Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.bildenden Kräfte erstarrt, die Erschöpfung des dreißigjährigen Krieges hatte bildenden Kräfte erstarrt, die Erschöpfung des dreißigjährigen Krieges hatte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114824"/> <p xml:id="ID_1997" prev="#ID_1996" next="#ID_1998"> bildenden Kräfte erstarrt, die Erschöpfung des dreißigjährigen Krieges hatte<lb/> den fürstlichen Absolutismus ermöglicht, der Staat sah im Menschen keinen be¬<lb/> rechtigten Bürger, sondern nur den Unterthan, das zu regierende Object. Nur<lb/> mächtige Stöße konnten die träge Masse aufrütteln und als solche traten Frie¬<lb/> drich der Große und die französische Revolution auf. Wir wollen uns hier<lb/> bei ersterm nicht aufhalten, nachdem uns seine Bedeutung noch kürzlich Freytag<lb/> so trefflich, dargestellt hat und wenden uns zu der letztern. Die Revolu¬<lb/> tion traf Deutschland nicht unvorbereitet; wenn keine lebendigen Parteien da<lb/> waren, welche wie im Mittelalter und in der Reformation auf dem Boden der<lb/> Wirklichkeit erwuchsen, so hatte doch die philosophische Speculation durch die<lb/> Theorien der naturrechtlichen und Montesquieu'schen Schule vorgearbeitet. Da<lb/> das Mitwirken am lebendigen Staat versagt war, so zimmerte man sich einen<lb/> besten Staat in der Einbildung, in dem alles nach dem Nichtmaß der Vernunft<lb/> aufgebaut war, und begrüßte daher den Versuch der Franzosen, einen solchen<lb/> Idealstaat in die Wirklichkeit zu übersetzen, mit lautem Beifall. Aber richtig<lb/> bemerkt Perthes, daß durch Parteien, welche auf bloßen Theorien fußten, noch<lb/> nie Staaten gestürzt oder reformirt sind, und daß jede eingreifende Veränderung<lb/> auch in Deutschland nach 1 739 aus den besonderen Zuständen, Personen und<lb/> Ereignissen der Territorien hervorging, welche mit der Revolution zusammen¬<lb/> trafen. Gerade in dem Theil des Reiches, das französischen Angriffen offen<lb/> lag, war die Zerstücklung am kläglichsten, während im entlegneren Osten Preu¬<lb/> ßen und Oestreich einen Halt gaben; im Westen hatten also Revolution und<lb/> Napoleonismus verhältnißmäßig leichtes Spiel, nachdem erst jene größern<lb/> Mächte diesen Theil Deutschlands den Fremden überlassen hatten. Das deutsche<lb/> linke Rheinufer theilte sich wesentlich unter die drei geistlichen Kurfürsten-<lb/> thümer Mainz, Köln und Trier und'die beiden Reichsstädte Köln und Aachen.<lb/> Nur die beiden letzteren hatten ein selbständiges Leben gehabt. Bereits in der<lb/> Römerzeit hatte Köln eine Rolle gespielt, in der Einbürgerung des Christen¬<lb/> thums auf deutschem Boden nahm es eine hervorragende Stellung ein. es<lb/> wuchs während der Herrschaft der Merovinger und Karolinger und stieg im<lb/> Mittelalter zu immer größerer Bedeutung. Es gehörte zu den wenigen deut¬<lb/> schen Städten, in denen sich zu allen Zeiten ein Kern freier Geschlechter be¬<lb/> hauptete, die dann im zwölften und dreizehnten Jahrhundert den Kampf für<lb/> die Unabhängigkeit von bischöflicher Herrschaft in erster Reihe und mit grö߬<lb/> tem Erfolge fochten, die Schlacht von Woringen (1288) stellte Köln dauernd<lb/> vor dem Priesterregiment sicher. Im vierzehnten Jahrhundert folgten die<lb/> Kämpfe der Geschlechter mit den Zünften, welche mit dem Siege der letzteren<lb/> endeten, auf dem Verbundbrief von 1396 ruhte fortan die Verfassung' der<lb/> Stadt, die neue städtische Obrigkeit, Rath und Gaffelfreunde, ging aus der ge-<lb/> sammten zünftigen Bürgerschaft hervor. Das bewegte politische Leben hatte</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0510]
bildenden Kräfte erstarrt, die Erschöpfung des dreißigjährigen Krieges hatte
den fürstlichen Absolutismus ermöglicht, der Staat sah im Menschen keinen be¬
rechtigten Bürger, sondern nur den Unterthan, das zu regierende Object. Nur
mächtige Stöße konnten die träge Masse aufrütteln und als solche traten Frie¬
drich der Große und die französische Revolution auf. Wir wollen uns hier
bei ersterm nicht aufhalten, nachdem uns seine Bedeutung noch kürzlich Freytag
so trefflich, dargestellt hat und wenden uns zu der letztern. Die Revolu¬
tion traf Deutschland nicht unvorbereitet; wenn keine lebendigen Parteien da
waren, welche wie im Mittelalter und in der Reformation auf dem Boden der
Wirklichkeit erwuchsen, so hatte doch die philosophische Speculation durch die
Theorien der naturrechtlichen und Montesquieu'schen Schule vorgearbeitet. Da
das Mitwirken am lebendigen Staat versagt war, so zimmerte man sich einen
besten Staat in der Einbildung, in dem alles nach dem Nichtmaß der Vernunft
aufgebaut war, und begrüßte daher den Versuch der Franzosen, einen solchen
Idealstaat in die Wirklichkeit zu übersetzen, mit lautem Beifall. Aber richtig
bemerkt Perthes, daß durch Parteien, welche auf bloßen Theorien fußten, noch
nie Staaten gestürzt oder reformirt sind, und daß jede eingreifende Veränderung
auch in Deutschland nach 1 739 aus den besonderen Zuständen, Personen und
Ereignissen der Territorien hervorging, welche mit der Revolution zusammen¬
trafen. Gerade in dem Theil des Reiches, das französischen Angriffen offen
lag, war die Zerstücklung am kläglichsten, während im entlegneren Osten Preu¬
ßen und Oestreich einen Halt gaben; im Westen hatten also Revolution und
Napoleonismus verhältnißmäßig leichtes Spiel, nachdem erst jene größern
Mächte diesen Theil Deutschlands den Fremden überlassen hatten. Das deutsche
linke Rheinufer theilte sich wesentlich unter die drei geistlichen Kurfürsten-
thümer Mainz, Köln und Trier und'die beiden Reichsstädte Köln und Aachen.
Nur die beiden letzteren hatten ein selbständiges Leben gehabt. Bereits in der
Römerzeit hatte Köln eine Rolle gespielt, in der Einbürgerung des Christen¬
thums auf deutschem Boden nahm es eine hervorragende Stellung ein. es
wuchs während der Herrschaft der Merovinger und Karolinger und stieg im
Mittelalter zu immer größerer Bedeutung. Es gehörte zu den wenigen deut¬
schen Städten, in denen sich zu allen Zeiten ein Kern freier Geschlechter be¬
hauptete, die dann im zwölften und dreizehnten Jahrhundert den Kampf für
die Unabhängigkeit von bischöflicher Herrschaft in erster Reihe und mit grö߬
tem Erfolge fochten, die Schlacht von Woringen (1288) stellte Köln dauernd
vor dem Priesterregiment sicher. Im vierzehnten Jahrhundert folgten die
Kämpfe der Geschlechter mit den Zünften, welche mit dem Siege der letzteren
endeten, auf dem Verbundbrief von 1396 ruhte fortan die Verfassung' der
Stadt, die neue städtische Obrigkeit, Rath und Gaffelfreunde, ging aus der ge-
sammten zünftigen Bürgerschaft hervor. Das bewegte politische Leben hatte
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