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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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lernte da auch Stein kennen. Als dieser sich zur Abreise nach Petersburg
anschickte, trat auch an Willisen der Gedanke, nach Rußland zu gehen. Er
besprach sich darüber mit Pfuel, der. sich ebenfalls in Prag aushielt. Man
erwog, ob jenes gerathener, oder ob man nicht besser eine Bewegung im
Rücken der französischen Armee abwarten solle. Das Ergebniß der Berathung
war, daß Pfuel nach Rußland ging, Willisen aber Ende August von Prag
abreiste, um sich im nördlichen Deutschland umzusehen, wie es stünde und ob
nicht etwas zu beginnen sei. Nichts schien ihm deutlicher, als daß auch eine
kleine Bewegung in Deutschland jetzt dem Übermächtigen große Verlegenheit
bereiten werde. Für seine persönliche Sicherheit fürchtete er nichts, da er noch
östreichischer Offizier und Oestreich der Verbündete Frankreichs war. Sehr wohl
hatte er in Prag bemerkt, daß Alles, was bei Stein und Grüner aus- und
einging, von verdächtigen Gestalten beobachtet wurde, doch dachte er nicht, daß
die geheime Polizei ihr Augenmerk selbst auf die Kleinen und Kleinsten gerichtet
habe. Bald erfuhr er zu seinem Schaden, daß dem doch so sei.

"Kaum einige Tage nach meiner Ankunft bei einem Verwandten in der
Nähe von Halle," so erzählt die Selbstbiographie, "war man in Kassel von
meinem Eintreffen unterrichtet, und als die Familie eines stürmischen October-
abends nichts ahnend am Theetisch saß, öffnete sich plötzlich die Thür des
Zimmers, und hereintrat mit gezogenem Degen begleitet von zwei Gensdarmen
der Chef der Polizei in Halberstadt, ein ralliirter Emigrant, Mr. Mois6 , um
mich im Namen des Königs von Westphalen zu verhaften.

Aus mein Fragen nach der Ursache keine Antwort. Als ich mich auf
meinen Charakter als östreichischer Offizier berief, zeigte ein Achselzucken, daß
man daraus keine Rücksicht nehme. Ich war Arrestant. Die Gensdarmen
blieben als Wache bei mir, und am andern Tage ging es fort nach Kassel.

Hätte ich geahnt, daß mir fast ein volles Jahr strenges Gefängniß und
ein Proceß auf Landesverrat!), der mit einem Todesurtheil enden konnte, bevor¬
stand, so hätte ich mich ohne Zweifel unterwegs davon gemacht. Es gehörte
dazu viel weniger Kühnheit als zu meiner spätern Flucht aus dem Gefängniß
in Kassel. Die Wache war oft nachlässig, und ich durfte voraussetzen, daß
jeder Andere mir eher förderlich als hinderlich sein werde, wenn ich mich be¬
freien wollte.

In Kassel verweigerte ich zuerst, mich gegen eine andere Behörde als
gegen den östreichischen Gesandten, einen Herrn von Schall, im Verhör aus¬
zulassen, und so setzte ichs durch, daß man mich eines schönen Tags in Be¬
gleitung von zwei Gensdarmen in dessen Haus führte, wo ich sofort von ihm
verlangte, daß er mich als Offizier seines Kaisers in Schutz nehme und mich
nach Oestreich zurücksende. Der arme Herr gerieth über diese Zumuthung in
großen Schreck. Als er sich davon erholt, stellte er mir die Unmöglichkeit,


ßirenzboten IV. 1862, 17

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lernte da auch Stein kennen. Als dieser sich zur Abreise nach Petersburg
anschickte, trat auch an Willisen der Gedanke, nach Rußland zu gehen. Er
besprach sich darüber mit Pfuel, der. sich ebenfalls in Prag aushielt. Man
erwog, ob jenes gerathener, oder ob man nicht besser eine Bewegung im
Rücken der französischen Armee abwarten solle. Das Ergebniß der Berathung
war, daß Pfuel nach Rußland ging, Willisen aber Ende August von Prag
abreiste, um sich im nördlichen Deutschland umzusehen, wie es stünde und ob
nicht etwas zu beginnen sei. Nichts schien ihm deutlicher, als daß auch eine
kleine Bewegung in Deutschland jetzt dem Übermächtigen große Verlegenheit
bereiten werde. Für seine persönliche Sicherheit fürchtete er nichts, da er noch
östreichischer Offizier und Oestreich der Verbündete Frankreichs war. Sehr wohl
hatte er in Prag bemerkt, daß Alles, was bei Stein und Grüner aus- und
einging, von verdächtigen Gestalten beobachtet wurde, doch dachte er nicht, daß
die geheime Polizei ihr Augenmerk selbst auf die Kleinen und Kleinsten gerichtet
habe. Bald erfuhr er zu seinem Schaden, daß dem doch so sei.

„Kaum einige Tage nach meiner Ankunft bei einem Verwandten in der
Nähe von Halle," so erzählt die Selbstbiographie, „war man in Kassel von
meinem Eintreffen unterrichtet, und als die Familie eines stürmischen October-
abends nichts ahnend am Theetisch saß, öffnete sich plötzlich die Thür des
Zimmers, und hereintrat mit gezogenem Degen begleitet von zwei Gensdarmen
der Chef der Polizei in Halberstadt, ein ralliirter Emigrant, Mr. Mois6 , um
mich im Namen des Königs von Westphalen zu verhaften.

Aus mein Fragen nach der Ursache keine Antwort. Als ich mich auf
meinen Charakter als östreichischer Offizier berief, zeigte ein Achselzucken, daß
man daraus keine Rücksicht nehme. Ich war Arrestant. Die Gensdarmen
blieben als Wache bei mir, und am andern Tage ging es fort nach Kassel.

Hätte ich geahnt, daß mir fast ein volles Jahr strenges Gefängniß und
ein Proceß auf Landesverrat!), der mit einem Todesurtheil enden konnte, bevor¬
stand, so hätte ich mich ohne Zweifel unterwegs davon gemacht. Es gehörte
dazu viel weniger Kühnheit als zu meiner spätern Flucht aus dem Gefängniß
in Kassel. Die Wache war oft nachlässig, und ich durfte voraussetzen, daß
jeder Andere mir eher förderlich als hinderlich sein werde, wenn ich mich be¬
freien wollte.

In Kassel verweigerte ich zuerst, mich gegen eine andere Behörde als
gegen den östreichischen Gesandten, einen Herrn von Schall, im Verhör aus¬
zulassen, und so setzte ichs durch, daß man mich eines schönen Tags in Be¬
gleitung von zwei Gensdarmen in dessen Haus führte, wo ich sofort von ihm
verlangte, daß er mich als Offizier seines Kaisers in Schutz nehme und mich
nach Oestreich zurücksende. Der arme Herr gerieth über diese Zumuthung in
großen Schreck. Als er sich davon erholt, stellte er mir die Unmöglichkeit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/137>, abgerufen am 20.10.2024.