Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.ein starkes Geschlecht groß gezogen, das sich auch nach außen kräftig geltend Bei solchen Zuständen mußte auch das Verfassungslebcn in vollkommnen ein starkes Geschlecht groß gezogen, das sich auch nach außen kräftig geltend Bei solchen Zuständen mußte auch das Verfassungslebcn in vollkommnen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114825"/> <p xml:id="ID_1998" prev="#ID_1997"> ein starkes Geschlecht groß gezogen, das sich auch nach außen kräftig geltend<lb/> zu machen mußte; weithin erstreckten sich Kölns Handelsbeziehungen, und bis<lb/> zum fünfzehnten Jahrhundert leitete es mit Lübeck die Hansa; in Kunst,<lb/> Wissenschaft und Handwerk stand es keiner deutschen Stadt nach. Aber der<lb/> Geist wich aus den Formen, als Köln die Reformation zurückwies und die<lb/> Dunkelmänner beschützte. Der Handel sank zur Krämerei, die Malerschule<lb/> zur Anstreicherzunft, das Handwerk war auf den Bedarf der Nachbarn<lb/> beschränkt, nicht einmal die vorhandenen Denkmäler wußte man vor dem<lb/> Verfall zu bewahren. Während in den erzbischöflichen Residenzen Mainz,<lb/> Koblenz und Bonn die Aufklärung wenigstens ein gewisses Leben in Ver¬<lb/> waltung und Wissenschaft brachte, lag Köln wie Aachen regungslos in den<lb/> starren Formen des Katholicismus, welche die Gegenreformation erzeugt hatte.<lb/> Je bedenklicher der Erzbischof in Bonn dem neuen Geist huldigte, desto leiden¬<lb/> schaftlicher warf sich das in Köln gebliebene Domcapitel mit seinen reichs¬<lb/> fürstlicher und reichsgräflichen Domherren und Dvmicillaren, Vicaren und<lb/> Capellanen in eine bigotte Opposition. Die zusammengeschmolzene Bevölkerung<lb/> lag ganz in der Hand eines zahllosen Klerus. In den drei Gymnasien er¬<lb/> theilten Priester im Priesterkleid den Unterricht an Schüler, welche in allen<lb/> Classen Rosenkranz und Gebetbuch stets bei sich führen mußten. Die Univer¬<lb/> sität war halb eine kirchliche Anstalt, halb eine reichsstädtische Zunft, welche<lb/> j^eden Nichttölncr eisersüchtig fern hielt. Die wenigen Versuche, etwas von dem<lb/> Licht der Zeiten Lessings oder auch nur Saliers in die dumpfen Zellen einer<lb/> hochmüthigen Orthodoxie zu leiten, mißlangen vollständig. In dem Bestreben,<lb/> die Stadt so rein von Gedanken zu erhalten wie die Hörsäle, wurde die Uni¬<lb/> versität von dem erzbischöflichen Official, dem päpstlichen Nuntius und einem<lb/> Dominicaner unterstützt, welcher aufgestellt war als Inquisitor gegen ketzerische<lb/> Schlechtigkeit; sie mit einander übten eine vierfache Censur. Es lebten nicht<lb/> wenige Protestanten in Köln, aber sie durften weder ein Amt bekleiden noch<lb/> ein Haus besitzen, weder eine Kirche noch einen Betsaal haben: auf einem im<lb/> Rheine ankernden Schiffe durften sie sich versammeln. „Köln ist," schreibt.ein<lb/> reisender Franzose, „in jedem Betracht die abscheulichste Stadt in Deutschland;<lb/> die meisten Häuser drohen den Einsturz, ein großer Theil derselben steht ganz<lb/> leer. Privilegirte Bettler machen ein Drittheil der Bevölkerung aus; vor je¬<lb/> der Kirche sitzen sie reihenweise auf Stühlen und folgen einander nach der<lb/> Anciennetät; stirbt der Vorderste ab, so rückt sein nächster Nachbar vor."</p><lb/> <p xml:id="ID_1999" next="#ID_2000"> Bei solchen Zuständen mußte auch das Verfassungslebcn in vollkommnen<lb/> Verfall gerathen; die Gaffelfreunde hatten ihre alte Stärke verloren, weil bei<lb/> ihrer Wahl die Zünfte sich fast nur durch die Größe der Geldspenden leiten<lb/> ließen, der Rath wurde thatsächlich zu einem sich selbst ergänzenden Körper, unter<lb/> dessen Mitglieder fast alle Aemter der städtischen Gerichtsbarkeit und Verwal-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0511]
ein starkes Geschlecht groß gezogen, das sich auch nach außen kräftig geltend
zu machen mußte; weithin erstreckten sich Kölns Handelsbeziehungen, und bis
zum fünfzehnten Jahrhundert leitete es mit Lübeck die Hansa; in Kunst,
Wissenschaft und Handwerk stand es keiner deutschen Stadt nach. Aber der
Geist wich aus den Formen, als Köln die Reformation zurückwies und die
Dunkelmänner beschützte. Der Handel sank zur Krämerei, die Malerschule
zur Anstreicherzunft, das Handwerk war auf den Bedarf der Nachbarn
beschränkt, nicht einmal die vorhandenen Denkmäler wußte man vor dem
Verfall zu bewahren. Während in den erzbischöflichen Residenzen Mainz,
Koblenz und Bonn die Aufklärung wenigstens ein gewisses Leben in Ver¬
waltung und Wissenschaft brachte, lag Köln wie Aachen regungslos in den
starren Formen des Katholicismus, welche die Gegenreformation erzeugt hatte.
Je bedenklicher der Erzbischof in Bonn dem neuen Geist huldigte, desto leiden¬
schaftlicher warf sich das in Köln gebliebene Domcapitel mit seinen reichs¬
fürstlicher und reichsgräflichen Domherren und Dvmicillaren, Vicaren und
Capellanen in eine bigotte Opposition. Die zusammengeschmolzene Bevölkerung
lag ganz in der Hand eines zahllosen Klerus. In den drei Gymnasien er¬
theilten Priester im Priesterkleid den Unterricht an Schüler, welche in allen
Classen Rosenkranz und Gebetbuch stets bei sich führen mußten. Die Univer¬
sität war halb eine kirchliche Anstalt, halb eine reichsstädtische Zunft, welche
j^eden Nichttölncr eisersüchtig fern hielt. Die wenigen Versuche, etwas von dem
Licht der Zeiten Lessings oder auch nur Saliers in die dumpfen Zellen einer
hochmüthigen Orthodoxie zu leiten, mißlangen vollständig. In dem Bestreben,
die Stadt so rein von Gedanken zu erhalten wie die Hörsäle, wurde die Uni¬
versität von dem erzbischöflichen Official, dem päpstlichen Nuntius und einem
Dominicaner unterstützt, welcher aufgestellt war als Inquisitor gegen ketzerische
Schlechtigkeit; sie mit einander übten eine vierfache Censur. Es lebten nicht
wenige Protestanten in Köln, aber sie durften weder ein Amt bekleiden noch
ein Haus besitzen, weder eine Kirche noch einen Betsaal haben: auf einem im
Rheine ankernden Schiffe durften sie sich versammeln. „Köln ist," schreibt.ein
reisender Franzose, „in jedem Betracht die abscheulichste Stadt in Deutschland;
die meisten Häuser drohen den Einsturz, ein großer Theil derselben steht ganz
leer. Privilegirte Bettler machen ein Drittheil der Bevölkerung aus; vor je¬
der Kirche sitzen sie reihenweise auf Stühlen und folgen einander nach der
Anciennetät; stirbt der Vorderste ab, so rückt sein nächster Nachbar vor."
Bei solchen Zuständen mußte auch das Verfassungslebcn in vollkommnen
Verfall gerathen; die Gaffelfreunde hatten ihre alte Stärke verloren, weil bei
ihrer Wahl die Zünfte sich fast nur durch die Größe der Geldspenden leiten
ließen, der Rath wurde thatsächlich zu einem sich selbst ergänzenden Körper, unter
dessen Mitglieder fast alle Aemter der städtischen Gerichtsbarkeit und Verwal-
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