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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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wenige waren, in allen möglichen Verstecken, in hohlen Bäumen, in Hunde¬
hütten u. a. in. verborgen, erhalten geblieben, aber um so fester hafteten in
dem Gedächtnisse die von Bater auf Sohn, von Mutter auf Tochter fort¬
gepflanzten Sprüche der Schrift, die evangelischen Lieder, Bekenntnißformeln und
Gebete der alten Zeit. Nur selten hatte im Lauf der fünfzehn Jahrzehnte seit
der Prager Schlacht ein gemeinsamer Gottesdienst und Abendmahlsgenuß statt¬
finden können. Nur dann und wann, etwa wenn ein durchreisender Pfarrer
protestantischer Confession dazu Gelegenheit bot, hatte man sich im Gebirge
tief im Waldesdunkel oder in Schluchten und Höhlen nach sorgsamer Aus¬
stellung von Wachen zu solchen Andachtsübungen vereinigt. Dennoch hatten
die Herzen nicht vom Glauben der Bäter gelassen, und inmitten aller Straf-
edicte, Mißhandlungen und Verfolgungen war er, wie unter der Erde im Winter
die Saat, bewahrt geblieben, um jetzt seines Frühlings froh zu werden.

Aber die Freude war mit schwerer Sorge gemischt. Es waren meist arme
Leute, die mit solcher Treue das Evangelium festgehalten hatten, es waren
großentheils Dörfer des unfruchtbaren Gebirgs, wo die neuen Gemeinden sich
bildeten. Opferbereit schössen sie zusammen, was sie vermochten, aber ihr Ver¬
mögen war gering, und so konnte nur das Nothdürftigste beschafft werden.
Man richtete aus Holz und Lehm ein kleines Bethaus auf und stellte einen
Pfarrer an. der bei dem kärglichen Gehalt, den man ihm allein gewähren
konnte, von vornherein auf Nothleiden angewiesen war. Zur Begründung einer
eigenen Schule reichten nur in wenigen Orten die MitteKaus; schien doch Bet¬
haus und Geistlicher jedenfalls das Unentbehrlichste. Und auch-damit hatte
man vielfach seine Kräfte überschätzt. Nur mit großer Selbstverläugnung konnten
die meisten Gemeinden die laufenden kirchlichen Ausgaben decken, an Tilgung
der Schulden für die ersten baulichen Anlagen, an Verbesserung der Pfarr¬
gehalte im Verhältniß zu der steigenden Theurung der Lebensbedürfnisse, an
Restauration der allmälig baufällig gewordenen Kirchen und Pfarren war nicht
zu denken*). Der Staat that nicht nur nichts für die Kirchen- und Schul¬
anstalten der Ketzer, sondern versuchte nach Josephs Ableben wiederholt sie zu
hemmen,, zu sudeln und zu beeinträchtigen.

Trotzdem blieben diese Gemeinden getreu. Sie bestanden fort und mehr¬
ten sich sogar. Namentlich seit dem Aufschwung des Eisenbahnwesens und der



') So in Rotallewitz im Neutitscheiner Kreise, einer Gemeinde von 900 Seelen, wo
der Pfarrer an Gehalt noch heute nicht mehr als 60 Gulden, 20 Metzen Korn, 40 Pfund
Schmalz und 12 Klaftern Hol, bezieht. Der Superintendent der 13 reformirten Gemeinden
Mährens bekommt als Pfarrer 279, als Superintendent 3V0 Gulden; letztere Summe wird
aber durch die nothwendigen Amtsiciscn in seinem 63 Ortschaften umfassenden Sprengel voll-
ständig in Anspruch genommen. Von Anschaffung guter Bücher, vom Fortschreite" mit der
deutschen Wissenschaft kann bei so kärglichen Besoldungen nicht die Rede sein.
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wenige waren, in allen möglichen Verstecken, in hohlen Bäumen, in Hunde¬
hütten u. a. in. verborgen, erhalten geblieben, aber um so fester hafteten in
dem Gedächtnisse die von Bater auf Sohn, von Mutter auf Tochter fort¬
gepflanzten Sprüche der Schrift, die evangelischen Lieder, Bekenntnißformeln und
Gebete der alten Zeit. Nur selten hatte im Lauf der fünfzehn Jahrzehnte seit
der Prager Schlacht ein gemeinsamer Gottesdienst und Abendmahlsgenuß statt¬
finden können. Nur dann und wann, etwa wenn ein durchreisender Pfarrer
protestantischer Confession dazu Gelegenheit bot, hatte man sich im Gebirge
tief im Waldesdunkel oder in Schluchten und Höhlen nach sorgsamer Aus¬
stellung von Wachen zu solchen Andachtsübungen vereinigt. Dennoch hatten
die Herzen nicht vom Glauben der Bäter gelassen, und inmitten aller Straf-
edicte, Mißhandlungen und Verfolgungen war er, wie unter der Erde im Winter
die Saat, bewahrt geblieben, um jetzt seines Frühlings froh zu werden.

Aber die Freude war mit schwerer Sorge gemischt. Es waren meist arme
Leute, die mit solcher Treue das Evangelium festgehalten hatten, es waren
großentheils Dörfer des unfruchtbaren Gebirgs, wo die neuen Gemeinden sich
bildeten. Opferbereit schössen sie zusammen, was sie vermochten, aber ihr Ver¬
mögen war gering, und so konnte nur das Nothdürftigste beschafft werden.
Man richtete aus Holz und Lehm ein kleines Bethaus auf und stellte einen
Pfarrer an. der bei dem kärglichen Gehalt, den man ihm allein gewähren
konnte, von vornherein auf Nothleiden angewiesen war. Zur Begründung einer
eigenen Schule reichten nur in wenigen Orten die MitteKaus; schien doch Bet¬
haus und Geistlicher jedenfalls das Unentbehrlichste. Und auch-damit hatte
man vielfach seine Kräfte überschätzt. Nur mit großer Selbstverläugnung konnten
die meisten Gemeinden die laufenden kirchlichen Ausgaben decken, an Tilgung
der Schulden für die ersten baulichen Anlagen, an Verbesserung der Pfarr¬
gehalte im Verhältniß zu der steigenden Theurung der Lebensbedürfnisse, an
Restauration der allmälig baufällig gewordenen Kirchen und Pfarren war nicht
zu denken*). Der Staat that nicht nur nichts für die Kirchen- und Schul¬
anstalten der Ketzer, sondern versuchte nach Josephs Ableben wiederholt sie zu
hemmen,, zu sudeln und zu beeinträchtigen.

Trotzdem blieben diese Gemeinden getreu. Sie bestanden fort und mehr¬
ten sich sogar. Namentlich seit dem Aufschwung des Eisenbahnwesens und der



') So in Rotallewitz im Neutitscheiner Kreise, einer Gemeinde von 900 Seelen, wo
der Pfarrer an Gehalt noch heute nicht mehr als 60 Gulden, 20 Metzen Korn, 40 Pfund
Schmalz und 12 Klaftern Hol, bezieht. Der Superintendent der 13 reformirten Gemeinden
Mährens bekommt als Pfarrer 279, als Superintendent 3V0 Gulden; letztere Summe wird
aber durch die nothwendigen Amtsiciscn in seinem 63 Ortschaften umfassenden Sprengel voll-
ständig in Anspruch genommen. Von Anschaffung guter Bücher, vom Fortschreite» mit der
deutschen Wissenschaft kann bei so kärglichen Besoldungen nicht die Rede sein.
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[0051] wenige waren, in allen möglichen Verstecken, in hohlen Bäumen, in Hunde¬ hütten u. a. in. verborgen, erhalten geblieben, aber um so fester hafteten in dem Gedächtnisse die von Bater auf Sohn, von Mutter auf Tochter fort¬ gepflanzten Sprüche der Schrift, die evangelischen Lieder, Bekenntnißformeln und Gebete der alten Zeit. Nur selten hatte im Lauf der fünfzehn Jahrzehnte seit der Prager Schlacht ein gemeinsamer Gottesdienst und Abendmahlsgenuß statt¬ finden können. Nur dann und wann, etwa wenn ein durchreisender Pfarrer protestantischer Confession dazu Gelegenheit bot, hatte man sich im Gebirge tief im Waldesdunkel oder in Schluchten und Höhlen nach sorgsamer Aus¬ stellung von Wachen zu solchen Andachtsübungen vereinigt. Dennoch hatten die Herzen nicht vom Glauben der Bäter gelassen, und inmitten aller Straf- edicte, Mißhandlungen und Verfolgungen war er, wie unter der Erde im Winter die Saat, bewahrt geblieben, um jetzt seines Frühlings froh zu werden. Aber die Freude war mit schwerer Sorge gemischt. Es waren meist arme Leute, die mit solcher Treue das Evangelium festgehalten hatten, es waren großentheils Dörfer des unfruchtbaren Gebirgs, wo die neuen Gemeinden sich bildeten. Opferbereit schössen sie zusammen, was sie vermochten, aber ihr Ver¬ mögen war gering, und so konnte nur das Nothdürftigste beschafft werden. Man richtete aus Holz und Lehm ein kleines Bethaus auf und stellte einen Pfarrer an. der bei dem kärglichen Gehalt, den man ihm allein gewähren konnte, von vornherein auf Nothleiden angewiesen war. Zur Begründung einer eigenen Schule reichten nur in wenigen Orten die MitteKaus; schien doch Bet¬ haus und Geistlicher jedenfalls das Unentbehrlichste. Und auch-damit hatte man vielfach seine Kräfte überschätzt. Nur mit großer Selbstverläugnung konnten die meisten Gemeinden die laufenden kirchlichen Ausgaben decken, an Tilgung der Schulden für die ersten baulichen Anlagen, an Verbesserung der Pfarr¬ gehalte im Verhältniß zu der steigenden Theurung der Lebensbedürfnisse, an Restauration der allmälig baufällig gewordenen Kirchen und Pfarren war nicht zu denken*). Der Staat that nicht nur nichts für die Kirchen- und Schul¬ anstalten der Ketzer, sondern versuchte nach Josephs Ableben wiederholt sie zu hemmen,, zu sudeln und zu beeinträchtigen. Trotzdem blieben diese Gemeinden getreu. Sie bestanden fort und mehr¬ ten sich sogar. Namentlich seit dem Aufschwung des Eisenbahnwesens und der ') So in Rotallewitz im Neutitscheiner Kreise, einer Gemeinde von 900 Seelen, wo der Pfarrer an Gehalt noch heute nicht mehr als 60 Gulden, 20 Metzen Korn, 40 Pfund Schmalz und 12 Klaftern Hol, bezieht. Der Superintendent der 13 reformirten Gemeinden Mährens bekommt als Pfarrer 279, als Superintendent 3V0 Gulden; letztere Summe wird aber durch die nothwendigen Amtsiciscn in seinem 63 Ortschaften umfassenden Sprengel voll- ständig in Anspruch genommen. Von Anschaffung guter Bücher, vom Fortschreite» mit der deutschen Wissenschaft kann bei so kärglichen Besoldungen nicht die Rede sein. 6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/51>, abgerufen am 11.02.2025.