorgenommen
werden soll, ab. Hier sind rechts und links Tribünen errichtet für die vor¬
nehmste Welt und für die Damen, die an großen Kirchenfesten schwarz gekleidet,
mit schwarzem herabwallenden Schleier erscheinen müssen. Wir sind durch
Frack und Cravatte befähigt das Parterre zwischen den Tribünen zu betreten.
Nachdem wir Paletot und Regenschirm der Obhut eines Garderobiers, der hin¬
ter der Kolossalstatue des heiligen Andreas sich etablirt hat, übergeben und den
kritischen Blick zweier in Stab! geharnischten, mit Partisanen bewehrten Schwei¬
zer ertragen haben, drängen wir uns in die bunte Versammlung jenes Par¬
terre's hinein. Da sind deutsche, englische, französische, spanische Uniformen, die
reiche Nationaltracht der Ungarn und Polen neben dem langen Kaftan der
Armenier und dem bescheidenen schwarzen Frack. Auch Sir John X., unser
alter Bekannter, ist da, als Schotte gekleidet, mit dem roth und grün gewürfel¬
ten Plaid seines Claus, mit Tartsche und Degen, nackten Beinen, in Erwar¬
tung eines Schnupfens, und Lady Fanny X. und die hübschen Misses sitzen
oben auf der Tribüne, und Mstr. U- und Mstr. Z. stolzieren in der Tracht der
Geomanry von Lancashire und Devonshire einher. Alle Sprachen der Welt
werden um uns gesprochen, rücksichtslos werden wir bald nach dieser, bald
nach jener Seite gestoßen. Auf den Tribünen sehen wir die alte spanische
Königin mit ihrem Gemahl Munnoz. Herzog von Rianzares, die neapolitanische
Königsfamilie, von der Königin Mutter bis zum jüngsten Sprößling herab,
die Gesandten aller Potentaten, die französische Generalität und aus den Damen¬
plätzen eine Anzahl Nonnen. Jedermann plaudert nach Belieben mit seinem
Nachbar; die ganze Versammlung ist sehr vergnügt, von religiöser Spannung
keine Rede. Einen Augenblick erregt ein russischer Offizier in abgetragener
Uniform, der betend mit dem Haupte aus den Stufen des päpstlichen Thrones
liegt, die allgemeine Aufmerksamkeit. Ein Bekannter, ein Kurländer, erzählt
uns von ihm folgende Geschichte: Der Mann war nach zwanzigjähriger
Dienstzeit mit dem Offiziercharakter belohnt worden und hatte beschlossen
sich zu verehelichen. Bevor er aber in die Ehe hineintrat, wollte er zu Gott
beten und sich reinigen, so sein eigener Ausdruck. Dieses Gebet und diese
Reinigung bestand in einer Wallfahrt nach Jerusalem zum Grabe des Erlösers
und nach Rom zum Grabe Petri. Er unternahm die Wallfahrt mit fünfzig
Rubel in der Tasche und ohne Kenntniß einer anderen Sprache als der rus¬
sischen, hatte bereits den ersten Theil seiner Pilgerreise vollendet und war eben
im Begriff den zweiten zu erfüllen. Welche Einfachheit, welche Demuth, welche
Erhabenheit in der Auffassungsweise von der Heiligkeit der Ehe in der Seele
dieses Steppensohnes! v

Mittag ist fast herangekommen, als neue zur Kirche hereinströmende


Grenzboten IV. t362. 3

Die in die Kirche eingerückten Truppen sperren das Mittelschiff, den Raum
um den Hochaltar und das rechte Kreuzschiff, wo die Fußwaschung vorgenommen
werden soll, ab. Hier sind rechts und links Tribünen errichtet für die vor¬
nehmste Welt und für die Damen, die an großen Kirchenfesten schwarz gekleidet,
mit schwarzem herabwallenden Schleier erscheinen müssen. Wir sind durch
Frack und Cravatte befähigt das Parterre zwischen den Tribünen zu betreten.
Nachdem wir Paletot und Regenschirm der Obhut eines Garderobiers, der hin¬
ter der Kolossalstatue des heiligen Andreas sich etablirt hat, übergeben und den
kritischen Blick zweier in Stab! geharnischten, mit Partisanen bewehrten Schwei¬
zer ertragen haben, drängen wir uns in die bunte Versammlung jenes Par¬
terre's hinein. Da sind deutsche, englische, französische, spanische Uniformen, die
reiche Nationaltracht der Ungarn und Polen neben dem langen Kaftan der
Armenier und dem bescheidenen schwarzen Frack. Auch Sir John X., unser
alter Bekannter, ist da, als Schotte gekleidet, mit dem roth und grün gewürfel¬
ten Plaid seines Claus, mit Tartsche und Degen, nackten Beinen, in Erwar¬
tung eines Schnupfens, und Lady Fanny X. und die hübschen Misses sitzen
oben auf der Tribüne, und Mstr. U- und Mstr. Z. stolzieren in der Tracht der
Geomanry von Lancashire und Devonshire einher. Alle Sprachen der Welt
werden um uns gesprochen, rücksichtslos werden wir bald nach dieser, bald
nach jener Seite gestoßen. Auf den Tribünen sehen wir die alte spanische
Königin mit ihrem Gemahl Munnoz. Herzog von Rianzares, die neapolitanische
Königsfamilie, von der Königin Mutter bis zum jüngsten Sprößling herab,
die Gesandten aller Potentaten, die französische Generalität und aus den Damen¬
plätzen eine Anzahl Nonnen. Jedermann plaudert nach Belieben mit seinem
Nachbar; die ganze Versammlung ist sehr vergnügt, von religiöser Spannung
keine Rede. Einen Augenblick erregt ein russischer Offizier in abgetragener
Uniform, der betend mit dem Haupte aus den Stufen des päpstlichen Thrones
liegt, die allgemeine Aufmerksamkeit. Ein Bekannter, ein Kurländer, erzählt
uns von ihm folgende Geschichte: Der Mann war nach zwanzigjähriger
Dienstzeit mit dem Offiziercharakter belohnt worden und hatte beschlossen
sich zu verehelichen. Bevor er aber in die Ehe hineintrat, wollte er zu Gott
beten und sich reinigen, so sein eigener Ausdruck. Dieses Gebet und diese
Reinigung bestand in einer Wallfahrt nach Jerusalem zum Grabe des Erlösers
und nach Rom zum Grabe Petri. Er unternahm die Wallfahrt mit fünfzig
Rubel in der Tasche und ohne Kenntniß einer anderen Sprache als der rus¬
sischen, hatte bereits den ersten Theil seiner Pilgerreise vollendet und war eben
im Begriff den zweiten zu erfüllen. Welche Einfachheit, welche Demuth, welche
Erhabenheit in der Auffassungsweise von der Heiligkeit der Ehe in der Seele
dieses Steppensohnes! v

Mittag ist fast herangekommen, als neue zur Kirche hereinströmende


Grenzboten IV. t362. 3
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[0025] Die in die Kirche eingerückten Truppen sperren das Mittelschiff, den Raum um den Hochaltar und das rechte Kreuzschiff, wo die Fußwaschung vorgenommen werden soll, ab. Hier sind rechts und links Tribünen errichtet für die vor¬ nehmste Welt und für die Damen, die an großen Kirchenfesten schwarz gekleidet, mit schwarzem herabwallenden Schleier erscheinen müssen. Wir sind durch Frack und Cravatte befähigt das Parterre zwischen den Tribünen zu betreten. Nachdem wir Paletot und Regenschirm der Obhut eines Garderobiers, der hin¬ ter der Kolossalstatue des heiligen Andreas sich etablirt hat, übergeben und den kritischen Blick zweier in Stab! geharnischten, mit Partisanen bewehrten Schwei¬ zer ertragen haben, drängen wir uns in die bunte Versammlung jenes Par¬ terre's hinein. Da sind deutsche, englische, französische, spanische Uniformen, die reiche Nationaltracht der Ungarn und Polen neben dem langen Kaftan der Armenier und dem bescheidenen schwarzen Frack. Auch Sir John X., unser alter Bekannter, ist da, als Schotte gekleidet, mit dem roth und grün gewürfel¬ ten Plaid seines Claus, mit Tartsche und Degen, nackten Beinen, in Erwar¬ tung eines Schnupfens, und Lady Fanny X. und die hübschen Misses sitzen oben auf der Tribüne, und Mstr. U- und Mstr. Z. stolzieren in der Tracht der Geomanry von Lancashire und Devonshire einher. Alle Sprachen der Welt werden um uns gesprochen, rücksichtslos werden wir bald nach dieser, bald nach jener Seite gestoßen. Auf den Tribünen sehen wir die alte spanische Königin mit ihrem Gemahl Munnoz. Herzog von Rianzares, die neapolitanische Königsfamilie, von der Königin Mutter bis zum jüngsten Sprößling herab, die Gesandten aller Potentaten, die französische Generalität und aus den Damen¬ plätzen eine Anzahl Nonnen. Jedermann plaudert nach Belieben mit seinem Nachbar; die ganze Versammlung ist sehr vergnügt, von religiöser Spannung keine Rede. Einen Augenblick erregt ein russischer Offizier in abgetragener Uniform, der betend mit dem Haupte aus den Stufen des päpstlichen Thrones liegt, die allgemeine Aufmerksamkeit. Ein Bekannter, ein Kurländer, erzählt uns von ihm folgende Geschichte: Der Mann war nach zwanzigjähriger Dienstzeit mit dem Offiziercharakter belohnt worden und hatte beschlossen sich zu verehelichen. Bevor er aber in die Ehe hineintrat, wollte er zu Gott beten und sich reinigen, so sein eigener Ausdruck. Dieses Gebet und diese Reinigung bestand in einer Wallfahrt nach Jerusalem zum Grabe des Erlösers und nach Rom zum Grabe Petri. Er unternahm die Wallfahrt mit fünfzig Rubel in der Tasche und ohne Kenntniß einer anderen Sprache als der rus¬ sischen, hatte bereits den ersten Theil seiner Pilgerreise vollendet und war eben im Begriff den zweiten zu erfüllen. Welche Einfachheit, welche Demuth, welche Erhabenheit in der Auffassungsweise von der Heiligkeit der Ehe in der Seele dieses Steppensohnes! v Mittag ist fast herangekommen, als neue zur Kirche hereinströmende Grenzboten IV. t362. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/25>, abgerufen am 27.09.2024.