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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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rührung zu entziehen und aus dem Gefäß zu springen, so erklärt man es für
volljährig und legt ihm die vorgeschriebene Steuer auf, kann es nicht heraus¬
springen, so ist es noch nicht drei Monate alt, mithin noch steuerfrei.

Während fremde Waaren bis jetzt eine Eingangssteuer von fünf Procent
vom Werth zahlten, mußten unsre Erzeugnisse eine Ausgangssteuer von zwölf Pro-
cent entrichten, ja von manchen Artikeln, z. B. den Eiern der Seidenraupe,
erhob man vierzig Procent.

Viele Türken leben fast nur von dem, was sie ihren bulgarischen Nachbarn
abpressen. Das gilt namentlich von den Soldaten und unter diesen vorzüglich
von den Baschibosuks. Der Sold wird nur unregelmäßig ausgezahlt, und
dann kommen zunächst die in der Hauptstadt, hierauf die in türkischen Provin-
zialstädten garnisonirenden Truppen an die Reihe, zuletzt erst die in bulgarischen
und andern christlichen Orten liegenden. Selten aber reicht das Geld bis zu
diesen, und so bekommen sie nur höchst ausnahmsweise einmal ihre Gebühr,
dennoch aber hat der Soldat immer die Taschen voll Geld.

Der Türke ist nur selten ein unternehmender Geschäftsmann, der bulga¬
rische Städter dagegen ist von lebhaftestem Speculationsgeist beseelt. Der
Bauer ist nur da nicht fleißig, wo ihm seine Mühe nichts einbringt. Man gebe
diesen fruchtbaren Ländern Schutz gegen die Willkür böser Nachbarn und hab¬
gieriger Beamten, man schaffe geregelte Justiz, vernünftige Steuern, eine gute
Polizei und fahrbare Straßen nach der Donau hin. und sie werden in wenigen
Jahren sein, was sie schon längst sein könnten- die Kornkammer Europa's.

Serbien erfreut sich der Freiheit erst seit vier Jahrzehnten. Nach Been¬
digung des UnabhängigLeitskampfesj war es eine Wüste. Dörfer und Städte
lagen in Asche, die Felder waren weit und breit verheert, die Heerden großen-
theils vernichtet. Jetzt ist das Land allenthalben mit freundlichen Dörfern be¬
deckt, in den Städten blühen Handel und Gewerbe, und selbst die Wissenschaften
finden Pflege und Förderung. Das Land hat eine wohlgeschulte Armee, gut
gefüllte Zeughäuser und Pulvermagazine, eine vollkommen geregelte Rechtspflege,
ein Netz von Straßen und Chausseen, das sich jährlich erweitert und vervoll¬
ständigt, endlich ein System höherer und niederer Schulen, das wenig zu wünschen
übrig läßt. Ebenso weit und, da wir mehr fruchtbares Land als das gebir¬
gige Serbien besitzen, noch weiter könnten wir Bulgaren sein, wenn uns das
Joch der Türkenherrschaft, nicht hinderte.

Man kann uns nun fragen, weshalb wir uns nicht gleich den Serben und
den Griechen gegen dieses verhaßte Joch erhoben haben. Ich antworte: Der
Bulgar ist eine bedächtige und vorsichtige Natur, und er hat gefunden, daß er
allein gelassen keine Aussicht hat, in einem Kampfe mit dex Pforte zu siegen.
Serbien liegt ander Nordgrenze der Türkei, weit entfernt von Asien, wo die
Türkenherrschaft ihre stärksten Wurzeln und Hülfsquellen hat, ihm kamen bei


rührung zu entziehen und aus dem Gefäß zu springen, so erklärt man es für
volljährig und legt ihm die vorgeschriebene Steuer auf, kann es nicht heraus¬
springen, so ist es noch nicht drei Monate alt, mithin noch steuerfrei.

Während fremde Waaren bis jetzt eine Eingangssteuer von fünf Procent
vom Werth zahlten, mußten unsre Erzeugnisse eine Ausgangssteuer von zwölf Pro-
cent entrichten, ja von manchen Artikeln, z. B. den Eiern der Seidenraupe,
erhob man vierzig Procent.

Viele Türken leben fast nur von dem, was sie ihren bulgarischen Nachbarn
abpressen. Das gilt namentlich von den Soldaten und unter diesen vorzüglich
von den Baschibosuks. Der Sold wird nur unregelmäßig ausgezahlt, und
dann kommen zunächst die in der Hauptstadt, hierauf die in türkischen Provin-
zialstädten garnisonirenden Truppen an die Reihe, zuletzt erst die in bulgarischen
und andern christlichen Orten liegenden. Selten aber reicht das Geld bis zu
diesen, und so bekommen sie nur höchst ausnahmsweise einmal ihre Gebühr,
dennoch aber hat der Soldat immer die Taschen voll Geld.

Der Türke ist nur selten ein unternehmender Geschäftsmann, der bulga¬
rische Städter dagegen ist von lebhaftestem Speculationsgeist beseelt. Der
Bauer ist nur da nicht fleißig, wo ihm seine Mühe nichts einbringt. Man gebe
diesen fruchtbaren Ländern Schutz gegen die Willkür böser Nachbarn und hab¬
gieriger Beamten, man schaffe geregelte Justiz, vernünftige Steuern, eine gute
Polizei und fahrbare Straßen nach der Donau hin. und sie werden in wenigen
Jahren sein, was sie schon längst sein könnten- die Kornkammer Europa's.

Serbien erfreut sich der Freiheit erst seit vier Jahrzehnten. Nach Been¬
digung des UnabhängigLeitskampfesj war es eine Wüste. Dörfer und Städte
lagen in Asche, die Felder waren weit und breit verheert, die Heerden großen-
theils vernichtet. Jetzt ist das Land allenthalben mit freundlichen Dörfern be¬
deckt, in den Städten blühen Handel und Gewerbe, und selbst die Wissenschaften
finden Pflege und Förderung. Das Land hat eine wohlgeschulte Armee, gut
gefüllte Zeughäuser und Pulvermagazine, eine vollkommen geregelte Rechtspflege,
ein Netz von Straßen und Chausseen, das sich jährlich erweitert und vervoll¬
ständigt, endlich ein System höherer und niederer Schulen, das wenig zu wünschen
übrig läßt. Ebenso weit und, da wir mehr fruchtbares Land als das gebir¬
gige Serbien besitzen, noch weiter könnten wir Bulgaren sein, wenn uns das
Joch der Türkenherrschaft, nicht hinderte.

Man kann uns nun fragen, weshalb wir uns nicht gleich den Serben und
den Griechen gegen dieses verhaßte Joch erhoben haben. Ich antworte: Der
Bulgar ist eine bedächtige und vorsichtige Natur, und er hat gefunden, daß er
allein gelassen keine Aussicht hat, in einem Kampfe mit dex Pforte zu siegen.
Serbien liegt ander Nordgrenze der Türkei, weit entfernt von Asien, wo die
Türkenherrschaft ihre stärksten Wurzeln und Hülfsquellen hat, ihm kamen bei


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[0484] rührung zu entziehen und aus dem Gefäß zu springen, so erklärt man es für volljährig und legt ihm die vorgeschriebene Steuer auf, kann es nicht heraus¬ springen, so ist es noch nicht drei Monate alt, mithin noch steuerfrei. Während fremde Waaren bis jetzt eine Eingangssteuer von fünf Procent vom Werth zahlten, mußten unsre Erzeugnisse eine Ausgangssteuer von zwölf Pro- cent entrichten, ja von manchen Artikeln, z. B. den Eiern der Seidenraupe, erhob man vierzig Procent. Viele Türken leben fast nur von dem, was sie ihren bulgarischen Nachbarn abpressen. Das gilt namentlich von den Soldaten und unter diesen vorzüglich von den Baschibosuks. Der Sold wird nur unregelmäßig ausgezahlt, und dann kommen zunächst die in der Hauptstadt, hierauf die in türkischen Provin- zialstädten garnisonirenden Truppen an die Reihe, zuletzt erst die in bulgarischen und andern christlichen Orten liegenden. Selten aber reicht das Geld bis zu diesen, und so bekommen sie nur höchst ausnahmsweise einmal ihre Gebühr, dennoch aber hat der Soldat immer die Taschen voll Geld. Der Türke ist nur selten ein unternehmender Geschäftsmann, der bulga¬ rische Städter dagegen ist von lebhaftestem Speculationsgeist beseelt. Der Bauer ist nur da nicht fleißig, wo ihm seine Mühe nichts einbringt. Man gebe diesen fruchtbaren Ländern Schutz gegen die Willkür böser Nachbarn und hab¬ gieriger Beamten, man schaffe geregelte Justiz, vernünftige Steuern, eine gute Polizei und fahrbare Straßen nach der Donau hin. und sie werden in wenigen Jahren sein, was sie schon längst sein könnten- die Kornkammer Europa's. Serbien erfreut sich der Freiheit erst seit vier Jahrzehnten. Nach Been¬ digung des UnabhängigLeitskampfesj war es eine Wüste. Dörfer und Städte lagen in Asche, die Felder waren weit und breit verheert, die Heerden großen- theils vernichtet. Jetzt ist das Land allenthalben mit freundlichen Dörfern be¬ deckt, in den Städten blühen Handel und Gewerbe, und selbst die Wissenschaften finden Pflege und Förderung. Das Land hat eine wohlgeschulte Armee, gut gefüllte Zeughäuser und Pulvermagazine, eine vollkommen geregelte Rechtspflege, ein Netz von Straßen und Chausseen, das sich jährlich erweitert und vervoll¬ ständigt, endlich ein System höherer und niederer Schulen, das wenig zu wünschen übrig läßt. Ebenso weit und, da wir mehr fruchtbares Land als das gebir¬ gige Serbien besitzen, noch weiter könnten wir Bulgaren sein, wenn uns das Joch der Türkenherrschaft, nicht hinderte. Man kann uns nun fragen, weshalb wir uns nicht gleich den Serben und den Griechen gegen dieses verhaßte Joch erhoben haben. Ich antworte: Der Bulgar ist eine bedächtige und vorsichtige Natur, und er hat gefunden, daß er allein gelassen keine Aussicht hat, in einem Kampfe mit dex Pforte zu siegen. Serbien liegt ander Nordgrenze der Türkei, weit entfernt von Asien, wo die Türkenherrschaft ihre stärksten Wurzeln und Hülfsquellen hat, ihm kamen bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/484>, abgerufen am 30.08.2024.