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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Buche, welches bereits in zweiter Auflage erschienen, neue Leser zuführe.
Perthes hat lebensvoll und mit strenger Gerechtigkeit seine Aufgabe durchge¬
führt, er hat kein Bedauern für die verkommenen alten Zustände und anerkennt,
daß eine Nadicalkur nothwendig war diesen Schutt zu beseitigen, er sieht es
als verhältnißmäßig vortheilhaft an, daß die Revolution von oben herab durch¬
geführt ward und Deutschland so vor dem wüsten Durcheinander der Pvvel-
anarchie bewahrt ward, welche Frankreich dulden mußte, aber seine nationale
Gesinnung erhebt sich mit Ingrimm dagegen, daß deutsche Fürsten sich auf das
Ausland stützen mußten, um im Innern umzubilden und daß das "l'stat.c'est
moi" der Borwand werden mußte, um abgestorbene Institutionen zu beseitigen.




Römisches Straßenleben.
Schluß aus voriger Nummer.

Laß uns weiter schreiten über das Forum, über das Campo Vaccino mit
seinen Düngerhaufen, seinen lagernden Stieren und Büffeln, dem Titusboge"
zu. Wir wandeln auf den breiten Pflastersteinen der Via sacra; unter dem
Bogen laufen wir Spießruthen zwischen einer Doppelreihe blinder Bettelweiber
oder Krüppel, die ihre Blechbüchsen schütteln, indem sie uns ihr "xovöi'u,
eieeg,; pvvsrv stioxMw" zurufen. Mit Mangel an kleinem Geld kann man
sich nicht entschuldigen, denn die blinde Frau ist vermögend genug, um selbst
einen sendo wechseln zu können. Ein Bettler sitzt an der Straße, seine
Nothdurft verrichtend; auch er streckt uns, ohne seine Stellung zu ändern,
die Hand entgegen: "dro t^ins, clovs-es lzus-tels co"g. iVIvussiou!" sagt er.
Auf der grünen Anhöhe links, da wo einst die Säulenhallen des Doppel¬
tempels der Roma und Venus standen, sind Gruppen von Va8saI1i (Leuten
aus dem Volk) und Soldaten gelagert; sie spielen das Lotto; der Bankhalter
rüst seine Zahlen, ähnlich wie in Deutschland beim Kegelschieben, in nur den
Eingeweihten bekannten Ausdrücken, und wenn einer der Spielenden eine Qua-
terne besetzt und so einen Preis gewonnen hat, so erheben die andern ein
Wuthgeschrei: "si AMwÄWw, si scauato" d. h. sei ermordet, sei erdolcht und


Buche, welches bereits in zweiter Auflage erschienen, neue Leser zuführe.
Perthes hat lebensvoll und mit strenger Gerechtigkeit seine Aufgabe durchge¬
führt, er hat kein Bedauern für die verkommenen alten Zustände und anerkennt,
daß eine Nadicalkur nothwendig war diesen Schutt zu beseitigen, er sieht es
als verhältnißmäßig vortheilhaft an, daß die Revolution von oben herab durch¬
geführt ward und Deutschland so vor dem wüsten Durcheinander der Pvvel-
anarchie bewahrt ward, welche Frankreich dulden mußte, aber seine nationale
Gesinnung erhebt sich mit Ingrimm dagegen, daß deutsche Fürsten sich auf das
Ausland stützen mußten, um im Innern umzubilden und daß das „l'stat.c'est
moi" der Borwand werden mußte, um abgestorbene Institutionen zu beseitigen.




Römisches Straßenleben.
Schluß aus voriger Nummer.

Laß uns weiter schreiten über das Forum, über das Campo Vaccino mit
seinen Düngerhaufen, seinen lagernden Stieren und Büffeln, dem Titusboge»
zu. Wir wandeln auf den breiten Pflastersteinen der Via sacra; unter dem
Bogen laufen wir Spießruthen zwischen einer Doppelreihe blinder Bettelweiber
oder Krüppel, die ihre Blechbüchsen schütteln, indem sie uns ihr „xovöi'u,
eieeg,; pvvsrv stioxMw" zurufen. Mit Mangel an kleinem Geld kann man
sich nicht entschuldigen, denn die blinde Frau ist vermögend genug, um selbst
einen sendo wechseln zu können. Ein Bettler sitzt an der Straße, seine
Nothdurft verrichtend; auch er streckt uns, ohne seine Stellung zu ändern,
die Hand entgegen: „dro t^ins, clovs-es lzus-tels co«g. iVIvussiou!" sagt er.
Auf der grünen Anhöhe links, da wo einst die Säulenhallen des Doppel¬
tempels der Roma und Venus standen, sind Gruppen von Va8saI1i (Leuten
aus dem Volk) und Soldaten gelagert; sie spielen das Lotto; der Bankhalter
rüst seine Zahlen, ähnlich wie in Deutschland beim Kegelschieben, in nur den
Eingeweihten bekannten Ausdrücken, und wenn einer der Spielenden eine Qua-
terne besetzt und so einen Preis gewonnen hat, so erheben die andern ein
Wuthgeschrei: „si AMwÄWw, si scauato" d. h. sei ermordet, sei erdolcht und


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[0522] Buche, welches bereits in zweiter Auflage erschienen, neue Leser zuführe. Perthes hat lebensvoll und mit strenger Gerechtigkeit seine Aufgabe durchge¬ führt, er hat kein Bedauern für die verkommenen alten Zustände und anerkennt, daß eine Nadicalkur nothwendig war diesen Schutt zu beseitigen, er sieht es als verhältnißmäßig vortheilhaft an, daß die Revolution von oben herab durch¬ geführt ward und Deutschland so vor dem wüsten Durcheinander der Pvvel- anarchie bewahrt ward, welche Frankreich dulden mußte, aber seine nationale Gesinnung erhebt sich mit Ingrimm dagegen, daß deutsche Fürsten sich auf das Ausland stützen mußten, um im Innern umzubilden und daß das „l'stat.c'est moi" der Borwand werden mußte, um abgestorbene Institutionen zu beseitigen. Römisches Straßenleben. Schluß aus voriger Nummer. Laß uns weiter schreiten über das Forum, über das Campo Vaccino mit seinen Düngerhaufen, seinen lagernden Stieren und Büffeln, dem Titusboge» zu. Wir wandeln auf den breiten Pflastersteinen der Via sacra; unter dem Bogen laufen wir Spießruthen zwischen einer Doppelreihe blinder Bettelweiber oder Krüppel, die ihre Blechbüchsen schütteln, indem sie uns ihr „xovöi'u, eieeg,; pvvsrv stioxMw" zurufen. Mit Mangel an kleinem Geld kann man sich nicht entschuldigen, denn die blinde Frau ist vermögend genug, um selbst einen sendo wechseln zu können. Ein Bettler sitzt an der Straße, seine Nothdurft verrichtend; auch er streckt uns, ohne seine Stellung zu ändern, die Hand entgegen: „dro t^ins, clovs-es lzus-tels co«g. iVIvussiou!" sagt er. Auf der grünen Anhöhe links, da wo einst die Säulenhallen des Doppel¬ tempels der Roma und Venus standen, sind Gruppen von Va8saI1i (Leuten aus dem Volk) und Soldaten gelagert; sie spielen das Lotto; der Bankhalter rüst seine Zahlen, ähnlich wie in Deutschland beim Kegelschieben, in nur den Eingeweihten bekannten Ausdrücken, und wenn einer der Spielenden eine Qua- terne besetzt und so einen Preis gewonnen hat, so erheben die andern ein Wuthgeschrei: „si AMwÄWw, si scauato" d. h. sei ermordet, sei erdolcht und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/522>, abgerufen am 05.02.2025.