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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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für welchen es ursprünglich ins Leben gerufen wurde, nämlich die Bewachung
der Grenze gegen die Türken und gegen das Eindringen der Pest, in den
Hintergrund getreten ist und auf andere Art mit weit geringerem Geld- und
Menschenaufwande -- und dabei auch vollständiger -- erzielt werden könnte.
Die Aufhebung der siebenbürgischen Militärgrenze und das Beispiel Dalmatiens,
woselbst niemals ein ähnliches Institut bestand, und dennoch die Grenze ganz
gut geschützt wurde, sprechen hierfür.

Die Verstärkung, welche dem östreichischen Heere durch die Grenztruppen
erwächst, ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen weder qualitativ noch quan¬
titativ bedeutend. Wäre die Militärgrenze der nämlichen Conscription wie
die übrigen Provinzen unterworfen, so würden auf ihr Gebiet etwa 20 Ba¬
taillone entfallen. Nun stellt aber die Militärgrenze 29 oder höchstens 43 Ba¬
taillone ins Feld, wenn nämlich auch die dritten Bataillone aufmarschiren.
Die ganze Verstärkung besteht also aus 9 oder höchstens 23 Bataillonen, da
man die Artilleristen und Seressaner wohl für Nichts zählen kann. Was will
aber eine solche Verstärkung bei einer Armee bedeuten, welche im Frieden ge¬
gen 370 Bataillone zählt und im Kriege durch Errichtung fünfter Batail--'
lone und einiger Freicorps zu der Stärke von fast 500 Bataillonen an¬
wachsen kann?

Dagegen fällt der Nachtheil, daß der Zteuerertrag der Militärgrenze
nicht erhöht werden kann, bei den gegenwärtigen mißlichen Finanzzuständen des
Reiches doppelt schwer in die Wagschale. Nach Auflösung des Grenzinstitutes
würde der Staatsschatz aus jenen Gebieten vielleicht den dreifachen Betrag des
bisherigen Einkommens ziehen. Eine eigentliche Reduction ist, wenn sich alle Re¬
gimenter in dem Lande befinden, bei den Grenztruppen eigentlich gar nicht
möglich. Die Ausgaben für die Militärgrenze selbst bleiben daher im Frieden
wie im Kriege fast gleich, und die in andern Provinzen stationirten Grenz¬
bataillone werden so wie jede neuere Linientruppe besoldet, daher auch da von
keinem finanziellen Vortheile die Rede sein kann.

Aber auch die Behauptungen derjenigen, welche über "das so unendlich
traurige Schicksal der Grenzbewohner" klagen, sind mindestens zur Hälfte un¬
richtig, da die Bewohner der Müitärgrenze wenigstens in materieller Beziehung
besser daran sind, als die Bevölkerung mancher andern östreichischen Provinz.

Freilich ist der moralische Druck, welcher auf dem Lande lastet, bedeutend,
aber so lange sich die wahre constitutionelle Freiheit und die Gleichheit vor dem
Gesetz in Oestreich noch nicht entwickelt haben und die Bestrebungen einiger
wahrhaft liberalen Männer hier von dem sich breit machenden Scheinconstitu-
tionalismus. dort wieder von oligarchischen Trotze, an anderen Orten von ultra¬
montaner Arglist oder von dem absolutistischen Polizei- und Militärregiment
durchkreuzt werden, dürfte es den Bewohnern der Militärgrenze ziemlich gleich-


für welchen es ursprünglich ins Leben gerufen wurde, nämlich die Bewachung
der Grenze gegen die Türken und gegen das Eindringen der Pest, in den
Hintergrund getreten ist und auf andere Art mit weit geringerem Geld- und
Menschenaufwande — und dabei auch vollständiger — erzielt werden könnte.
Die Aufhebung der siebenbürgischen Militärgrenze und das Beispiel Dalmatiens,
woselbst niemals ein ähnliches Institut bestand, und dennoch die Grenze ganz
gut geschützt wurde, sprechen hierfür.

Die Verstärkung, welche dem östreichischen Heere durch die Grenztruppen
erwächst, ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen weder qualitativ noch quan¬
titativ bedeutend. Wäre die Militärgrenze der nämlichen Conscription wie
die übrigen Provinzen unterworfen, so würden auf ihr Gebiet etwa 20 Ba¬
taillone entfallen. Nun stellt aber die Militärgrenze 29 oder höchstens 43 Ba¬
taillone ins Feld, wenn nämlich auch die dritten Bataillone aufmarschiren.
Die ganze Verstärkung besteht also aus 9 oder höchstens 23 Bataillonen, da
man die Artilleristen und Seressaner wohl für Nichts zählen kann. Was will
aber eine solche Verstärkung bei einer Armee bedeuten, welche im Frieden ge¬
gen 370 Bataillone zählt und im Kriege durch Errichtung fünfter Batail--'
lone und einiger Freicorps zu der Stärke von fast 500 Bataillonen an¬
wachsen kann?

Dagegen fällt der Nachtheil, daß der Zteuerertrag der Militärgrenze
nicht erhöht werden kann, bei den gegenwärtigen mißlichen Finanzzuständen des
Reiches doppelt schwer in die Wagschale. Nach Auflösung des Grenzinstitutes
würde der Staatsschatz aus jenen Gebieten vielleicht den dreifachen Betrag des
bisherigen Einkommens ziehen. Eine eigentliche Reduction ist, wenn sich alle Re¬
gimenter in dem Lande befinden, bei den Grenztruppen eigentlich gar nicht
möglich. Die Ausgaben für die Militärgrenze selbst bleiben daher im Frieden
wie im Kriege fast gleich, und die in andern Provinzen stationirten Grenz¬
bataillone werden so wie jede neuere Linientruppe besoldet, daher auch da von
keinem finanziellen Vortheile die Rede sein kann.

Aber auch die Behauptungen derjenigen, welche über „das so unendlich
traurige Schicksal der Grenzbewohner" klagen, sind mindestens zur Hälfte un¬
richtig, da die Bewohner der Müitärgrenze wenigstens in materieller Beziehung
besser daran sind, als die Bevölkerung mancher andern östreichischen Provinz.

Freilich ist der moralische Druck, welcher auf dem Lande lastet, bedeutend,
aber so lange sich die wahre constitutionelle Freiheit und die Gleichheit vor dem
Gesetz in Oestreich noch nicht entwickelt haben und die Bestrebungen einiger
wahrhaft liberalen Männer hier von dem sich breit machenden Scheinconstitu-
tionalismus. dort wieder von oligarchischen Trotze, an anderen Orten von ultra¬
montaner Arglist oder von dem absolutistischen Polizei- und Militärregiment
durchkreuzt werden, dürfte es den Bewohnern der Militärgrenze ziemlich gleich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/84>, abgerufen am 05.02.2025.