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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Beamten, welche in bestimmten Geschäften reisten, Zahlmeistern, Suttlern,
Offiziersfrauen, die unter dem Titel von Waschfrauen oder Krankenpflegerinnen
ihre Männer im Felde besuchten, kurz aus all den Ingredienzien, welche eine
Bewegung wie diese mit sich bringt und die unter allen Verhältnissen dieselben
sind. Ich ließ die Sache denn auch nach einer kurzen Rundschau auf sich be¬
ruhen und vertiefte mich in die editoriellen Spalten des New-Uorker Herald,
indem ich mich nach amerikanischer Sitte mit Füßen und Rücken möglichst com-
fortabel zu arrangiren suchte. Ich mochte so kaum eine halbe Stunde gesessen
haben und sing bereits an, den schlafbringenden Wirkungen des Herald zu er¬
liegen, als mich ein dumpfes Stöhnen zu meiner Rechten veranlaßte, einen
Blick aus meinen Nachbar zu werfen. Es war ein Lieutnant von höchstens
achtzehn Jahren, den die Liebe zu dem feinen Rock und den glänzenden "Shoul-
der Seraph" von Muttern in den Kampf getrieben, der aber nicht berechnet
hatte, daß sein Kriegszug ihn auch übers Meer führen und den trügerischen
Wallungen einer bewegten Wasserfläche preisgeben würde. Wir waren jetzt
außerhalb der "Bar", und ein Blick auf meine Umgebung überzeugte mich, daß
wir bereits "schlecht Wetter" hatten; denn die Wände beschrieben Parabeln,
welche sich in den Nervenschwingungen meines Nachbarn wiederholten und eine
Todtenblässe um den krampfhaft -geschlossenen Mund hervorgerufen hatten.
Was ist doch der Mensch, selbst der Krieger, wenn er seekrank ist? dachte ich,
und in demselben Augenblick stürzten zwei unserer Gefährten mit wilder Ent¬
schlossenheit aus die Thür zu, um das Freie zu gewinnen. Erst nach einigen
Tagen sah ich sie mit feierlich ernsten Gesichtern, deren Ausdruck nur durch
ein mattes, resignirtes Lächeln gemildert wurde, bei Tafel wieder. Nach und
nach verfielen fast alle Reisegefährten den Wirkungen Neptuns wie Penelope's
Freier den Pfeilen des Odysseus, und nur eine kleine Heldenschaar, zu welcher
der Verfasser sich zu rechnen das Vergnügen hatte, folgte dem Ruf der Tisch¬
glocke. Hier begann ein Kampf mit den tanzenden Schüsseln, welcher unsre
ganze taktische Bildung in Anspruch nahm und den alten Widerstreit zwischen
Sinnenglück und Seelenfrieden aufs lebhafteste wieder anregte. Kaum war's
Einem gelungen, sich eines Stücks zu bemächtigen, als sich bereits zehn andre
in buntem Gemisch herandrängten, wie wenn sie sich über die ihnen zugefügte
Vernachlässigung beklagen wollten. Essig und Senf tanzten herbei, um sich bei
vorkommenden Fällen zum Salat zu empfehlen; eine gebratene Gans rutschte
heran und warf mir einen wehmüthigen Blick zu, als wollte sie sagen: "Auch
ich war Dir einst theuer;" während der Pudding sich vorlaut in die Unterhal¬
tung mischte und hoch aufsprang, um sich bemerkbar zu machen. Wir gingen
jedoch als Sieger aus diesem Kampfe hervor, der sich für jdie nächsten drei
Tage bei jedem Versuch, einen knurrenden Magen zur Ruhe zu bringen, wieder¬
holen sollte, und begaben uns aufs Verdeck, um einmal wieder den eigenthüm-


Beamten, welche in bestimmten Geschäften reisten, Zahlmeistern, Suttlern,
Offiziersfrauen, die unter dem Titel von Waschfrauen oder Krankenpflegerinnen
ihre Männer im Felde besuchten, kurz aus all den Ingredienzien, welche eine
Bewegung wie diese mit sich bringt und die unter allen Verhältnissen dieselben
sind. Ich ließ die Sache denn auch nach einer kurzen Rundschau auf sich be¬
ruhen und vertiefte mich in die editoriellen Spalten des New-Uorker Herald,
indem ich mich nach amerikanischer Sitte mit Füßen und Rücken möglichst com-
fortabel zu arrangiren suchte. Ich mochte so kaum eine halbe Stunde gesessen
haben und sing bereits an, den schlafbringenden Wirkungen des Herald zu er¬
liegen, als mich ein dumpfes Stöhnen zu meiner Rechten veranlaßte, einen
Blick aus meinen Nachbar zu werfen. Es war ein Lieutnant von höchstens
achtzehn Jahren, den die Liebe zu dem feinen Rock und den glänzenden „Shoul-
der Seraph" von Muttern in den Kampf getrieben, der aber nicht berechnet
hatte, daß sein Kriegszug ihn auch übers Meer führen und den trügerischen
Wallungen einer bewegten Wasserfläche preisgeben würde. Wir waren jetzt
außerhalb der „Bar", und ein Blick auf meine Umgebung überzeugte mich, daß
wir bereits „schlecht Wetter" hatten; denn die Wände beschrieben Parabeln,
welche sich in den Nervenschwingungen meines Nachbarn wiederholten und eine
Todtenblässe um den krampfhaft -geschlossenen Mund hervorgerufen hatten.
Was ist doch der Mensch, selbst der Krieger, wenn er seekrank ist? dachte ich,
und in demselben Augenblick stürzten zwei unserer Gefährten mit wilder Ent¬
schlossenheit aus die Thür zu, um das Freie zu gewinnen. Erst nach einigen
Tagen sah ich sie mit feierlich ernsten Gesichtern, deren Ausdruck nur durch
ein mattes, resignirtes Lächeln gemildert wurde, bei Tafel wieder. Nach und
nach verfielen fast alle Reisegefährten den Wirkungen Neptuns wie Penelope's
Freier den Pfeilen des Odysseus, und nur eine kleine Heldenschaar, zu welcher
der Verfasser sich zu rechnen das Vergnügen hatte, folgte dem Ruf der Tisch¬
glocke. Hier begann ein Kampf mit den tanzenden Schüsseln, welcher unsre
ganze taktische Bildung in Anspruch nahm und den alten Widerstreit zwischen
Sinnenglück und Seelenfrieden aufs lebhafteste wieder anregte. Kaum war's
Einem gelungen, sich eines Stücks zu bemächtigen, als sich bereits zehn andre
in buntem Gemisch herandrängten, wie wenn sie sich über die ihnen zugefügte
Vernachlässigung beklagen wollten. Essig und Senf tanzten herbei, um sich bei
vorkommenden Fällen zum Salat zu empfehlen; eine gebratene Gans rutschte
heran und warf mir einen wehmüthigen Blick zu, als wollte sie sagen: „Auch
ich war Dir einst theuer;" während der Pudding sich vorlaut in die Unterhal¬
tung mischte und hoch aufsprang, um sich bemerkbar zu machen. Wir gingen
jedoch als Sieger aus diesem Kampfe hervor, der sich für jdie nächsten drei
Tage bei jedem Versuch, einen knurrenden Magen zur Ruhe zu bringen, wieder¬
holen sollte, und begaben uns aufs Verdeck, um einmal wieder den eigenthüm-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/100>, abgerufen am 27.09.2024.