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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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der großen Armee bei Altenburg, also nicht weiter als etwa fünf Meilen von
Leipzig stehen solle. Dorthin also ging mein Weg. Jedenfalls aber stand
jenem Corps ein feindliches gegenüber, durch das ich hindurch mußte. Mich
auf Seitcnpfaden hinüberzuschleichen schien mir nicht gerathen. Ich wußte,
daß die großen Straßen in Kriegszeiten in der Regel die sichersten sind, da
die hier Reisenden nicht leicht der Verdacht trifft, Verfängliches zu betreiben.

Ich legte also Studententracht mit Ziegenhainer und Hut an und zog
gutes Muths auf der zeitzer Straße zum Thore hinaus. Schon bei Connewitz
traf ich ein Lager. Es waren Würtenberger. Ich ging mitten hindurch, kein
Mensch nahm Notiz von mir, und auch ich that, als fände ich an den Leuten
nichts Besonderes. Weiterhin kam ich an die Feldwache, und es ging ebenso
gut ab. Auch an der letzten Vedette schritt ich mi-t gleichgiltiger Miene vor¬
über, und erst als ich gegen dreißig Schritt weiter gethan, hörte ich mir nach¬
rufen: "Wo wolle's hin?" Ich schlenderte, als ob ich die Frage nicht an mich
gerichtet glaubte, gelassen weiter. Die Frage wiederholte sich lauter und mit
einem "Stehe Sie!", und als ich auch daran mich nicht zu kehren schien, hieß
es barsch: "Stehe's oder ich schieße!" Nun sah ich mich um, und da ich von
der Schildwache kaum fünfzig Schritt entfernt war. auch nicht wußte, wie es
weiter vorwärts beschaffen war, schien es mir das Klügste, zu gehorchen. Ich
blieb also stehen und fragte, was es gäbe. -- Wo ich hin wollte -- ob ich
einen Paß hätte -- wer ich wäre? -- Ich gab mich für einen Studiosus aus,
der nach Hause wolle, da bei der Kriegswirthschaft keine Vorlesungen gehalten
würden. Einen Paß hätte ich nicht; ein Student brauche keinen. -- Ja, dann
müßte ich mit zu dem Offizier. Ich suchte das meinem Schwaben auszureden,
meinte, mich zur Umkehr zu zwingen, sei nur nutzlose Quälerei, sagte, ich hätte
Eile, da meine Eltern mich zu bestimmter Zeit erwarteten, und wies ihm
schließlich eine Matrikel, die der Freund, der mir den Studentenanzug' ver¬
schafft, mit aus den Weg gegeben hatte. Das Letztere half. Der große Bogen
mit den lateinischen Buchstaben und dem mächtigen Siegel imponirte dem
Soldaten, und er sagte zuletzt ganz gutmüthig: "Na gehe's in Gotts Name."
Ich ließ mir das nicht zweimal heißen und wanderte mit sehr erleichterten
Herzen weiter.

Jetzt wurde es still und einsam. Die Menschen schienen sich alle versteckt
zu haben. Es war die Einsamkeit zwischen den Vorposten von zwei feind¬
lichen Heeren -- das gerade Gegentheil des lärmenden Getümmels, welches
ich soeben in Leipzig verlassen hatte. So ging ich ein paar Stunden, die
Augen beständig nach allen Seiten richtend, ob sich etwas von Freund oder
Feind entdecken ließe. Plötzlich ein paar Lanzenspitzen, die über einer Boden¬
anschwellung blinkten -- die erste Kosackenvedette -- Land, Land! Endlich frei
und sicher im Hafen!


der großen Armee bei Altenburg, also nicht weiter als etwa fünf Meilen von
Leipzig stehen solle. Dorthin also ging mein Weg. Jedenfalls aber stand
jenem Corps ein feindliches gegenüber, durch das ich hindurch mußte. Mich
auf Seitcnpfaden hinüberzuschleichen schien mir nicht gerathen. Ich wußte,
daß die großen Straßen in Kriegszeiten in der Regel die sichersten sind, da
die hier Reisenden nicht leicht der Verdacht trifft, Verfängliches zu betreiben.

Ich legte also Studententracht mit Ziegenhainer und Hut an und zog
gutes Muths auf der zeitzer Straße zum Thore hinaus. Schon bei Connewitz
traf ich ein Lager. Es waren Würtenberger. Ich ging mitten hindurch, kein
Mensch nahm Notiz von mir, und auch ich that, als fände ich an den Leuten
nichts Besonderes. Weiterhin kam ich an die Feldwache, und es ging ebenso
gut ab. Auch an der letzten Vedette schritt ich mi-t gleichgiltiger Miene vor¬
über, und erst als ich gegen dreißig Schritt weiter gethan, hörte ich mir nach¬
rufen: „Wo wolle's hin?" Ich schlenderte, als ob ich die Frage nicht an mich
gerichtet glaubte, gelassen weiter. Die Frage wiederholte sich lauter und mit
einem „Stehe Sie!", und als ich auch daran mich nicht zu kehren schien, hieß
es barsch: „Stehe's oder ich schieße!" Nun sah ich mich um, und da ich von
der Schildwache kaum fünfzig Schritt entfernt war. auch nicht wußte, wie es
weiter vorwärts beschaffen war, schien es mir das Klügste, zu gehorchen. Ich
blieb also stehen und fragte, was es gäbe. — Wo ich hin wollte — ob ich
einen Paß hätte — wer ich wäre? — Ich gab mich für einen Studiosus aus,
der nach Hause wolle, da bei der Kriegswirthschaft keine Vorlesungen gehalten
würden. Einen Paß hätte ich nicht; ein Student brauche keinen. — Ja, dann
müßte ich mit zu dem Offizier. Ich suchte das meinem Schwaben auszureden,
meinte, mich zur Umkehr zu zwingen, sei nur nutzlose Quälerei, sagte, ich hätte
Eile, da meine Eltern mich zu bestimmter Zeit erwarteten, und wies ihm
schließlich eine Matrikel, die der Freund, der mir den Studentenanzug' ver¬
schafft, mit aus den Weg gegeben hatte. Das Letztere half. Der große Bogen
mit den lateinischen Buchstaben und dem mächtigen Siegel imponirte dem
Soldaten, und er sagte zuletzt ganz gutmüthig: „Na gehe's in Gotts Name."
Ich ließ mir das nicht zweimal heißen und wanderte mit sehr erleichterten
Herzen weiter.

Jetzt wurde es still und einsam. Die Menschen schienen sich alle versteckt
zu haben. Es war die Einsamkeit zwischen den Vorposten von zwei feind¬
lichen Heeren — das gerade Gegentheil des lärmenden Getümmels, welches
ich soeben in Leipzig verlassen hatte. So ging ich ein paar Stunden, die
Augen beständig nach allen Seiten richtend, ob sich etwas von Freund oder
Feind entdecken ließe. Plötzlich ein paar Lanzenspitzen, die über einer Boden¬
anschwellung blinkten — die erste Kosackenvedette — Land, Land! Endlich frei
und sicher im Hafen!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/142>, abgerufen am 20.10.2024.