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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Universität berufen, der Hofadel lebte in Rousseau's Träumereien und hätte es
doch als tolle Anmaßung empfunden, wenn sich jemand in das Capitel hätte
eindrängen wollen, dem die 16 Ahnen fehlten. Je nachdem eins dieser wider¬
sprechenden Elemente die Oberhand gewann, änderte sich die Regierung des be¬
treffenden Kurfürstenthums, und neigte sich entweder Oestreich oder Preußen,
entweder dem Papst oder den Lehren der Selbständigkeit zu, welche in der
Emser Punctation ihren Ausdruck fanden. Solche Zustände mußten beim Zu¬
sammenstoß mit der Revolution rettungslos, fast wehrlos fallen und der Um¬
wälzung den günstigsten Boden bieten.

Die merkwürdigste Erscheinung bei dieser Lage der Sache bleibt, daß den¬
noch die Franzosen von der Bevölkerung nirgends gut aufgenommen wurden;
es waren einzelne Enthusiasten wie Forster und Görres, oder die anarchischen
Elemente, welche der neuen Freiheit und Brüderlichkeit zujauchzten, aber Bür¬
ger und Bauern zeigten ihren Widerwillen gegen die Neuerungen sehr nach¬
drücklich und konnten nur durch Terrorismus dazu gebracht werden, um den
Freiheitsbaum zu tanzen. Als der französische General Dampierre in Aachen
eine Volksversammlung berufen, um durch sie die bisherigen Behörden zu besei¬
tigen, riefen alle auf die Frage, ob sie mit ihrer Verfassung zufrieden seien, ja!
ob sie keine Aenderung wünschten, nein! und liefen sofort wieder nach Hause.
Aehnlich war es in Köln und andern Städten, in Coblenz protestirten alle
Zünfte gegen die Erklärung der Republik, es war unmöglich, die Bürger zur
Unterzeichnung einer Adresse zu bewegen, und da man einmal viele Unterschrif¬
ten brauchte, wurden die Knaben aus der Schule herbeigerufen und mußten ihre
Namen, doch ohne Angabe ihres Berufes, eintragen. Das Landvolk war in
der besten Disposition, und wenn sich ein leitender Kopf in den Regierungen
gefunden, so wäre der Widerstand leicht zu organisiren gewesen. Davon war
aber freilich nichts zu sehen; zuerst suchte man die Vorgänge zu ignoriren, das
Bonnische Jntelltgenzblatt erwähnte bis zum Sturm der Bastille wegen Mangel
an Raum nichts von den Unruhen in Frankreich, der hochedele hochweise
Rath von Köln verwarnte die Zeitungsschreiber, "welche über die Grenzen der
ihnen blos zustehenden Geschichtserzählungen mit allerlei unpassenden und anzüg¬
lichen Zusätzen, Vernünftelungen und Ausschweifungen hinausgehen". Als dies
Mittel nicht mehr half, erfolgten eindringliche Mahnungen zur Anhänglichkeit
an die angestammte Obrigkeit, aber zu gleicher Zeit packten die Kurfürsten und
der Hofadel ihre Kostbarkeiten ein und flohen bei der ersten Annäherung der fran¬
zösischen Schaaren. Das erweckte nun wohl Erbitterung gegen die erstem, aber
keine Vorliebe für die letztern, um so weniger als die französischen Brüder anfangs
leise, dann sehr laut mit Anforderungen hervortraten; alle erdenklichen Dinge
wurden von den Gewalthabern requirirt, alle bestehenden Steuern mit der
äußersten Härte forterhoben, der Zwcmgscurs der Assignaten durch Militär-


Grenzboten III. 1662. 64

Universität berufen, der Hofadel lebte in Rousseau's Träumereien und hätte es
doch als tolle Anmaßung empfunden, wenn sich jemand in das Capitel hätte
eindrängen wollen, dem die 16 Ahnen fehlten. Je nachdem eins dieser wider¬
sprechenden Elemente die Oberhand gewann, änderte sich die Regierung des be¬
treffenden Kurfürstenthums, und neigte sich entweder Oestreich oder Preußen,
entweder dem Papst oder den Lehren der Selbständigkeit zu, welche in der
Emser Punctation ihren Ausdruck fanden. Solche Zustände mußten beim Zu¬
sammenstoß mit der Revolution rettungslos, fast wehrlos fallen und der Um¬
wälzung den günstigsten Boden bieten.

Die merkwürdigste Erscheinung bei dieser Lage der Sache bleibt, daß den¬
noch die Franzosen von der Bevölkerung nirgends gut aufgenommen wurden;
es waren einzelne Enthusiasten wie Forster und Görres, oder die anarchischen
Elemente, welche der neuen Freiheit und Brüderlichkeit zujauchzten, aber Bür¬
ger und Bauern zeigten ihren Widerwillen gegen die Neuerungen sehr nach¬
drücklich und konnten nur durch Terrorismus dazu gebracht werden, um den
Freiheitsbaum zu tanzen. Als der französische General Dampierre in Aachen
eine Volksversammlung berufen, um durch sie die bisherigen Behörden zu besei¬
tigen, riefen alle auf die Frage, ob sie mit ihrer Verfassung zufrieden seien, ja!
ob sie keine Aenderung wünschten, nein! und liefen sofort wieder nach Hause.
Aehnlich war es in Köln und andern Städten, in Coblenz protestirten alle
Zünfte gegen die Erklärung der Republik, es war unmöglich, die Bürger zur
Unterzeichnung einer Adresse zu bewegen, und da man einmal viele Unterschrif¬
ten brauchte, wurden die Knaben aus der Schule herbeigerufen und mußten ihre
Namen, doch ohne Angabe ihres Berufes, eintragen. Das Landvolk war in
der besten Disposition, und wenn sich ein leitender Kopf in den Regierungen
gefunden, so wäre der Widerstand leicht zu organisiren gewesen. Davon war
aber freilich nichts zu sehen; zuerst suchte man die Vorgänge zu ignoriren, das
Bonnische Jntelltgenzblatt erwähnte bis zum Sturm der Bastille wegen Mangel
an Raum nichts von den Unruhen in Frankreich, der hochedele hochweise
Rath von Köln verwarnte die Zeitungsschreiber, „welche über die Grenzen der
ihnen blos zustehenden Geschichtserzählungen mit allerlei unpassenden und anzüg¬
lichen Zusätzen, Vernünftelungen und Ausschweifungen hinausgehen". Als dies
Mittel nicht mehr half, erfolgten eindringliche Mahnungen zur Anhänglichkeit
an die angestammte Obrigkeit, aber zu gleicher Zeit packten die Kurfürsten und
der Hofadel ihre Kostbarkeiten ein und flohen bei der ersten Annäherung der fran¬
zösischen Schaaren. Das erweckte nun wohl Erbitterung gegen die erstem, aber
keine Vorliebe für die letztern, um so weniger als die französischen Brüder anfangs
leise, dann sehr laut mit Anforderungen hervortraten; alle erdenklichen Dinge
wurden von den Gewalthabern requirirt, alle bestehenden Steuern mit der
äußersten Härte forterhoben, der Zwcmgscurs der Assignaten durch Militär-


Grenzboten III. 1662. 64
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/513>, abgerufen am 06.02.2025.