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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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landesherrliche Stellung, und nur durch Napoleon konnte er dieselbe behaupten
und erweitern. Der gewaltigen Persönlichkeit des Kaisers gegenüber zeigte sich
die weiche Willenlosigkeit des Primas. Als er vor der Schlacht von Austerlitz
im Glauben an das Sinken von Napoleons Stern die Stellung von Truppen
geweigert und eine wunderliche Proclamation erlassen, mußte er sich die härteste
Behandlung gefallen lassen; er suchte sein Unrecht vergessen zu machen, indem
er Napoleon zur Regeneration der Reichsverfassung aufforderte, deren Grundzüge
im Rheinbund ihre Verwirklichung erhielten. Cardinal Fesch, ein Corse, der
kein Wort deutsch verstand, dessen einziger Titel für geistliche Würden seine Ver¬
wandtschaft mit Napoleon war, ward auf seinen Wunsch Coadjutor. Dalberg
selbst Großherzog von Frankfurt. Ehre genug ward dem eiteln, schwachen
Mann zu Theil, aber er fühlte stets, daß er ein Werkzeug in fremder Hand
sei. er, der mit Königen an einer Tafel speiste, wagte nicht sich für die Milde¬
rung von Steins Acht zu verwenden und führte, seinen früher ausgesprochenen
Grundsätzen entgegen, die ganze Napoleonische Gesetzgebung in seinem Groß-
herzogthum ein. Das Geschöpf folgte dem Schicksale seines Schöpfers; mit
der Schlacht von Leipzig siel Dalbcrgs Staat, er hatte schon vor der Ankunft
der Verbündeten Land und Leute in Stich gelassen und starb vergessen. ein
warnendes Beispiel für Fürsten, die ihre Stütze im Auslande suchen. Richtig
urtheilt gewiß Perthes. wenn er sagt: "Er ist weder unberechtigter noch selbst¬
süchtiger und niedriger aufgetreten als die andern südwestlichen Rheinbundsfür¬
sten, aber er hatte reichere Gaben als sie und ebenso wenig geleistet, er hatte
größer geredet als sie und ebenso klein gehandelt."

Die Länder, wo unleugbar die neue Ordnung der Dinge am wenigsten
schonungslos durchgeführt ward, waren Baden. Nassau und Hessen-Darmstadt.
Sie folgten zwar dem neuen Sterne, der das Markgrafenthum zehnfach ver¬
größerte und dem Landgrafenthum zur doppelten Einwohnerzahl verhalf; die
Verschmelzung d"r verschiedenartigen kleinen Territorien zu einem neuen Staate
konnte auch ohne durchgreifende, die bestehenden Rechte oft schwer verletzende
Maßregeln nicht geschehen, aber in den drei Ländern wirkte die Persönlichkeit
des Fürsten mildernd ein. Karl Friedrich von Baden zeigte sich vor allem als
ein ehrenwerther religiöser Fürst, der die allgemeine Liebe seiner Unterthanen
genoß, wenn auch freilich von einer Unabhängigkeit des Charakters den Fran¬
zosen gegenüber keine Rede war. Unterrichtswesen und Kirche erfreuten sich
einer ernsten und gesunden Gesetzgebung, die Universität Heidelberg ward reor-
ganisirt und hob sich rasch durch ausgezeichnete neubcrufne Lehrer; Armenpflege.
Steunverfassung und die gesammte Verwaltung wurden zweckmäßig ge¬
ordnet.

In Baden. Hessen-Darmstadt und Nassau fand sich wenigstens ein Kern,
der eine Vergangenheit hatte, und an den sich die neuen Erwerbungen an-


landesherrliche Stellung, und nur durch Napoleon konnte er dieselbe behaupten
und erweitern. Der gewaltigen Persönlichkeit des Kaisers gegenüber zeigte sich
die weiche Willenlosigkeit des Primas. Als er vor der Schlacht von Austerlitz
im Glauben an das Sinken von Napoleons Stern die Stellung von Truppen
geweigert und eine wunderliche Proclamation erlassen, mußte er sich die härteste
Behandlung gefallen lassen; er suchte sein Unrecht vergessen zu machen, indem
er Napoleon zur Regeneration der Reichsverfassung aufforderte, deren Grundzüge
im Rheinbund ihre Verwirklichung erhielten. Cardinal Fesch, ein Corse, der
kein Wort deutsch verstand, dessen einziger Titel für geistliche Würden seine Ver¬
wandtschaft mit Napoleon war, ward auf seinen Wunsch Coadjutor. Dalberg
selbst Großherzog von Frankfurt. Ehre genug ward dem eiteln, schwachen
Mann zu Theil, aber er fühlte stets, daß er ein Werkzeug in fremder Hand
sei. er, der mit Königen an einer Tafel speiste, wagte nicht sich für die Milde¬
rung von Steins Acht zu verwenden und führte, seinen früher ausgesprochenen
Grundsätzen entgegen, die ganze Napoleonische Gesetzgebung in seinem Groß-
herzogthum ein. Das Geschöpf folgte dem Schicksale seines Schöpfers; mit
der Schlacht von Leipzig siel Dalbcrgs Staat, er hatte schon vor der Ankunft
der Verbündeten Land und Leute in Stich gelassen und starb vergessen. ein
warnendes Beispiel für Fürsten, die ihre Stütze im Auslande suchen. Richtig
urtheilt gewiß Perthes. wenn er sagt: „Er ist weder unberechtigter noch selbst¬
süchtiger und niedriger aufgetreten als die andern südwestlichen Rheinbundsfür¬
sten, aber er hatte reichere Gaben als sie und ebenso wenig geleistet, er hatte
größer geredet als sie und ebenso klein gehandelt."

Die Länder, wo unleugbar die neue Ordnung der Dinge am wenigsten
schonungslos durchgeführt ward, waren Baden. Nassau und Hessen-Darmstadt.
Sie folgten zwar dem neuen Sterne, der das Markgrafenthum zehnfach ver¬
größerte und dem Landgrafenthum zur doppelten Einwohnerzahl verhalf; die
Verschmelzung d»r verschiedenartigen kleinen Territorien zu einem neuen Staate
konnte auch ohne durchgreifende, die bestehenden Rechte oft schwer verletzende
Maßregeln nicht geschehen, aber in den drei Ländern wirkte die Persönlichkeit
des Fürsten mildernd ein. Karl Friedrich von Baden zeigte sich vor allem als
ein ehrenwerther religiöser Fürst, der die allgemeine Liebe seiner Unterthanen
genoß, wenn auch freilich von einer Unabhängigkeit des Charakters den Fran¬
zosen gegenüber keine Rede war. Unterrichtswesen und Kirche erfreuten sich
einer ernsten und gesunden Gesetzgebung, die Universität Heidelberg ward reor-
ganisirt und hob sich rasch durch ausgezeichnete neubcrufne Lehrer; Armenpflege.
Steunverfassung und die gesammte Verwaltung wurden zweckmäßig ge¬
ordnet.

In Baden. Hessen-Darmstadt und Nassau fand sich wenigstens ein Kern,
der eine Vergangenheit hatte, und an den sich die neuen Erwerbungen an-


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[0517] landesherrliche Stellung, und nur durch Napoleon konnte er dieselbe behaupten und erweitern. Der gewaltigen Persönlichkeit des Kaisers gegenüber zeigte sich die weiche Willenlosigkeit des Primas. Als er vor der Schlacht von Austerlitz im Glauben an das Sinken von Napoleons Stern die Stellung von Truppen geweigert und eine wunderliche Proclamation erlassen, mußte er sich die härteste Behandlung gefallen lassen; er suchte sein Unrecht vergessen zu machen, indem er Napoleon zur Regeneration der Reichsverfassung aufforderte, deren Grundzüge im Rheinbund ihre Verwirklichung erhielten. Cardinal Fesch, ein Corse, der kein Wort deutsch verstand, dessen einziger Titel für geistliche Würden seine Ver¬ wandtschaft mit Napoleon war, ward auf seinen Wunsch Coadjutor. Dalberg selbst Großherzog von Frankfurt. Ehre genug ward dem eiteln, schwachen Mann zu Theil, aber er fühlte stets, daß er ein Werkzeug in fremder Hand sei. er, der mit Königen an einer Tafel speiste, wagte nicht sich für die Milde¬ rung von Steins Acht zu verwenden und führte, seinen früher ausgesprochenen Grundsätzen entgegen, die ganze Napoleonische Gesetzgebung in seinem Groß- herzogthum ein. Das Geschöpf folgte dem Schicksale seines Schöpfers; mit der Schlacht von Leipzig siel Dalbcrgs Staat, er hatte schon vor der Ankunft der Verbündeten Land und Leute in Stich gelassen und starb vergessen. ein warnendes Beispiel für Fürsten, die ihre Stütze im Auslande suchen. Richtig urtheilt gewiß Perthes. wenn er sagt: „Er ist weder unberechtigter noch selbst¬ süchtiger und niedriger aufgetreten als die andern südwestlichen Rheinbundsfür¬ sten, aber er hatte reichere Gaben als sie und ebenso wenig geleistet, er hatte größer geredet als sie und ebenso klein gehandelt." Die Länder, wo unleugbar die neue Ordnung der Dinge am wenigsten schonungslos durchgeführt ward, waren Baden. Nassau und Hessen-Darmstadt. Sie folgten zwar dem neuen Sterne, der das Markgrafenthum zehnfach ver¬ größerte und dem Landgrafenthum zur doppelten Einwohnerzahl verhalf; die Verschmelzung d»r verschiedenartigen kleinen Territorien zu einem neuen Staate konnte auch ohne durchgreifende, die bestehenden Rechte oft schwer verletzende Maßregeln nicht geschehen, aber in den drei Ländern wirkte die Persönlichkeit des Fürsten mildernd ein. Karl Friedrich von Baden zeigte sich vor allem als ein ehrenwerther religiöser Fürst, der die allgemeine Liebe seiner Unterthanen genoß, wenn auch freilich von einer Unabhängigkeit des Charakters den Fran¬ zosen gegenüber keine Rede war. Unterrichtswesen und Kirche erfreuten sich einer ernsten und gesunden Gesetzgebung, die Universität Heidelberg ward reor- ganisirt und hob sich rasch durch ausgezeichnete neubcrufne Lehrer; Armenpflege. Steunverfassung und die gesammte Verwaltung wurden zweckmäßig ge¬ ordnet. In Baden. Hessen-Darmstadt und Nassau fand sich wenigstens ein Kern, der eine Vergangenheit hatte, und an den sich die neuen Erwerbungen an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/517>, abgerufen am 06.02.2025.