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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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In den ersten Tagen des October traf Willisen in Mailand ein, in dessen
Umgebung sich noch mancherlei frische Spuren des Krieges zeigten, während die
Stadt wieder ein ziemlich lebendiges Ansehen hatte. Wer indeß genauer zu¬
sah, gewahrte auch hier eine große Störung aller Verhältnisse. Die vornehme
Welt, welche vorzugsweise die Bewegung gemacht, war geflüchtet, man be¬
gegnete keiner einzigen Equipage, die Paläste des Adels standen leer oder
waren von Generalen der siegreichen Armee bewohnt, auch wohl zu Kasernen
oder Lazarethen eingerichtet. Die mittlere Schicht der Bevölkerung war zwar
aus Mangel an Mitteln dageblieben, setzte aber der Fremdherrschaft durch Ver¬
meidung alles Umgangs mit den Trägern derselben und durch sorgfältiges
Nichtthun dessen, was diese voraussetzlich wünschen mochte, jeden möglichen
passiven Widerstand entgegen. Nur die unteren Classen, die vom Tage leben,
zeigten das frühere geschäftige Treiben.

Die Besuche, welche Willisen in den höchsten militärischen Kreisen machte,
führten zu sehr angenehmen Bekanntschaften. Haß, Schönhals, Wimpfen,
d'Aspre, Wradislaw, Alle kamen ihm auf die liebenswürdigste Weise entgegen,
und der alte Radetzky überhäufte ihn mit Freundschaftsbeweisen. Willisen war
sein täglicher Gast und selbst wenn die vornehmsten Generale anwesend waren,
sein Tischnachbar, und bei jeder Gelegenheit gab der Feldmarschall zu erken¬
nen, wie sehr es ihn interessire, sich mit dem Herrn Kameraden aus Preußen zu
unterhalten, und wie es ihn freue, wenn dessen Ansichten mit den seinen überein¬
stimmten. Niemand schien vor dem Gaste ein Geheimniß, zu haben, bereitwillig
theilte man ihm Alles mit, was während des letzten Feldzugs im Hauptquar¬
tier und bei den Cochs geschrieben worden, und so entstand in ihm der Vor¬
satz, die Begebenheit als praktischen Beweis für die Richtigkeit seiner Theorie
des großen Kriegs darzustellen, ein Plan, für den er durch Studium der Tage¬
bücher, die ihm überlassen waren, des bereits im Druck erschienenen, im großen
Hauptquartier verfaßten Berichts über den ersten Theil des Feldzugs und der
im Risorgimento veröffentlichten sehr guten Artikel, welche denselben vom pie-
montesischen Standpunkte schilderten, Material gewann, und der rasch ausgeführt
wurde. Willisen hatte an der Arbeit um so mehr Freude, als er dabei fand,
daß so ziemlich Alles, was von Seiten der Oestreicher geschehen war, sich auf
seine Theorie des großen Kriegs zurückbcziehen ließ. Als er Ende November
nach einem Aufenthalt von etwa sieben Wochen Mailand verließ, war das
Buch eigentlich schon fertig.

Inzwischen hatte das Ministerium Auerswald dem Ministerium Pfuel und
dieser wieder dem Grafen Brandenburg Platz gemacht, und Willisen erwartete
täglich seine Rückberufung. Da ein neuer Kampf in Italien nicht wohl zu
vermuthen war, so beschloß er, durch Rückkehr nach Wien sich der Heimath
wieder mehr zu nähern. Gern wäre er, im Interesse seines Buchs, vorher nach


In den ersten Tagen des October traf Willisen in Mailand ein, in dessen
Umgebung sich noch mancherlei frische Spuren des Krieges zeigten, während die
Stadt wieder ein ziemlich lebendiges Ansehen hatte. Wer indeß genauer zu¬
sah, gewahrte auch hier eine große Störung aller Verhältnisse. Die vornehme
Welt, welche vorzugsweise die Bewegung gemacht, war geflüchtet, man be¬
gegnete keiner einzigen Equipage, die Paläste des Adels standen leer oder
waren von Generalen der siegreichen Armee bewohnt, auch wohl zu Kasernen
oder Lazarethen eingerichtet. Die mittlere Schicht der Bevölkerung war zwar
aus Mangel an Mitteln dageblieben, setzte aber der Fremdherrschaft durch Ver¬
meidung alles Umgangs mit den Trägern derselben und durch sorgfältiges
Nichtthun dessen, was diese voraussetzlich wünschen mochte, jeden möglichen
passiven Widerstand entgegen. Nur die unteren Classen, die vom Tage leben,
zeigten das frühere geschäftige Treiben.

Die Besuche, welche Willisen in den höchsten militärischen Kreisen machte,
führten zu sehr angenehmen Bekanntschaften. Haß, Schönhals, Wimpfen,
d'Aspre, Wradislaw, Alle kamen ihm auf die liebenswürdigste Weise entgegen,
und der alte Radetzky überhäufte ihn mit Freundschaftsbeweisen. Willisen war
sein täglicher Gast und selbst wenn die vornehmsten Generale anwesend waren,
sein Tischnachbar, und bei jeder Gelegenheit gab der Feldmarschall zu erken¬
nen, wie sehr es ihn interessire, sich mit dem Herrn Kameraden aus Preußen zu
unterhalten, und wie es ihn freue, wenn dessen Ansichten mit den seinen überein¬
stimmten. Niemand schien vor dem Gaste ein Geheimniß, zu haben, bereitwillig
theilte man ihm Alles mit, was während des letzten Feldzugs im Hauptquar¬
tier und bei den Cochs geschrieben worden, und so entstand in ihm der Vor¬
satz, die Begebenheit als praktischen Beweis für die Richtigkeit seiner Theorie
des großen Kriegs darzustellen, ein Plan, für den er durch Studium der Tage¬
bücher, die ihm überlassen waren, des bereits im Druck erschienenen, im großen
Hauptquartier verfaßten Berichts über den ersten Theil des Feldzugs und der
im Risorgimento veröffentlichten sehr guten Artikel, welche denselben vom pie-
montesischen Standpunkte schilderten, Material gewann, und der rasch ausgeführt
wurde. Willisen hatte an der Arbeit um so mehr Freude, als er dabei fand,
daß so ziemlich Alles, was von Seiten der Oestreicher geschehen war, sich auf
seine Theorie des großen Kriegs zurückbcziehen ließ. Als er Ende November
nach einem Aufenthalt von etwa sieben Wochen Mailand verließ, war das
Buch eigentlich schon fertig.

Inzwischen hatte das Ministerium Auerswald dem Ministerium Pfuel und
dieser wieder dem Grafen Brandenburg Platz gemacht, und Willisen erwartete
täglich seine Rückberufung. Da ein neuer Kampf in Italien nicht wohl zu
vermuthen war, so beschloß er, durch Rückkehr nach Wien sich der Heimath
wieder mehr zu nähern. Gern wäre er, im Interesse seines Buchs, vorher nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/230>, abgerufen am 20.10.2024.