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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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der Scherbenberg; sein Fuß ist umkränzt mit einer Reihe von Weinkellern und
einzelnen Osterien. Weißt Du, was eine Osterie ist? Eine Osterie ist ein in
ländlicher Umgebung, meist an einer Verkehrsstraße gelegenes stallartiges Ge¬
bäude, in dessen dunkler, oft sehr schmutziger Halle an einem einfachen Herde
die Speisen bereitet werden, und die Gäste auf rohen Bänken an unsauberen
Tischen sitzen. Aber vor den Osterien am Testaccio stehen herrliche Ulmen,
unter deren Schatten wir an schönen Frühlings- und Herbsttagen allerlei Volks
aus allen Ständen finden. Das glückliche Italien hat so zwei Wonnemonat?,
den Mai und den Oktober; dann zieht der Römer mit Weib und Kind, Freun¬
den, Freundinnen und Dienstboten hinaus und lagert sich auf dem Nasen, speist
seine bescheidenen Salami, seinen Salat, trinkt seine Foliette Orvieto oder
Marino mit wahrhaft entzückender Harmlosigkeit und Heiterkeit. Die Männer
ziehen den Rock aus, spielen Ball und werfen die Scheibe des Diskus auf ge¬
bahnten und ungebahnten Boden, unbekümmert um die Düngerhaufen, die
Schienbeine der Menschen, Pferde und Esel. Die Weiber schlagen das Tam-
bourin und ist kein Forestiere in der Nähe, so lassen sie sich wohl bis zum Tanze
hinreißen. Der Saltarcllo ist der römische Nationalranz. Ein Mädchen, nie ein
Mann, schlägt das Tambourin, zwei andere tanzen einander gegenüber, andere lösen
sie ab, ohne den Tanz zu unterbrechen. Es ist ein Hüpfen auf einer oder beiden
Fußspitzen, ein Drehen, Wenden, sich Haschen, Enteilen, bei dem der Oberkörper
und die Arme ebenso betheiligt sind, wie die Beine. Das tanzende Italien
sängt erst südlich von Terracina an; der Römer ist in seinem ganzen Wesen
ernster wie der Neapolitaner, und man muß Glück haben, wenn man den
Saltarcllo sehen will. Einer römischen Osterie würde jede deutsche Dorf-
schenke den Rang ablaufen, ihre Genüsse sind von der einfachsten Art; der
Tagcarbciter sitzt neben dem vornehmen Manne, unter ihren Füßen treiben
Hühner, Hunde und Schweine ihr gemeinsames Wesen, und der Kellner ist ein
Bursche, welcher in hoch aufgestreiften Hemdsärmeln, die rothe wollene Mütze
aus dem Haupte, seine Pflicht thut. Sieh dort jene beiden malerischen Reiter
aus dem zottigen, nervigen Gaul, beide mit Lanze und Carabiner bewaffnet;
dort jene Gruppe von Morraspielern, wie sie für nichts Anderes Auge und
Ohr, haben, als für die Augen, den Mund und die'zehn Finger ihres Gegners.
Es liegt etwas Ursprüngliches, Naives in dieser römischen Heiterkeit, die von
dem Comfort keine Ahnung hat, mit dem andere Völker ihre Vergnügungen
würzen, ihnen aber auch jeden nationalen Duft nehmen. Zuweilen schlägt
auch in die römische Harmlosigkeit die brutale Unverschämtheit französischer
Soldaten; wo der Römer den Lärm der letzteren hört, geht er ihnen gern aus
dem Wege; hat er ihnen doch schon seinen lieben Pincio fast gänzlich ein¬
geräumt! Oben vom Testaccio, da wo die Garibaldi'schen Schanzen vom Jahre
1849, mit denen sie die französischen Belagerungsbatterien auf dem jenseitigen


der Scherbenberg; sein Fuß ist umkränzt mit einer Reihe von Weinkellern und
einzelnen Osterien. Weißt Du, was eine Osterie ist? Eine Osterie ist ein in
ländlicher Umgebung, meist an einer Verkehrsstraße gelegenes stallartiges Ge¬
bäude, in dessen dunkler, oft sehr schmutziger Halle an einem einfachen Herde
die Speisen bereitet werden, und die Gäste auf rohen Bänken an unsauberen
Tischen sitzen. Aber vor den Osterien am Testaccio stehen herrliche Ulmen,
unter deren Schatten wir an schönen Frühlings- und Herbsttagen allerlei Volks
aus allen Ständen finden. Das glückliche Italien hat so zwei Wonnemonat?,
den Mai und den Oktober; dann zieht der Römer mit Weib und Kind, Freun¬
den, Freundinnen und Dienstboten hinaus und lagert sich auf dem Nasen, speist
seine bescheidenen Salami, seinen Salat, trinkt seine Foliette Orvieto oder
Marino mit wahrhaft entzückender Harmlosigkeit und Heiterkeit. Die Männer
ziehen den Rock aus, spielen Ball und werfen die Scheibe des Diskus auf ge¬
bahnten und ungebahnten Boden, unbekümmert um die Düngerhaufen, die
Schienbeine der Menschen, Pferde und Esel. Die Weiber schlagen das Tam-
bourin und ist kein Forestiere in der Nähe, so lassen sie sich wohl bis zum Tanze
hinreißen. Der Saltarcllo ist der römische Nationalranz. Ein Mädchen, nie ein
Mann, schlägt das Tambourin, zwei andere tanzen einander gegenüber, andere lösen
sie ab, ohne den Tanz zu unterbrechen. Es ist ein Hüpfen auf einer oder beiden
Fußspitzen, ein Drehen, Wenden, sich Haschen, Enteilen, bei dem der Oberkörper
und die Arme ebenso betheiligt sind, wie die Beine. Das tanzende Italien
sängt erst südlich von Terracina an; der Römer ist in seinem ganzen Wesen
ernster wie der Neapolitaner, und man muß Glück haben, wenn man den
Saltarcllo sehen will. Einer römischen Osterie würde jede deutsche Dorf-
schenke den Rang ablaufen, ihre Genüsse sind von der einfachsten Art; der
Tagcarbciter sitzt neben dem vornehmen Manne, unter ihren Füßen treiben
Hühner, Hunde und Schweine ihr gemeinsames Wesen, und der Kellner ist ein
Bursche, welcher in hoch aufgestreiften Hemdsärmeln, die rothe wollene Mütze
aus dem Haupte, seine Pflicht thut. Sieh dort jene beiden malerischen Reiter
aus dem zottigen, nervigen Gaul, beide mit Lanze und Carabiner bewaffnet;
dort jene Gruppe von Morraspielern, wie sie für nichts Anderes Auge und
Ohr, haben, als für die Augen, den Mund und die'zehn Finger ihres Gegners.
Es liegt etwas Ursprüngliches, Naives in dieser römischen Heiterkeit, die von
dem Comfort keine Ahnung hat, mit dem andere Völker ihre Vergnügungen
würzen, ihnen aber auch jeden nationalen Duft nehmen. Zuweilen schlägt
auch in die römische Harmlosigkeit die brutale Unverschämtheit französischer
Soldaten; wo der Römer den Lärm der letzteren hört, geht er ihnen gern aus
dem Wege; hat er ihnen doch schon seinen lieben Pincio fast gänzlich ein¬
geräumt! Oben vom Testaccio, da wo die Garibaldi'schen Schanzen vom Jahre
1849, mit denen sie die französischen Belagerungsbatterien auf dem jenseitigen


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[0527] der Scherbenberg; sein Fuß ist umkränzt mit einer Reihe von Weinkellern und einzelnen Osterien. Weißt Du, was eine Osterie ist? Eine Osterie ist ein in ländlicher Umgebung, meist an einer Verkehrsstraße gelegenes stallartiges Ge¬ bäude, in dessen dunkler, oft sehr schmutziger Halle an einem einfachen Herde die Speisen bereitet werden, und die Gäste auf rohen Bänken an unsauberen Tischen sitzen. Aber vor den Osterien am Testaccio stehen herrliche Ulmen, unter deren Schatten wir an schönen Frühlings- und Herbsttagen allerlei Volks aus allen Ständen finden. Das glückliche Italien hat so zwei Wonnemonat?, den Mai und den Oktober; dann zieht der Römer mit Weib und Kind, Freun¬ den, Freundinnen und Dienstboten hinaus und lagert sich auf dem Nasen, speist seine bescheidenen Salami, seinen Salat, trinkt seine Foliette Orvieto oder Marino mit wahrhaft entzückender Harmlosigkeit und Heiterkeit. Die Männer ziehen den Rock aus, spielen Ball und werfen die Scheibe des Diskus auf ge¬ bahnten und ungebahnten Boden, unbekümmert um die Düngerhaufen, die Schienbeine der Menschen, Pferde und Esel. Die Weiber schlagen das Tam- bourin und ist kein Forestiere in der Nähe, so lassen sie sich wohl bis zum Tanze hinreißen. Der Saltarcllo ist der römische Nationalranz. Ein Mädchen, nie ein Mann, schlägt das Tambourin, zwei andere tanzen einander gegenüber, andere lösen sie ab, ohne den Tanz zu unterbrechen. Es ist ein Hüpfen auf einer oder beiden Fußspitzen, ein Drehen, Wenden, sich Haschen, Enteilen, bei dem der Oberkörper und die Arme ebenso betheiligt sind, wie die Beine. Das tanzende Italien sängt erst südlich von Terracina an; der Römer ist in seinem ganzen Wesen ernster wie der Neapolitaner, und man muß Glück haben, wenn man den Saltarcllo sehen will. Einer römischen Osterie würde jede deutsche Dorf- schenke den Rang ablaufen, ihre Genüsse sind von der einfachsten Art; der Tagcarbciter sitzt neben dem vornehmen Manne, unter ihren Füßen treiben Hühner, Hunde und Schweine ihr gemeinsames Wesen, und der Kellner ist ein Bursche, welcher in hoch aufgestreiften Hemdsärmeln, die rothe wollene Mütze aus dem Haupte, seine Pflicht thut. Sieh dort jene beiden malerischen Reiter aus dem zottigen, nervigen Gaul, beide mit Lanze und Carabiner bewaffnet; dort jene Gruppe von Morraspielern, wie sie für nichts Anderes Auge und Ohr, haben, als für die Augen, den Mund und die'zehn Finger ihres Gegners. Es liegt etwas Ursprüngliches, Naives in dieser römischen Heiterkeit, die von dem Comfort keine Ahnung hat, mit dem andere Völker ihre Vergnügungen würzen, ihnen aber auch jeden nationalen Duft nehmen. Zuweilen schlägt auch in die römische Harmlosigkeit die brutale Unverschämtheit französischer Soldaten; wo der Römer den Lärm der letzteren hört, geht er ihnen gern aus dem Wege; hat er ihnen doch schon seinen lieben Pincio fast gänzlich ein¬ geräumt! Oben vom Testaccio, da wo die Garibaldi'schen Schanzen vom Jahre 1849, mit denen sie die französischen Belagerungsbatterien auf dem jenseitigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/527>, abgerufen am 06.02.2025.