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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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um den Beistand des Himmels bei den Berathungen sprechen. Dann fragt
der Landammann die Hauptleute der Rhoden, ob sie mit der Landesrechnung
zufrieden, worauf man zu den Wahlen der Landesbeamtcn schreitet. Gewöhn¬
lich wird der Landammann auf ein zweites Jahr wiedergewählt. Tritt er nach
diesem ab, so wird er Alt-Landammann Pannerherr, als welcher er früher die
große Landesfahne zu tragen hatte, wenn die Rhoden ins Feld zogen. Dem
neugewcihltcn Landammann wird das Landsiegel übergeben, und er übernimmt
dann sofort den Vorsitz bei der Landesgemeinde.

Die durch letztere zu besetzenden großen Aemter sind nach der Verfassung
von l829 außer dem genannten das des Statthalters, des Seckelmeisters.
Landeshauptmanns, Landesbauherrn, Landesfäbndrichs und des Landeszeugherrn,
sowie das des Armenleuten-Seckelmeisters, des Armenleuten-Pflegers und des
Kirchenpflegers. Das Verfahren bei diesen Wahlen beginnt damit, daß der
Vorsitzende die Hauptleute der Rhoden fragt, wen sie für das betreffende Amt
vorschlagen oder, wie der herkömmliche Ausdruck ist "wen sie dazu rauhen".
Nach der Umfrage an die Hauptleute kann jeder Landmann seinen Vorschlag
thun. Dann wird abgestimmt, wozu der Führer der Landgemeinde mit den
Worten auffordert: "Welchem wohlgefällt und gut dünkt, daß N. N. das hürig
Jahr uwer regierender Landammann (oder Landeshauptmann, Seckelmeister u. s. w.)
sei, der heb die Hand uf".

Ist man mit den Wahlen zu Stande, so wird, was sonst zu besprechen und zu
ordnen ist, vorgenommen, wobei es oft sehr stürmisch zugeht und schließlich wie bei,
den Wahlen durch Handaufheben. "Handmehr" die Entscheidung herbeigeführt
wird. Ist auch dieser Theil der Geschäfte erledigt, so bitten der Landsweibel
und der Landschreiber um Bestätigung in ihren Aemtern für das folgende Jahr,
und dann folgt zum Schluß die feierliche Beeidigung der sämmtlichen Beamten.
Die Besoldungen der obersten Beamten sind sehr gering, ihre ziemlich viel Ar¬
beit erfordernden Aemter mithin wenig gesucht. Früher war dies anders und
Bestechung an der Tagesordnung, weshalb sich im Landbuch strenge Strafen
für das sogenannte "Prakticiren" oder "Trölen" finden. Sehr begehrt sind die
niedern Aemter des Landschreibers und Landweibels, ^>in auch die "bittenden
Aemter" heißen und um die sich der Humor der Appenzeller bisweilen in recht
wunderlichen Formen bewirbt.

Nachdem die Landsgemeinde beendigt ist, treten die sieben Rhoden weiter
auseinander, um ihre besondern Angelegenheiten zu verhandeln, zunächst, um
ihre Hauptleute und ihre Vertreter im Großen und Kleinen Rath zu wählen.
In jeder Rhod alterniren zwei Hauptleute in der Leitung der Geschäfte. Der
regierende wird Amtshauptmann genannt.

Wir ersuchen jetzt den Leser, uns nach dem Rathhause in dem Flecken
Appenzell zu folgen. Zur Rechten der in dasselbe führenden Thür sieht man


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um den Beistand des Himmels bei den Berathungen sprechen. Dann fragt
der Landammann die Hauptleute der Rhoden, ob sie mit der Landesrechnung
zufrieden, worauf man zu den Wahlen der Landesbeamtcn schreitet. Gewöhn¬
lich wird der Landammann auf ein zweites Jahr wiedergewählt. Tritt er nach
diesem ab, so wird er Alt-Landammann Pannerherr, als welcher er früher die
große Landesfahne zu tragen hatte, wenn die Rhoden ins Feld zogen. Dem
neugewcihltcn Landammann wird das Landsiegel übergeben, und er übernimmt
dann sofort den Vorsitz bei der Landesgemeinde.

Die durch letztere zu besetzenden großen Aemter sind nach der Verfassung
von l829 außer dem genannten das des Statthalters, des Seckelmeisters.
Landeshauptmanns, Landesbauherrn, Landesfäbndrichs und des Landeszeugherrn,
sowie das des Armenleuten-Seckelmeisters, des Armenleuten-Pflegers und des
Kirchenpflegers. Das Verfahren bei diesen Wahlen beginnt damit, daß der
Vorsitzende die Hauptleute der Rhoden fragt, wen sie für das betreffende Amt
vorschlagen oder, wie der herkömmliche Ausdruck ist „wen sie dazu rauhen".
Nach der Umfrage an die Hauptleute kann jeder Landmann seinen Vorschlag
thun. Dann wird abgestimmt, wozu der Führer der Landgemeinde mit den
Worten auffordert: „Welchem wohlgefällt und gut dünkt, daß N. N. das hürig
Jahr uwer regierender Landammann (oder Landeshauptmann, Seckelmeister u. s. w.)
sei, der heb die Hand uf".

Ist man mit den Wahlen zu Stande, so wird, was sonst zu besprechen und zu
ordnen ist, vorgenommen, wobei es oft sehr stürmisch zugeht und schließlich wie bei,
den Wahlen durch Handaufheben. „Handmehr" die Entscheidung herbeigeführt
wird. Ist auch dieser Theil der Geschäfte erledigt, so bitten der Landsweibel
und der Landschreiber um Bestätigung in ihren Aemtern für das folgende Jahr,
und dann folgt zum Schluß die feierliche Beeidigung der sämmtlichen Beamten.
Die Besoldungen der obersten Beamten sind sehr gering, ihre ziemlich viel Ar¬
beit erfordernden Aemter mithin wenig gesucht. Früher war dies anders und
Bestechung an der Tagesordnung, weshalb sich im Landbuch strenge Strafen
für das sogenannte „Prakticiren" oder „Trölen" finden. Sehr begehrt sind die
niedern Aemter des Landschreibers und Landweibels, ^>in auch die „bittenden
Aemter" heißen und um die sich der Humor der Appenzeller bisweilen in recht
wunderlichen Formen bewirbt.

Nachdem die Landsgemeinde beendigt ist, treten die sieben Rhoden weiter
auseinander, um ihre besondern Angelegenheiten zu verhandeln, zunächst, um
ihre Hauptleute und ihre Vertreter im Großen und Kleinen Rath zu wählen.
In jeder Rhod alterniren zwei Hauptleute in der Leitung der Geschäfte. Der
regierende wird Amtshauptmann genannt.

Wir ersuchen jetzt den Leser, uns nach dem Rathhause in dem Flecken
Appenzell zu folgen. Zur Rechten der in dasselbe führenden Thür sieht man


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[0499] um den Beistand des Himmels bei den Berathungen sprechen. Dann fragt der Landammann die Hauptleute der Rhoden, ob sie mit der Landesrechnung zufrieden, worauf man zu den Wahlen der Landesbeamtcn schreitet. Gewöhn¬ lich wird der Landammann auf ein zweites Jahr wiedergewählt. Tritt er nach diesem ab, so wird er Alt-Landammann Pannerherr, als welcher er früher die große Landesfahne zu tragen hatte, wenn die Rhoden ins Feld zogen. Dem neugewcihltcn Landammann wird das Landsiegel übergeben, und er übernimmt dann sofort den Vorsitz bei der Landesgemeinde. Die durch letztere zu besetzenden großen Aemter sind nach der Verfassung von l829 außer dem genannten das des Statthalters, des Seckelmeisters. Landeshauptmanns, Landesbauherrn, Landesfäbndrichs und des Landeszeugherrn, sowie das des Armenleuten-Seckelmeisters, des Armenleuten-Pflegers und des Kirchenpflegers. Das Verfahren bei diesen Wahlen beginnt damit, daß der Vorsitzende die Hauptleute der Rhoden fragt, wen sie für das betreffende Amt vorschlagen oder, wie der herkömmliche Ausdruck ist „wen sie dazu rauhen". Nach der Umfrage an die Hauptleute kann jeder Landmann seinen Vorschlag thun. Dann wird abgestimmt, wozu der Führer der Landgemeinde mit den Worten auffordert: „Welchem wohlgefällt und gut dünkt, daß N. N. das hürig Jahr uwer regierender Landammann (oder Landeshauptmann, Seckelmeister u. s. w.) sei, der heb die Hand uf". Ist man mit den Wahlen zu Stande, so wird, was sonst zu besprechen und zu ordnen ist, vorgenommen, wobei es oft sehr stürmisch zugeht und schließlich wie bei, den Wahlen durch Handaufheben. „Handmehr" die Entscheidung herbeigeführt wird. Ist auch dieser Theil der Geschäfte erledigt, so bitten der Landsweibel und der Landschreiber um Bestätigung in ihren Aemtern für das folgende Jahr, und dann folgt zum Schluß die feierliche Beeidigung der sämmtlichen Beamten. Die Besoldungen der obersten Beamten sind sehr gering, ihre ziemlich viel Ar¬ beit erfordernden Aemter mithin wenig gesucht. Früher war dies anders und Bestechung an der Tagesordnung, weshalb sich im Landbuch strenge Strafen für das sogenannte „Prakticiren" oder „Trölen" finden. Sehr begehrt sind die niedern Aemter des Landschreibers und Landweibels, ^>in auch die „bittenden Aemter" heißen und um die sich der Humor der Appenzeller bisweilen in recht wunderlichen Formen bewirbt. Nachdem die Landsgemeinde beendigt ist, treten die sieben Rhoden weiter auseinander, um ihre besondern Angelegenheiten zu verhandeln, zunächst, um ihre Hauptleute und ihre Vertreter im Großen und Kleinen Rath zu wählen. In jeder Rhod alterniren zwei Hauptleute in der Leitung der Geschäfte. Der regierende wird Amtshauptmann genannt. Wir ersuchen jetzt den Leser, uns nach dem Rathhause in dem Flecken Appenzell zu folgen. Zur Rechten der in dasselbe führenden Thür sieht man K2*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/499>, abgerufen am 05.02.2025.