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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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nicht zuerst die Vereinigung mit seinem rechten Flügel unter Roth gesucht zu
haben. Im Uebrigen zeigte er tiefen Schmerz darüber, jetzt wahrscheinlich
nicht blos gegen die magyarischen Uebergriffe, sondern auch zur Unterdrückung
der alten verbrieften Freiheiten des Landes mitwirke" zu müssen; denn er sei
zwar ein treuer Diener des Kaisers, aber auch ein aufrichtiger Freund der
Freiheit."

"(5s wurde in der Zeit viel über die passendste Art. den Feldzug zu er¬
öffnen, gesprochen. Die Kräfte der Gegner waren sich ziemlich gleich. Manche,
welche auf den Vortheil blickten, welcher für die Ungarn im Besitz der Donau
mit Komorn lag, wollten auf beiden Ufern des Flusses zugleich manövriren,
andere richtiger Denkende stritten sich darüber, ob es zweckmäßiger, auf dem
linken oder auf dem rechten Ufer vorzudringen. Ich entwickelte aus der Theorie
des großen Krieges den Feldzugsplan, der mir der einzig richtige schien. Er
lautete: Rasches Zusammenziehen aller Streitkräfte um Presburg, schnelles
Hinüberwerfen des Ganzen auf die linke Seite der Donau, Schlagen was man
auf dem Wege findet und, je nachdem der Feind entweder auf das linke User
sich wirft oder auf dem rechten zu bleiben Miene macht, entweder Fortsetzung
der Offensive auf dem linken User bis Waizen, um so die Verbindung mit dem
aus Galizien kommenden Corps von Schlick zu gewinnen, oder Uebersetzen bei
Gran, um so in den Rücken des Gegners zu gelangen. Die größte Schwierig¬
keit lag in der Jahreszeit, welche die Märsche und die Verpflegung erschweren
mußte. Man hatte also vor Allem ohne Rücksicht aus die Kosten für gute Klei¬
dung und reichliche Nahrung der Truppen zu sorgen. Das aber wurde ver¬
säumt, und die Folge solcher unzeitigen Sparsamkeit war, daß die Armee im
nächsten Frühjahr Ungarn räumen mußte, nicht weil sie den Feind zu stark
gefunden hatte, sondern weil sie durch Krankheit, Mangel und unnütze An¬
strengung in sich selbst zerschmolzen war. Die alte Monarchie wurde noch ein¬
mal dicht an den Rand des Abgrunds getrieben, aus dem sie nur der schmach¬
volle Hülferuf nach Warschau und die Indolenz in Berlin gerettet haben."

Der Wunsch Willisens, den Feldzug mitmachen zu können, wurde nicht
erfüllt. Von Berlin erhielt er zwar die Erlaubni-ß dazu. Fürst Windrschgrä'dz
aber schlug die Bitte entschieden, wenn auch unter dem schmeichelhaften Vor¬
geben ab, man werde überall, wo der General Willisen mitgewesen, den Erfolg
mit auf dessen Rechnung setzen.

So dachte Willisen jetzt ernstlich an die Heimkehr, wozu überdies Stimmen
aus dem Kreise der Freunde mahnten, die ihm zur Bewerbung um eine Wahl
zu den neuen Kammern riethen, welche nach der octroyirten Verfassung vom
5. December 1848 zusammentreten sollten. Willisen fühlte nun zwar wenig
Beruf zum Abgeordneten in sich. "Meiner ganzen Stellung nach." sagt er in
den uns vorliegenden Aufzeichnungen, "gehöre ich da nicht hin. Ich habe


nicht zuerst die Vereinigung mit seinem rechten Flügel unter Roth gesucht zu
haben. Im Uebrigen zeigte er tiefen Schmerz darüber, jetzt wahrscheinlich
nicht blos gegen die magyarischen Uebergriffe, sondern auch zur Unterdrückung
der alten verbrieften Freiheiten des Landes mitwirke» zu müssen; denn er sei
zwar ein treuer Diener des Kaisers, aber auch ein aufrichtiger Freund der
Freiheit."

„(5s wurde in der Zeit viel über die passendste Art. den Feldzug zu er¬
öffnen, gesprochen. Die Kräfte der Gegner waren sich ziemlich gleich. Manche,
welche auf den Vortheil blickten, welcher für die Ungarn im Besitz der Donau
mit Komorn lag, wollten auf beiden Ufern des Flusses zugleich manövriren,
andere richtiger Denkende stritten sich darüber, ob es zweckmäßiger, auf dem
linken oder auf dem rechten Ufer vorzudringen. Ich entwickelte aus der Theorie
des großen Krieges den Feldzugsplan, der mir der einzig richtige schien. Er
lautete: Rasches Zusammenziehen aller Streitkräfte um Presburg, schnelles
Hinüberwerfen des Ganzen auf die linke Seite der Donau, Schlagen was man
auf dem Wege findet und, je nachdem der Feind entweder auf das linke User
sich wirft oder auf dem rechten zu bleiben Miene macht, entweder Fortsetzung
der Offensive auf dem linken User bis Waizen, um so die Verbindung mit dem
aus Galizien kommenden Corps von Schlick zu gewinnen, oder Uebersetzen bei
Gran, um so in den Rücken des Gegners zu gelangen. Die größte Schwierig¬
keit lag in der Jahreszeit, welche die Märsche und die Verpflegung erschweren
mußte. Man hatte also vor Allem ohne Rücksicht aus die Kosten für gute Klei¬
dung und reichliche Nahrung der Truppen zu sorgen. Das aber wurde ver¬
säumt, und die Folge solcher unzeitigen Sparsamkeit war, daß die Armee im
nächsten Frühjahr Ungarn räumen mußte, nicht weil sie den Feind zu stark
gefunden hatte, sondern weil sie durch Krankheit, Mangel und unnütze An¬
strengung in sich selbst zerschmolzen war. Die alte Monarchie wurde noch ein¬
mal dicht an den Rand des Abgrunds getrieben, aus dem sie nur der schmach¬
volle Hülferuf nach Warschau und die Indolenz in Berlin gerettet haben."

Der Wunsch Willisens, den Feldzug mitmachen zu können, wurde nicht
erfüllt. Von Berlin erhielt er zwar die Erlaubni-ß dazu. Fürst Windrschgrä'dz
aber schlug die Bitte entschieden, wenn auch unter dem schmeichelhaften Vor¬
geben ab, man werde überall, wo der General Willisen mitgewesen, den Erfolg
mit auf dessen Rechnung setzen.

So dachte Willisen jetzt ernstlich an die Heimkehr, wozu überdies Stimmen
aus dem Kreise der Freunde mahnten, die ihm zur Bewerbung um eine Wahl
zu den neuen Kammern riethen, welche nach der octroyirten Verfassung vom
5. December 1848 zusammentreten sollten. Willisen fühlte nun zwar wenig
Beruf zum Abgeordneten in sich. „Meiner ganzen Stellung nach." sagt er in
den uns vorliegenden Aufzeichnungen, „gehöre ich da nicht hin. Ich habe


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[0232] nicht zuerst die Vereinigung mit seinem rechten Flügel unter Roth gesucht zu haben. Im Uebrigen zeigte er tiefen Schmerz darüber, jetzt wahrscheinlich nicht blos gegen die magyarischen Uebergriffe, sondern auch zur Unterdrückung der alten verbrieften Freiheiten des Landes mitwirke» zu müssen; denn er sei zwar ein treuer Diener des Kaisers, aber auch ein aufrichtiger Freund der Freiheit." „(5s wurde in der Zeit viel über die passendste Art. den Feldzug zu er¬ öffnen, gesprochen. Die Kräfte der Gegner waren sich ziemlich gleich. Manche, welche auf den Vortheil blickten, welcher für die Ungarn im Besitz der Donau mit Komorn lag, wollten auf beiden Ufern des Flusses zugleich manövriren, andere richtiger Denkende stritten sich darüber, ob es zweckmäßiger, auf dem linken oder auf dem rechten Ufer vorzudringen. Ich entwickelte aus der Theorie des großen Krieges den Feldzugsplan, der mir der einzig richtige schien. Er lautete: Rasches Zusammenziehen aller Streitkräfte um Presburg, schnelles Hinüberwerfen des Ganzen auf die linke Seite der Donau, Schlagen was man auf dem Wege findet und, je nachdem der Feind entweder auf das linke User sich wirft oder auf dem rechten zu bleiben Miene macht, entweder Fortsetzung der Offensive auf dem linken User bis Waizen, um so die Verbindung mit dem aus Galizien kommenden Corps von Schlick zu gewinnen, oder Uebersetzen bei Gran, um so in den Rücken des Gegners zu gelangen. Die größte Schwierig¬ keit lag in der Jahreszeit, welche die Märsche und die Verpflegung erschweren mußte. Man hatte also vor Allem ohne Rücksicht aus die Kosten für gute Klei¬ dung und reichliche Nahrung der Truppen zu sorgen. Das aber wurde ver¬ säumt, und die Folge solcher unzeitigen Sparsamkeit war, daß die Armee im nächsten Frühjahr Ungarn räumen mußte, nicht weil sie den Feind zu stark gefunden hatte, sondern weil sie durch Krankheit, Mangel und unnütze An¬ strengung in sich selbst zerschmolzen war. Die alte Monarchie wurde noch ein¬ mal dicht an den Rand des Abgrunds getrieben, aus dem sie nur der schmach¬ volle Hülferuf nach Warschau und die Indolenz in Berlin gerettet haben." Der Wunsch Willisens, den Feldzug mitmachen zu können, wurde nicht erfüllt. Von Berlin erhielt er zwar die Erlaubni-ß dazu. Fürst Windrschgrä'dz aber schlug die Bitte entschieden, wenn auch unter dem schmeichelhaften Vor¬ geben ab, man werde überall, wo der General Willisen mitgewesen, den Erfolg mit auf dessen Rechnung setzen. So dachte Willisen jetzt ernstlich an die Heimkehr, wozu überdies Stimmen aus dem Kreise der Freunde mahnten, die ihm zur Bewerbung um eine Wahl zu den neuen Kammern riethen, welche nach der octroyirten Verfassung vom 5. December 1848 zusammentreten sollten. Willisen fühlte nun zwar wenig Beruf zum Abgeordneten in sich. „Meiner ganzen Stellung nach." sagt er in den uns vorliegenden Aufzeichnungen, „gehöre ich da nicht hin. Ich habe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/232>, abgerufen am 20.10.2024.