Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.Industrie sind zahlreiche Protestanten eingewandert. Seit 1849 ist den Evan¬ Ein Haupthinderniß aber des Aufschwungs der evangelischen Kirche in . Es ist fast ein Wunder zu nennen, daß die evangelische Kirche in Böhmen Industrie sind zahlreiche Protestanten eingewandert. Seit 1849 ist den Evan¬ Ein Haupthinderniß aber des Aufschwungs der evangelischen Kirche in . Es ist fast ein Wunder zu nennen, daß die evangelische Kirche in Böhmen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114366"/> <p xml:id="ID_171" prev="#ID_170"> Industrie sind zahlreiche Protestanten eingewandert. Seit 1849 ist den Evan¬<lb/> gelischen gesetzlich erlaubt, Kirchen mit Thürmen und Glocken zu haben, ihre<lb/> Geistlichen durften von da an amtliche Zeugnisse ausstellen, und im Jahr<lb/> 1861 wurde, wie bekannt, durch kaiserliches Patent volle Freiheit der Protestan¬<lb/> ten und volle Gleichstellung derselben mit den Katholiken verkündet. Der<lb/> Gustav-Adolf-Verein endlich hat seit der Zeit, wo ihm zu helfen gestattet war,<lb/> einzelnen Gemeinden nach Kräften geholfen. Aber für das Ganze bleibt noch<lb/> sehr viel zu thun. Bei Weitem die meisten der 91 Gemeinden in Böhmen<lb/> und Mähren leiden noch bittern Mangel. Manchen entfernten Filialen fehlt<lb/> die Kirche, mancher Pfarrer lebt in den drückendsten Verhältnissen, und das<lb/> Bild des verfallenden hölzernen Bethauses, dem wir in mehr als einem Be¬<lb/> richt begegnen, ist keine empfindsame Uebertreibung, sondern traurige, nach den<lb/> Verhältnissen sehr erklärliche Wirklichkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_172"> Ein Haupthinderniß aber des Aufschwungs der evangelischen Kirche in<lb/> den genannten östreichischen Provinzen, eine stete Gefahr von Verlusten an id-<lb/> ren Gliedern liegt in dem dort herrschenden Mangel an evangelischen Volks¬<lb/> schulen und in der üblen Beschaffenheit vieler der wenigen bestehenden. Die<lb/> evangelische Kirche von Oestrcichisch-Schlesien hat in 13 Pfarreien Augsburger<lb/> Confession ungefähr 63.000 Protestanten. Sie hat, wenn wir die 200» Evan¬<lb/> gelischen in Orkan und Umgegend ausnehmen, die mehre Stunden vom Pfarr¬<lb/> ort Bludvwitz entfernt wohnen und fast ohne alle kirchliche Versorgung sind,<lb/> den Vorzug, näher aneinanderliegende und verhältnißmäßig wohlhabende Ge¬<lb/> meinden zu besitzen. Viel schlimmer steht es in Mähren, welches in 13 Pfar¬<lb/> reien 17,000 Protestanten lutherischer Confession und in 19 Pfarreien 39,000<lb/> Neformirte, noch schlimmer in Böhmen, das (außer dem für sich bestehenden<lb/> Seniorat Asch mit etwa 18,000 Seelen) 15 lutherische und 36 reformirte Ge¬<lb/> meinden, jene mit 15,000, diese mit etwa 60,000 Seelen zählt. Die Kinder<lb/> der Protestanten besuchen in allen diesen Provinzen an sehr vielen Orten die<lb/> katholische Schule und empfangen nur zur Vorbereitung auf die Confirmation<lb/> — meist stundenweit aus entlegenen Dörfern zusammenkommend — von ihrem<lb/> Pfarrer Unterricht in ihrem Glauben. In Schlesien waren 1860 noch über 600<lb/> Kinder von Evangelischen in Ermangelung evangelischer Schulen lediglich aus<lb/> katholischen Unterricht angewiesen. In Mähren genossen von 4000 reformirten<lb/> Kindern nur etwas mehr als 2000 Unterricht in Schulen ihres Bekenntnisses,<lb/> und im Zauchteler Seniorat, welches der Augsburger Confession angehört,<lb/> mußten von circa 1900 schulpflichtigen Kindern 424 die katholischen Schulen<lb/> ihrer Orte besuchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_173" next="#ID_174"> . Es ist fast ein Wunder zu nennen, daß die evangelische Kirche in Böhmen<lb/> und Mähren sich mehre Menschenalter hindurch ohne irgendwelche Pflege er¬<lb/> halten hat. Es sieht wie ein Wunder aus, daß unsre dortigen Glaubens-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
Industrie sind zahlreiche Protestanten eingewandert. Seit 1849 ist den Evan¬
gelischen gesetzlich erlaubt, Kirchen mit Thürmen und Glocken zu haben, ihre
Geistlichen durften von da an amtliche Zeugnisse ausstellen, und im Jahr
1861 wurde, wie bekannt, durch kaiserliches Patent volle Freiheit der Protestan¬
ten und volle Gleichstellung derselben mit den Katholiken verkündet. Der
Gustav-Adolf-Verein endlich hat seit der Zeit, wo ihm zu helfen gestattet war,
einzelnen Gemeinden nach Kräften geholfen. Aber für das Ganze bleibt noch
sehr viel zu thun. Bei Weitem die meisten der 91 Gemeinden in Böhmen
und Mähren leiden noch bittern Mangel. Manchen entfernten Filialen fehlt
die Kirche, mancher Pfarrer lebt in den drückendsten Verhältnissen, und das
Bild des verfallenden hölzernen Bethauses, dem wir in mehr als einem Be¬
richt begegnen, ist keine empfindsame Uebertreibung, sondern traurige, nach den
Verhältnissen sehr erklärliche Wirklichkeit.
Ein Haupthinderniß aber des Aufschwungs der evangelischen Kirche in
den genannten östreichischen Provinzen, eine stete Gefahr von Verlusten an id-
ren Gliedern liegt in dem dort herrschenden Mangel an evangelischen Volks¬
schulen und in der üblen Beschaffenheit vieler der wenigen bestehenden. Die
evangelische Kirche von Oestrcichisch-Schlesien hat in 13 Pfarreien Augsburger
Confession ungefähr 63.000 Protestanten. Sie hat, wenn wir die 200» Evan¬
gelischen in Orkan und Umgegend ausnehmen, die mehre Stunden vom Pfarr¬
ort Bludvwitz entfernt wohnen und fast ohne alle kirchliche Versorgung sind,
den Vorzug, näher aneinanderliegende und verhältnißmäßig wohlhabende Ge¬
meinden zu besitzen. Viel schlimmer steht es in Mähren, welches in 13 Pfar¬
reien 17,000 Protestanten lutherischer Confession und in 19 Pfarreien 39,000
Neformirte, noch schlimmer in Böhmen, das (außer dem für sich bestehenden
Seniorat Asch mit etwa 18,000 Seelen) 15 lutherische und 36 reformirte Ge¬
meinden, jene mit 15,000, diese mit etwa 60,000 Seelen zählt. Die Kinder
der Protestanten besuchen in allen diesen Provinzen an sehr vielen Orten die
katholische Schule und empfangen nur zur Vorbereitung auf die Confirmation
— meist stundenweit aus entlegenen Dörfern zusammenkommend — von ihrem
Pfarrer Unterricht in ihrem Glauben. In Schlesien waren 1860 noch über 600
Kinder von Evangelischen in Ermangelung evangelischer Schulen lediglich aus
katholischen Unterricht angewiesen. In Mähren genossen von 4000 reformirten
Kindern nur etwas mehr als 2000 Unterricht in Schulen ihres Bekenntnisses,
und im Zauchteler Seniorat, welches der Augsburger Confession angehört,
mußten von circa 1900 schulpflichtigen Kindern 424 die katholischen Schulen
ihrer Orte besuchen.
. Es ist fast ein Wunder zu nennen, daß die evangelische Kirche in Böhmen
und Mähren sich mehre Menschenalter hindurch ohne irgendwelche Pflege er¬
halten hat. Es sieht wie ein Wunder aus, daß unsre dortigen Glaubens-
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