Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.gemeinen Revolution verhindert die Begüterten, etwas für Bauten, für Acker¬ Seit Jahren liegt der Handel in Bulgarien fast gänzlich darnieder. Die Eine große Zahl von Privatleuten und Gemeinden ist durch die türkische. Von Polizei ist nicht die Rede. Häufig geschieht es, daß türkische Räuber¬ gemeinen Revolution verhindert die Begüterten, etwas für Bauten, für Acker¬ Seit Jahren liegt der Handel in Bulgarien fast gänzlich darnieder. Die Eine große Zahl von Privatleuten und Gemeinden ist durch die türkische. Von Polizei ist nicht die Rede. Häufig geschieht es, daß türkische Räuber¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114796"/> <p xml:id="ID_1891" prev="#ID_1890"> gemeinen Revolution verhindert die Begüterten, etwas für Bauten, für Acker¬<lb/> bau, Gewerbe und Handel zu thun. Wer sich Einfluß erwirbt, beschwört die<lb/> Intriguen der Türken gegen sich herauf und hat sich zu hüten, daß er nicht<lb/> durch Mord beseitigt wird, wie mehre unsrer tüchtigsten Männer, Tuliolu aus<lb/> Karlowo, Hadschi Minzo aus Ternowo, Tzorbotzi aus Eski Zachara und andere,<lb/> die als Opfer türkischer Eifersucht fielen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1892"> Seit Jahren liegt der Handel in Bulgarien fast gänzlich darnieder. Die<lb/> Türkei hat weder Wechselrechte noch Creditanstalten, nirgends wird uns eine<lb/> Möglichkeit geboten, auf Hypotheken oder sonstige Werthgegenstände Geld aus¬<lb/> zunehmen. Wer von uns zehntausend Thaler besitzt, lebt, als ob er nur tau¬<lb/> send hätte; denn wo die türkischen Beamten Geld vermuthen, machen sie sofort<lb/> Anspruch, daß man mit ihnen theile. Nicht selten geschiehts. daß in unsern<lb/> Dörfern sich ein Türke zu einem Bulgaren begibt, bei dem er Vermögen ver¬<lb/> muthet, und ihm eine freundschaftliche Mittheilung folgenden Stils macht.<lb/> „Höre mal," sagt der Muselmann, „ich brauche tausend Piaster. Gibst Du<lb/> mir willig das Geld, so bleiben wir gute Nachbarn. Wo nicht, so wird mor¬<lb/> gen Dein Haus angesteckt oder Deine Schafheerde niedergemetzelt. Du wirst<lb/> mich dann freilich verrathen können, und ich werde dann vielleicht eingesteckt;<lb/> aber meine Brüder bleiben frei, und dann sieh Dich vor, Nachbar, daß nicht<lb/> blos Deiner Heerden Blut, sondern Dein eignes oder das Deiner Kinder fließt."<lb/> Der Bedrohte gibt dann schweigend das Geld her; denn es bleibt ihm nichts<lb/> Anderes übrig. Die Beamten, der Dorfrath (Medschlis) sind türkisch, und eine<lb/> etwaige Klage würde als Verläumdung zurückgewiesen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1893"> Eine große Zahl von Privatleuten und Gemeinden ist durch die türkische.<lb/> Justiz zu Grunde gerichtet worden. Im Jahre 1848 entspann sich zwischen den<lb/> beiden wohlhabenden Städten Sopota und Troja ein Streit wegen ausgedehn¬<lb/> ten Weiden im Gebirge, die jede der beiden Parteien sür sich allein beanspruchte<lb/> Es kam zum Prozeß, und die Parteien entschlossen sich, nach Carograd — so<lb/> nennen wir in unsrer Sprache Konstantinopel — Deputirte zu schicken, um die<lb/> Sache zu betreiben. Die Leute waren dort sehr willkommen, weil sie volle<lb/> Säcke mitbrachten, aber eben deshalb dauerte der Proceß bis 1860, d. h. bis<lb/> aus den vollen Säcken leere geworden waren. Da endlich, nachdem die Pa¬<lb/> schas die beiden Gemeinden hinreichend ausgesaugt hatten, erging das Urtheil-<lb/> und wie lautete es? Die Ländereien, so ließ sich der türkische Richter verneh¬<lb/> men, gehören weder der einen, noch der andern Partei, sondern der Negierung.<lb/> Betrübt entfernten sich die also Beschiedenen. Die beiden Orte waren ruinirt,.<lb/> und man gab ihnen nicht einmal das Streitobject in die Hand, an dem sie sich<lb/> einigermaßen hätten erholen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1894" next="#ID_1895"> Von Polizei ist nicht die Rede. Häufig geschieht es, daß türkische Räuber¬<lb/> banden bulgarische Kinder stehlen, die von den Eltern dann mit großen Sum</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0482]
gemeinen Revolution verhindert die Begüterten, etwas für Bauten, für Acker¬
bau, Gewerbe und Handel zu thun. Wer sich Einfluß erwirbt, beschwört die
Intriguen der Türken gegen sich herauf und hat sich zu hüten, daß er nicht
durch Mord beseitigt wird, wie mehre unsrer tüchtigsten Männer, Tuliolu aus
Karlowo, Hadschi Minzo aus Ternowo, Tzorbotzi aus Eski Zachara und andere,
die als Opfer türkischer Eifersucht fielen.
Seit Jahren liegt der Handel in Bulgarien fast gänzlich darnieder. Die
Türkei hat weder Wechselrechte noch Creditanstalten, nirgends wird uns eine
Möglichkeit geboten, auf Hypotheken oder sonstige Werthgegenstände Geld aus¬
zunehmen. Wer von uns zehntausend Thaler besitzt, lebt, als ob er nur tau¬
send hätte; denn wo die türkischen Beamten Geld vermuthen, machen sie sofort
Anspruch, daß man mit ihnen theile. Nicht selten geschiehts. daß in unsern
Dörfern sich ein Türke zu einem Bulgaren begibt, bei dem er Vermögen ver¬
muthet, und ihm eine freundschaftliche Mittheilung folgenden Stils macht.
„Höre mal," sagt der Muselmann, „ich brauche tausend Piaster. Gibst Du
mir willig das Geld, so bleiben wir gute Nachbarn. Wo nicht, so wird mor¬
gen Dein Haus angesteckt oder Deine Schafheerde niedergemetzelt. Du wirst
mich dann freilich verrathen können, und ich werde dann vielleicht eingesteckt;
aber meine Brüder bleiben frei, und dann sieh Dich vor, Nachbar, daß nicht
blos Deiner Heerden Blut, sondern Dein eignes oder das Deiner Kinder fließt."
Der Bedrohte gibt dann schweigend das Geld her; denn es bleibt ihm nichts
Anderes übrig. Die Beamten, der Dorfrath (Medschlis) sind türkisch, und eine
etwaige Klage würde als Verläumdung zurückgewiesen werden.
Eine große Zahl von Privatleuten und Gemeinden ist durch die türkische.
Justiz zu Grunde gerichtet worden. Im Jahre 1848 entspann sich zwischen den
beiden wohlhabenden Städten Sopota und Troja ein Streit wegen ausgedehn¬
ten Weiden im Gebirge, die jede der beiden Parteien sür sich allein beanspruchte
Es kam zum Prozeß, und die Parteien entschlossen sich, nach Carograd — so
nennen wir in unsrer Sprache Konstantinopel — Deputirte zu schicken, um die
Sache zu betreiben. Die Leute waren dort sehr willkommen, weil sie volle
Säcke mitbrachten, aber eben deshalb dauerte der Proceß bis 1860, d. h. bis
aus den vollen Säcken leere geworden waren. Da endlich, nachdem die Pa¬
schas die beiden Gemeinden hinreichend ausgesaugt hatten, erging das Urtheil-
und wie lautete es? Die Ländereien, so ließ sich der türkische Richter verneh¬
men, gehören weder der einen, noch der andern Partei, sondern der Negierung.
Betrübt entfernten sich die also Beschiedenen. Die beiden Orte waren ruinirt,.
und man gab ihnen nicht einmal das Streitobject in die Hand, an dem sie sich
einigermaßen hätten erholen können.
Von Polizei ist nicht die Rede. Häufig geschieht es, daß türkische Räuber¬
banden bulgarische Kinder stehlen, die von den Eltern dann mit großen Sum
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