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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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schließen konnten, namentlich Fürstenhäuser, welche die Nheinbundsouveränetät
mit der Vorzeit.verknüpften. Aber wie Dalbergs frankfurtischer Staat, so wa¬
ren das Großherzogthum Berg und das Königreich Westphalen reine Erzeug¬
nisse des Zufalls und der Willkür, aus einem Gemenge von früheren Terri¬
torien zusammengewürfelt und einem Verwandten Napoleons als Versorgung
gegeben. Die Wirthschaft Jerome's. welche König in seinem Carneval behan¬
delt, findet eine scharfe Charakteristik bei Perthes; die Sünden des preußischen
Adels, der sich vor den französischen Abenteurern willfährig beugte, glücklich
war, ihnen seine Töchter geben zu können und selbst am liederlichen Hofe zu
prasselt, werden so strenge hervorgehoben, wie die feige Weisheit Johannes
v. Müllers, der sich plötzlich umzudenken wußte vor dem. dem Gott die Welt
in seine Hand gegeben. Doch hätte Müller wohl eine etwas ausführlichere Be¬
handlung verdient, und namentlich der unvergleichliche Absagebrief von Gentz
citirt werden sollen, denn wie Dalberg unter den Vornehmen, so steht Müller
unter den Gelehrten als warnendes Beispiel da.

Anders als diese unselbständigen oder durch die Laune des Zufalls gebil¬
deten Staaten stellten sich Bayern und Würtemberg im Zeitalter der Revolu¬
tion. "Das bayrische Volk ist geistlich, schlecht und gerecht, läuft gern wall¬
fahrten, legt sich mehr auf Ackerbau und Viehzucht als auf den Krieg, bleibt
gerne daheim, trinkt sehr, hat viele Kinder, ist etwas unfreundlich und hart¬
näckig." Mit dieser Schilderung des Chronisten Johannes Avcntinus aus dem
fünfzehnten Jahrhundert stimmt der bayrische Charakter noch heute vollkommen;
dem sinnlichen Behagen zugewendet, kennt dieser Stamm das innere Drän¬
gen und Suchen des deutschen Geistes wenig, schwerlich, bemerkt Pertz, hätte
unter ihm die Faustsage entstehen können. Hervorragende Persönlichkei¬
ten, Erfinder und Entdecker sind nicht aus ihm hervorgegangen, seine Be"
deutung für Deutschland liegt in dem Stamm als Stamm, den er um
so leichter fest und geschlossen erhalten konnte, je ärmer er an Persönlich¬
keiten war. Er blieb unter einem alten Fürstengeschlecht in einem Herzog¬
tum vereinigt, während Schwaben und Franken sich zersplitterten. Durch
die Geschlossenheit aufgefordert eine Bedeutung zu erstreben und durch die
geographische Lage doch wieder von einer großen politischen Stellung aus¬
geschlossen, ward Bayern im Widerspruch zwischen Wollen und Können
dahin gedrängt, sich durch ausländische Hülfe zu verschaffen, was es aus
eigner Macht nicht erreichen konnte, es gab sich in inneren Verhältnissen
Rom, in ausländischen Frankreich hin. Bayern war das einzige Terri¬
torium Deutschlands, in welchem der Protestantismus nie Wurzel faßte, wo
daher aber auch der Katholicismus am meisten entartete. Der vierte Theil
des Jahres bestand aus Feiertagen, Cultus und Unterricht waren den un¬
wissendsten Mönchen anvertraut, von 100. ja 200 Menschen konnte nur einer


schließen konnten, namentlich Fürstenhäuser, welche die Nheinbundsouveränetät
mit der Vorzeit.verknüpften. Aber wie Dalbergs frankfurtischer Staat, so wa¬
ren das Großherzogthum Berg und das Königreich Westphalen reine Erzeug¬
nisse des Zufalls und der Willkür, aus einem Gemenge von früheren Terri¬
torien zusammengewürfelt und einem Verwandten Napoleons als Versorgung
gegeben. Die Wirthschaft Jerome's. welche König in seinem Carneval behan¬
delt, findet eine scharfe Charakteristik bei Perthes; die Sünden des preußischen
Adels, der sich vor den französischen Abenteurern willfährig beugte, glücklich
war, ihnen seine Töchter geben zu können und selbst am liederlichen Hofe zu
prasselt, werden so strenge hervorgehoben, wie die feige Weisheit Johannes
v. Müllers, der sich plötzlich umzudenken wußte vor dem. dem Gott die Welt
in seine Hand gegeben. Doch hätte Müller wohl eine etwas ausführlichere Be¬
handlung verdient, und namentlich der unvergleichliche Absagebrief von Gentz
citirt werden sollen, denn wie Dalberg unter den Vornehmen, so steht Müller
unter den Gelehrten als warnendes Beispiel da.

Anders als diese unselbständigen oder durch die Laune des Zufalls gebil¬
deten Staaten stellten sich Bayern und Würtemberg im Zeitalter der Revolu¬
tion. „Das bayrische Volk ist geistlich, schlecht und gerecht, läuft gern wall¬
fahrten, legt sich mehr auf Ackerbau und Viehzucht als auf den Krieg, bleibt
gerne daheim, trinkt sehr, hat viele Kinder, ist etwas unfreundlich und hart¬
näckig." Mit dieser Schilderung des Chronisten Johannes Avcntinus aus dem
fünfzehnten Jahrhundert stimmt der bayrische Charakter noch heute vollkommen;
dem sinnlichen Behagen zugewendet, kennt dieser Stamm das innere Drän¬
gen und Suchen des deutschen Geistes wenig, schwerlich, bemerkt Pertz, hätte
unter ihm die Faustsage entstehen können. Hervorragende Persönlichkei¬
ten, Erfinder und Entdecker sind nicht aus ihm hervorgegangen, seine Be«
deutung für Deutschland liegt in dem Stamm als Stamm, den er um
so leichter fest und geschlossen erhalten konnte, je ärmer er an Persönlich¬
keiten war. Er blieb unter einem alten Fürstengeschlecht in einem Herzog¬
tum vereinigt, während Schwaben und Franken sich zersplitterten. Durch
die Geschlossenheit aufgefordert eine Bedeutung zu erstreben und durch die
geographische Lage doch wieder von einer großen politischen Stellung aus¬
geschlossen, ward Bayern im Widerspruch zwischen Wollen und Können
dahin gedrängt, sich durch ausländische Hülfe zu verschaffen, was es aus
eigner Macht nicht erreichen konnte, es gab sich in inneren Verhältnissen
Rom, in ausländischen Frankreich hin. Bayern war das einzige Terri¬
torium Deutschlands, in welchem der Protestantismus nie Wurzel faßte, wo
daher aber auch der Katholicismus am meisten entartete. Der vierte Theil
des Jahres bestand aus Feiertagen, Cultus und Unterricht waren den un¬
wissendsten Mönchen anvertraut, von 100. ja 200 Menschen konnte nur einer


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[0518] schließen konnten, namentlich Fürstenhäuser, welche die Nheinbundsouveränetät mit der Vorzeit.verknüpften. Aber wie Dalbergs frankfurtischer Staat, so wa¬ ren das Großherzogthum Berg und das Königreich Westphalen reine Erzeug¬ nisse des Zufalls und der Willkür, aus einem Gemenge von früheren Terri¬ torien zusammengewürfelt und einem Verwandten Napoleons als Versorgung gegeben. Die Wirthschaft Jerome's. welche König in seinem Carneval behan¬ delt, findet eine scharfe Charakteristik bei Perthes; die Sünden des preußischen Adels, der sich vor den französischen Abenteurern willfährig beugte, glücklich war, ihnen seine Töchter geben zu können und selbst am liederlichen Hofe zu prasselt, werden so strenge hervorgehoben, wie die feige Weisheit Johannes v. Müllers, der sich plötzlich umzudenken wußte vor dem. dem Gott die Welt in seine Hand gegeben. Doch hätte Müller wohl eine etwas ausführlichere Be¬ handlung verdient, und namentlich der unvergleichliche Absagebrief von Gentz citirt werden sollen, denn wie Dalberg unter den Vornehmen, so steht Müller unter den Gelehrten als warnendes Beispiel da. Anders als diese unselbständigen oder durch die Laune des Zufalls gebil¬ deten Staaten stellten sich Bayern und Würtemberg im Zeitalter der Revolu¬ tion. „Das bayrische Volk ist geistlich, schlecht und gerecht, läuft gern wall¬ fahrten, legt sich mehr auf Ackerbau und Viehzucht als auf den Krieg, bleibt gerne daheim, trinkt sehr, hat viele Kinder, ist etwas unfreundlich und hart¬ näckig." Mit dieser Schilderung des Chronisten Johannes Avcntinus aus dem fünfzehnten Jahrhundert stimmt der bayrische Charakter noch heute vollkommen; dem sinnlichen Behagen zugewendet, kennt dieser Stamm das innere Drän¬ gen und Suchen des deutschen Geistes wenig, schwerlich, bemerkt Pertz, hätte unter ihm die Faustsage entstehen können. Hervorragende Persönlichkei¬ ten, Erfinder und Entdecker sind nicht aus ihm hervorgegangen, seine Be« deutung für Deutschland liegt in dem Stamm als Stamm, den er um so leichter fest und geschlossen erhalten konnte, je ärmer er an Persönlich¬ keiten war. Er blieb unter einem alten Fürstengeschlecht in einem Herzog¬ tum vereinigt, während Schwaben und Franken sich zersplitterten. Durch die Geschlossenheit aufgefordert eine Bedeutung zu erstreben und durch die geographische Lage doch wieder von einer großen politischen Stellung aus¬ geschlossen, ward Bayern im Widerspruch zwischen Wollen und Können dahin gedrängt, sich durch ausländische Hülfe zu verschaffen, was es aus eigner Macht nicht erreichen konnte, es gab sich in inneren Verhältnissen Rom, in ausländischen Frankreich hin. Bayern war das einzige Terri¬ torium Deutschlands, in welchem der Protestantismus nie Wurzel faßte, wo daher aber auch der Katholicismus am meisten entartete. Der vierte Theil des Jahres bestand aus Feiertagen, Cultus und Unterricht waren den un¬ wissendsten Mönchen anvertraut, von 100. ja 200 Menschen konnte nur einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/518>, abgerufen am 06.02.2025.