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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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deutsche die Schrecken des Todes überwunden, denn auf dein Schlachtfeld
sterben ist die höchste Ehre und Freude des Helden. Durch dieses Vordringen
des Gemüths und idealer Empfindungen erhalten die Charaktere der deutschen
Helden im Leben wie in der Kunst schon sehr früh eine weniger einfache Textur,
ein originelles, zuweilen seltsames Gepräge, welches ihnen bald besondere Größe
und Tiefe, bald ein abenteuerliches und irrationales Element verleiht. Man
vergleiche nicht den poetischen Werth, aber die Charaktervnlage griechischer Helden
in Ilias und Odyssee mit den Nibelungen. Dem tapfersten Griechen bleibt
der Tod etwas Furchtbares, Hie Gefahr des Kampfes etwas Lästiges, es ist ihm
durchaus nicht unehrenhaft, einen schlafenden oder waffenlosen Feind zu
tödten, es ist nicht der kleinste Heldenruhm, klug die Gefahr des Zusammen¬
treffens zu vermeiden und aus dem Hinterhalt einen Ahnungslose" zu treffen. Der
deutsche Held dagegen, derselbe , welcher aus Treucj gegen seinen Herrn die
verruchteste That eines Deutschen begangen und einen wehrlosen Mann listig
von hinten getroffen hat, gerade er kann für sich, feinen Herrn und seinen Stamm
Tod und Untergang vermeide", wenn er zu rechter Zeit ausspricht, daß Gefahr
vorhanden sei. Die Ueberirdische" haben ihm sei" und der Freunde Verderben
prophezeit, wenn die verhängnißvolle Reise fortg/M wird, und doch stößt er
die Fähre, welche die Rückkehr möglich macht, in den Strom; -- noch an dem
Königshofe, wo ihm der Tod droht, vermag ein Wort zu dem wohlwollenden
König, ehrliche Antwort auf eine herzliche Frage, das Aergste abzuwenden, er
aber schweigt. Ja noch mehr, er und die Seinen höhnen und -reizen die er"
bitterem Feinde, und mit der sichern Aussicht auf Untergang regen sie selbst
herausfordernd im Spiele den blutigen Streit auf. Dem Griechen, jedem andern
Volke des Alterthums, vielleicht die Gallier ausgenommen, wäre solche Art
Heidenthum durchaus unheimlich und unvernünftig erschienen. Es war aber
ächt deutsch, der wilde und finstre Ausdruck eines Volkswesens, in welchem dem
Einzelnen seine Ehre und sein Stolz weit mehr galten als das Leben. -- Nicht
anders ist dies Verhältniß bei de" Helden der Geschichte. Die idealen Em¬
pfindungen, welche ihr Leben regiere", wie unvernünftig sie zuweilen schon lange
vor Ausbildung des Ritterthums waren, die Pflichten der Ehre und Treue, das
Gefühl des Männerstolzes und der eigenen Würde, Todesverachtung und'Liebe
zu einzelnen Menschen hatte" oft eine Stärke und intensive Gewalt, welche
wir schwer zu schätzen, nicht immer als beherrschendes Motivzu erkenne" vermögen.

So schwebte die Seele des Germane" schon in ältester Zeit in Banden,
welche für uns oft nicht mehr erkennbar sind; Devotion und Sehnsucht, Aber¬
glaube und Pflichtgefühl, ein geheimer Zauberspruch oder ein geheimes Gelübde
zogen seinen Entschluß zu Thaten, welche wir vergeblich durch Verständige
Gründe, welche unserer Bildung entnommen sind, zu erklären suchen.

Und zu solcher Anlage kam im Mittelalter endlich der große Kreis von


deutsche die Schrecken des Todes überwunden, denn auf dein Schlachtfeld
sterben ist die höchste Ehre und Freude des Helden. Durch dieses Vordringen
des Gemüths und idealer Empfindungen erhalten die Charaktere der deutschen
Helden im Leben wie in der Kunst schon sehr früh eine weniger einfache Textur,
ein originelles, zuweilen seltsames Gepräge, welches ihnen bald besondere Größe
und Tiefe, bald ein abenteuerliches und irrationales Element verleiht. Man
vergleiche nicht den poetischen Werth, aber die Charaktervnlage griechischer Helden
in Ilias und Odyssee mit den Nibelungen. Dem tapfersten Griechen bleibt
der Tod etwas Furchtbares, Hie Gefahr des Kampfes etwas Lästiges, es ist ihm
durchaus nicht unehrenhaft, einen schlafenden oder waffenlosen Feind zu
tödten, es ist nicht der kleinste Heldenruhm, klug die Gefahr des Zusammen¬
treffens zu vermeiden und aus dem Hinterhalt einen Ahnungslose» zu treffen. Der
deutsche Held dagegen, derselbe , welcher aus Treucj gegen seinen Herrn die
verruchteste That eines Deutschen begangen und einen wehrlosen Mann listig
von hinten getroffen hat, gerade er kann für sich, feinen Herrn und seinen Stamm
Tod und Untergang vermeide», wenn er zu rechter Zeit ausspricht, daß Gefahr
vorhanden sei. Die Ueberirdische» haben ihm sei» und der Freunde Verderben
prophezeit, wenn die verhängnißvolle Reise fortg/M wird, und doch stößt er
die Fähre, welche die Rückkehr möglich macht, in den Strom; — noch an dem
Königshofe, wo ihm der Tod droht, vermag ein Wort zu dem wohlwollenden
König, ehrliche Antwort auf eine herzliche Frage, das Aergste abzuwenden, er
aber schweigt. Ja noch mehr, er und die Seinen höhnen und -reizen die er«
bitterem Feinde, und mit der sichern Aussicht auf Untergang regen sie selbst
herausfordernd im Spiele den blutigen Streit auf. Dem Griechen, jedem andern
Volke des Alterthums, vielleicht die Gallier ausgenommen, wäre solche Art
Heidenthum durchaus unheimlich und unvernünftig erschienen. Es war aber
ächt deutsch, der wilde und finstre Ausdruck eines Volkswesens, in welchem dem
Einzelnen seine Ehre und sein Stolz weit mehr galten als das Leben. — Nicht
anders ist dies Verhältniß bei de» Helden der Geschichte. Die idealen Em¬
pfindungen, welche ihr Leben regiere», wie unvernünftig sie zuweilen schon lange
vor Ausbildung des Ritterthums waren, die Pflichten der Ehre und Treue, das
Gefühl des Männerstolzes und der eigenen Würde, Todesverachtung und'Liebe
zu einzelnen Menschen hatte» oft eine Stärke und intensive Gewalt, welche
wir schwer zu schätzen, nicht immer als beherrschendes Motivzu erkenne» vermögen.

So schwebte die Seele des Germane» schon in ältester Zeit in Banden,
welche für uns oft nicht mehr erkennbar sind; Devotion und Sehnsucht, Aber¬
glaube und Pflichtgefühl, ein geheimer Zauberspruch oder ein geheimes Gelübde
zogen seinen Entschluß zu Thaten, welche wir vergeblich durch Verständige
Gründe, welche unserer Bildung entnommen sind, zu erklären suchen.

Und zu solcher Anlage kam im Mittelalter endlich der große Kreis von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/69>, abgerufen am 05.02.2025.