Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Widersetzungsfalle Zwangsmaßregeln anzuwenden wären; auch wurde ihm der
Besitz Syriens nur auf Lebenszeit zugestanden. Thiers beharrt diesem Vor¬
schlag gegenüber, der das äußerste Zugeständniß enthielt, auf welches Frankreich
rechnen konnte, auf seinem Standpunkt: der Vorschlag ist für Mehemed Ali
nicht annehmbar, also müssen auch wir ihn ablehnen. In dem Sinne schrieb
er noch am 19. Juni an Guizot.

Bisher hatte sich die Pforte an den Verhandlungen durch ihren Gesandten
in Paris, Nun Efendi, der zu dem Zwecke nach London gegangen war, be¬
theiligt. Jetzt erschien ein neuer türkischer Bevollmächtigter, in der Person des
sehr befähigten Chekib Efendi. Dieser forderte alsbald unter Hinweis auf die
Gefahren, welche die Verlängerung des Status quo mit sich brachte, dringend
eine definitive Lösung und rasches Handeln. Jede der beiden Parteien suchte
seine Schilderung der Lage des ottomanischen Reiches zu ihrem Vortheile aus¬
zubeuten. Im Ganzen trugen seine Erklärungen dazu bei, den Muth und die
Hoffnungen der französischen Diplomatie neu zu beleben. Das Bedürfniß, bald
zum Ziele zu kommen und der Verdruß darüber, daß die Angelegenheit seit
Monaten ihrer Lösung scheinbar um keinen Schritt näher gekommen war, ließ
im englischen Cabinete, so wie im Parlament, den Wunsch nach einer Ver¬
einigung mit Frankreich lebhast werden. Auch die Gesandten der Mächte, selbst
der russische Gesandte, Baron Brünnow, setzten ihre vermittelnden Bemühungen
fort, drangen in Guizot, sich mit Palmerston zu verständigen und versprachen,
im Sinn einer billigen Ausgleichung bei ihm zu wirken. Neumann war sogar
bereit, ganz Syrien, allerdings nicht erblich, zu opfern. Klar ist es allerdings
nicht, ob dies Entgegenkommen, besonders von Seiten Brunnows, mehr war,
als ein Versuch, die Verantwortung für einen Conflict mit Frankreich auf
Palmerston zu werfen. Jedenfalls aber hätte Thiers die gebotene Hand er¬
greifen sollen, auch wenn sie nur zum Schein gereicht war. Denn nur durch
eine rückhaltlose Annahme der Vorschläge konnte Palmerston die ausschlie߬
liche Leitung der diplomatischen Action entzogen werden, was für Frankreich
immerhin ein bedeutender Gewinn gewesen wäre. Denn daß Palmerston in
der That an nichts weniger, als an Concessionen dachte, trat bald hervor.
Er schien durchaus noch nicht in der Stimmung zu sein, die Angelegenheit zu
beschleunigen, und erklärte die Gerüchte über den traurigen Zustand des otto-
manischen Reiches für. übertrieben. Es kam Guizot vor, als ob er auf einen
für seine Pläne günstigen Zwischenfall warte. So viel war klar, daß er
mit der Nachgiebigkeit, die Preußen und Oestreich gezeigt hatten, nicht zufrieden
war. In Thiers fand er einen Bundesgenossen. Nach den Eröffnungen Neu¬
manns, der mit Bülow zusammen sich bereit erklärt hatte, von Palmerston
förmlich zu verlangen, daß er der Concession: "Syrien lebenslänglich, Aegyp-
ten erblich" beiträte, bat Guizot Thiers dringend um bestimmte Jnstructionen;


Widersetzungsfalle Zwangsmaßregeln anzuwenden wären; auch wurde ihm der
Besitz Syriens nur auf Lebenszeit zugestanden. Thiers beharrt diesem Vor¬
schlag gegenüber, der das äußerste Zugeständniß enthielt, auf welches Frankreich
rechnen konnte, auf seinem Standpunkt: der Vorschlag ist für Mehemed Ali
nicht annehmbar, also müssen auch wir ihn ablehnen. In dem Sinne schrieb
er noch am 19. Juni an Guizot.

Bisher hatte sich die Pforte an den Verhandlungen durch ihren Gesandten
in Paris, Nun Efendi, der zu dem Zwecke nach London gegangen war, be¬
theiligt. Jetzt erschien ein neuer türkischer Bevollmächtigter, in der Person des
sehr befähigten Chekib Efendi. Dieser forderte alsbald unter Hinweis auf die
Gefahren, welche die Verlängerung des Status quo mit sich brachte, dringend
eine definitive Lösung und rasches Handeln. Jede der beiden Parteien suchte
seine Schilderung der Lage des ottomanischen Reiches zu ihrem Vortheile aus¬
zubeuten. Im Ganzen trugen seine Erklärungen dazu bei, den Muth und die
Hoffnungen der französischen Diplomatie neu zu beleben. Das Bedürfniß, bald
zum Ziele zu kommen und der Verdruß darüber, daß die Angelegenheit seit
Monaten ihrer Lösung scheinbar um keinen Schritt näher gekommen war, ließ
im englischen Cabinete, so wie im Parlament, den Wunsch nach einer Ver¬
einigung mit Frankreich lebhast werden. Auch die Gesandten der Mächte, selbst
der russische Gesandte, Baron Brünnow, setzten ihre vermittelnden Bemühungen
fort, drangen in Guizot, sich mit Palmerston zu verständigen und versprachen,
im Sinn einer billigen Ausgleichung bei ihm zu wirken. Neumann war sogar
bereit, ganz Syrien, allerdings nicht erblich, zu opfern. Klar ist es allerdings
nicht, ob dies Entgegenkommen, besonders von Seiten Brunnows, mehr war,
als ein Versuch, die Verantwortung für einen Conflict mit Frankreich auf
Palmerston zu werfen. Jedenfalls aber hätte Thiers die gebotene Hand er¬
greifen sollen, auch wenn sie nur zum Schein gereicht war. Denn nur durch
eine rückhaltlose Annahme der Vorschläge konnte Palmerston die ausschlie߬
liche Leitung der diplomatischen Action entzogen werden, was für Frankreich
immerhin ein bedeutender Gewinn gewesen wäre. Denn daß Palmerston in
der That an nichts weniger, als an Concessionen dachte, trat bald hervor.
Er schien durchaus noch nicht in der Stimmung zu sein, die Angelegenheit zu
beschleunigen, und erklärte die Gerüchte über den traurigen Zustand des otto-
manischen Reiches für. übertrieben. Es kam Guizot vor, als ob er auf einen
für seine Pläne günstigen Zwischenfall warte. So viel war klar, daß er
mit der Nachgiebigkeit, die Preußen und Oestreich gezeigt hatten, nicht zufrieden
war. In Thiers fand er einen Bundesgenossen. Nach den Eröffnungen Neu¬
manns, der mit Bülow zusammen sich bereit erklärt hatte, von Palmerston
förmlich zu verlangen, daß er der Concession: „Syrien lebenslänglich, Aegyp-
ten erblich" beiträte, bat Guizot Thiers dringend um bestimmte Jnstructionen;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114870"/>
            <p xml:id="ID_17" prev="#ID_16"> Widersetzungsfalle Zwangsmaßregeln anzuwenden wären; auch wurde ihm der<lb/>
Besitz Syriens nur auf Lebenszeit zugestanden. Thiers beharrt diesem Vor¬<lb/>
schlag gegenüber, der das äußerste Zugeständniß enthielt, auf welches Frankreich<lb/>
rechnen konnte, auf seinem Standpunkt: der Vorschlag ist für Mehemed Ali<lb/>
nicht annehmbar, also müssen auch wir ihn ablehnen. In dem Sinne schrieb<lb/>
er noch am 19. Juni an Guizot.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_18" next="#ID_19"> Bisher hatte sich die Pforte an den Verhandlungen durch ihren Gesandten<lb/>
in Paris, Nun Efendi, der zu dem Zwecke nach London gegangen war, be¬<lb/>
theiligt. Jetzt erschien ein neuer türkischer Bevollmächtigter, in der Person des<lb/>
sehr befähigten Chekib Efendi. Dieser forderte alsbald unter Hinweis auf die<lb/>
Gefahren, welche die Verlängerung des Status quo mit sich brachte, dringend<lb/>
eine definitive Lösung und rasches Handeln. Jede der beiden Parteien suchte<lb/>
seine Schilderung der Lage des ottomanischen Reiches zu ihrem Vortheile aus¬<lb/>
zubeuten. Im Ganzen trugen seine Erklärungen dazu bei, den Muth und die<lb/>
Hoffnungen der französischen Diplomatie neu zu beleben. Das Bedürfniß, bald<lb/>
zum Ziele zu kommen und der Verdruß darüber, daß die Angelegenheit seit<lb/>
Monaten ihrer Lösung scheinbar um keinen Schritt näher gekommen war, ließ<lb/>
im englischen Cabinete, so wie im Parlament, den Wunsch nach einer Ver¬<lb/>
einigung mit Frankreich lebhast werden. Auch die Gesandten der Mächte, selbst<lb/>
der russische Gesandte, Baron Brünnow, setzten ihre vermittelnden Bemühungen<lb/>
fort, drangen in Guizot, sich mit Palmerston zu verständigen und versprachen,<lb/>
im Sinn einer billigen Ausgleichung bei ihm zu wirken. Neumann war sogar<lb/>
bereit, ganz Syrien, allerdings nicht erblich, zu opfern. Klar ist es allerdings<lb/>
nicht, ob dies Entgegenkommen, besonders von Seiten Brunnows, mehr war,<lb/>
als ein Versuch, die Verantwortung für einen Conflict mit Frankreich auf<lb/>
Palmerston zu werfen. Jedenfalls aber hätte Thiers die gebotene Hand er¬<lb/>
greifen sollen, auch wenn sie nur zum Schein gereicht war. Denn nur durch<lb/>
eine rückhaltlose Annahme der Vorschläge konnte Palmerston die ausschlie߬<lb/>
liche Leitung der diplomatischen Action entzogen werden, was für Frankreich<lb/>
immerhin ein bedeutender Gewinn gewesen wäre. Denn daß Palmerston in<lb/>
der That an nichts weniger, als an Concessionen dachte, trat bald hervor.<lb/>
Er schien durchaus noch nicht in der Stimmung zu sein, die Angelegenheit zu<lb/>
beschleunigen, und erklärte die Gerüchte über den traurigen Zustand des otto-<lb/>
manischen Reiches für. übertrieben. Es kam Guizot vor, als ob er auf einen<lb/>
für seine Pläne günstigen Zwischenfall warte. So viel war klar, daß er<lb/>
mit der Nachgiebigkeit, die Preußen und Oestreich gezeigt hatten, nicht zufrieden<lb/>
war. In Thiers fand er einen Bundesgenossen. Nach den Eröffnungen Neu¬<lb/>
manns, der mit Bülow zusammen sich bereit erklärt hatte, von Palmerston<lb/>
förmlich zu verlangen, daß er der Concession: &#x201E;Syrien lebenslänglich, Aegyp-<lb/>
ten erblich" beiträte, bat Guizot Thiers dringend um bestimmte Jnstructionen;</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] Widersetzungsfalle Zwangsmaßregeln anzuwenden wären; auch wurde ihm der Besitz Syriens nur auf Lebenszeit zugestanden. Thiers beharrt diesem Vor¬ schlag gegenüber, der das äußerste Zugeständniß enthielt, auf welches Frankreich rechnen konnte, auf seinem Standpunkt: der Vorschlag ist für Mehemed Ali nicht annehmbar, also müssen auch wir ihn ablehnen. In dem Sinne schrieb er noch am 19. Juni an Guizot. Bisher hatte sich die Pforte an den Verhandlungen durch ihren Gesandten in Paris, Nun Efendi, der zu dem Zwecke nach London gegangen war, be¬ theiligt. Jetzt erschien ein neuer türkischer Bevollmächtigter, in der Person des sehr befähigten Chekib Efendi. Dieser forderte alsbald unter Hinweis auf die Gefahren, welche die Verlängerung des Status quo mit sich brachte, dringend eine definitive Lösung und rasches Handeln. Jede der beiden Parteien suchte seine Schilderung der Lage des ottomanischen Reiches zu ihrem Vortheile aus¬ zubeuten. Im Ganzen trugen seine Erklärungen dazu bei, den Muth und die Hoffnungen der französischen Diplomatie neu zu beleben. Das Bedürfniß, bald zum Ziele zu kommen und der Verdruß darüber, daß die Angelegenheit seit Monaten ihrer Lösung scheinbar um keinen Schritt näher gekommen war, ließ im englischen Cabinete, so wie im Parlament, den Wunsch nach einer Ver¬ einigung mit Frankreich lebhast werden. Auch die Gesandten der Mächte, selbst der russische Gesandte, Baron Brünnow, setzten ihre vermittelnden Bemühungen fort, drangen in Guizot, sich mit Palmerston zu verständigen und versprachen, im Sinn einer billigen Ausgleichung bei ihm zu wirken. Neumann war sogar bereit, ganz Syrien, allerdings nicht erblich, zu opfern. Klar ist es allerdings nicht, ob dies Entgegenkommen, besonders von Seiten Brunnows, mehr war, als ein Versuch, die Verantwortung für einen Conflict mit Frankreich auf Palmerston zu werfen. Jedenfalls aber hätte Thiers die gebotene Hand er¬ greifen sollen, auch wenn sie nur zum Schein gereicht war. Denn nur durch eine rückhaltlose Annahme der Vorschläge konnte Palmerston die ausschlie߬ liche Leitung der diplomatischen Action entzogen werden, was für Frankreich immerhin ein bedeutender Gewinn gewesen wäre. Denn daß Palmerston in der That an nichts weniger, als an Concessionen dachte, trat bald hervor. Er schien durchaus noch nicht in der Stimmung zu sein, die Angelegenheit zu beschleunigen, und erklärte die Gerüchte über den traurigen Zustand des otto- manischen Reiches für. übertrieben. Es kam Guizot vor, als ob er auf einen für seine Pläne günstigen Zwischenfall warte. So viel war klar, daß er mit der Nachgiebigkeit, die Preußen und Oestreich gezeigt hatten, nicht zufrieden war. In Thiers fand er einen Bundesgenossen. Nach den Eröffnungen Neu¬ manns, der mit Bülow zusammen sich bereit erklärt hatte, von Palmerston förmlich zu verlangen, daß er der Concession: „Syrien lebenslänglich, Aegyp- ten erblich" beiträte, bat Guizot Thiers dringend um bestimmte Jnstructionen;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/14
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/14>, abgerufen am 27.09.2024.