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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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doch vielversprechende Anfänge, die mit Liebe gepflegt werden. Die Herren
Türken haben in ihrer Sprache nur eine einzige Zeitung, die in Konstantinopel
erscheint und trotz der Unterstützung, welche ihr die Regierung angedeihen läßt,
kaum fünfhundert Abonnenten zählt.

Wenn in Bulgarien selbst kein bulgarisches Blatt existirt, so liegt das
einfach daran, daß die Regierung hier keine Druckerei duldet. Als im Jahr
1852 ein Herr Zankoff aus Wien in Sistow eine Buchdruckerei anlegen wollte,
wurde ihm die Erlaubniß dazu abgeschlagen, und er mußte das Geschäft nach
Konstantinopel verlegen. So müssen bulgarische Schriftsteller wohl oder übel
ins Ausland gehen, wenn sie ihre Werke gedruckt sehen wollen.

Ueberall an den Stätten europäischer Wissenschaft trifft man jetzt junge
Leute aus Bulgarien, die sich mit Eifer den Studien widmen. Die Mehrzahl
derselben geht freilich nach Rußland, aber nur, weil man sie dort am meisten
unterstützt. Aber auch in Paris und Pesth, sowie in Prag und Wien studiren
viele von ihnen. Im Ausland studirende Türken sind eine außerordentliche
Seltenheit, und wenn sie (die sich dann immer zu Aerzten auszubilden beab¬
sichtigen) soviel Kenntnisse mit nach Hause bringen, als die jungen Militärs,
welche die Pforte in östreichische und preußische Fähndrichsanstaiten zu schicken
pflegt, so ist das Land, dem sie mit ihrem Wissen dienen sollen, wahrlich nicht
zu beneiden; denn dann würde ihre Einbildung unzweifelhaft um dreihundert
Procent größer sein als ihre Ausbildung.

Weshalb aber widmet sich der Bulgar den Studien? Wir antworten:
Nur aus Liebe zum Wissen und in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft
seines Landes. Die Gegenwart hält ihm jeden Weg, in der Heimath mit den
Früchten seiner Mühen zu nützen und von ihnen selbst Nutzen zu ziehen, ver¬
schlossen. Jedes Amt ist ihm entrückt, seine Dienste werden weder im Civil-
noch im Militäretat angenommen. Als nach dem letzten Kriege der Haradsch
(die Kopfsteuer der Christen) abgeschafft werden und die Christen Zutritt zum
türkischen Militär haben sollten, meldeten sich mehre Bulgaren zur Militärschule.
"Ja," sagte man ihnen da, "wir haben wohl versprochen, Christen zu Soldaten
zu nehmen, aber nicht, sie zu Offizieren zu machen." Dabei blieb es, und
nicht einmal das Erstere wurde erfüllt, sondern man benutzte nur die Gelegen¬
heit, eine neue Steuer statt der alten einzuführen. Der Haradsch wurde in
Betel umgetauft, und diese neue Militärsteuer mußte jeder militärpflichtige Bul¬
gar entrichten, auch wenn er sich bereit erklärte, als gemeiner Soldat zu dienen.

So aber verhält sichs mit allen Zusagen von 1856. Europa wird sich,
so weit es auf die Balkanhalbinsel ankommt, erst dann eines gesicherten Friedens
erfreuen, wenn die christlichen Völker dort frei und selbständig sind. So lange
der Muselmann hier herrscht, ist kein Aufschwung möglich. Die allgemeine
Spannung und Aufregung, die stete fieberhafte Erwartung einer plötzlichen all-


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doch vielversprechende Anfänge, die mit Liebe gepflegt werden. Die Herren
Türken haben in ihrer Sprache nur eine einzige Zeitung, die in Konstantinopel
erscheint und trotz der Unterstützung, welche ihr die Regierung angedeihen läßt,
kaum fünfhundert Abonnenten zählt.

Wenn in Bulgarien selbst kein bulgarisches Blatt existirt, so liegt das
einfach daran, daß die Regierung hier keine Druckerei duldet. Als im Jahr
1852 ein Herr Zankoff aus Wien in Sistow eine Buchdruckerei anlegen wollte,
wurde ihm die Erlaubniß dazu abgeschlagen, und er mußte das Geschäft nach
Konstantinopel verlegen. So müssen bulgarische Schriftsteller wohl oder übel
ins Ausland gehen, wenn sie ihre Werke gedruckt sehen wollen.

Ueberall an den Stätten europäischer Wissenschaft trifft man jetzt junge
Leute aus Bulgarien, die sich mit Eifer den Studien widmen. Die Mehrzahl
derselben geht freilich nach Rußland, aber nur, weil man sie dort am meisten
unterstützt. Aber auch in Paris und Pesth, sowie in Prag und Wien studiren
viele von ihnen. Im Ausland studirende Türken sind eine außerordentliche
Seltenheit, und wenn sie (die sich dann immer zu Aerzten auszubilden beab¬
sichtigen) soviel Kenntnisse mit nach Hause bringen, als die jungen Militärs,
welche die Pforte in östreichische und preußische Fähndrichsanstaiten zu schicken
pflegt, so ist das Land, dem sie mit ihrem Wissen dienen sollen, wahrlich nicht
zu beneiden; denn dann würde ihre Einbildung unzweifelhaft um dreihundert
Procent größer sein als ihre Ausbildung.

Weshalb aber widmet sich der Bulgar den Studien? Wir antworten:
Nur aus Liebe zum Wissen und in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft
seines Landes. Die Gegenwart hält ihm jeden Weg, in der Heimath mit den
Früchten seiner Mühen zu nützen und von ihnen selbst Nutzen zu ziehen, ver¬
schlossen. Jedes Amt ist ihm entrückt, seine Dienste werden weder im Civil-
noch im Militäretat angenommen. Als nach dem letzten Kriege der Haradsch
(die Kopfsteuer der Christen) abgeschafft werden und die Christen Zutritt zum
türkischen Militär haben sollten, meldeten sich mehre Bulgaren zur Militärschule.
„Ja," sagte man ihnen da, „wir haben wohl versprochen, Christen zu Soldaten
zu nehmen, aber nicht, sie zu Offizieren zu machen." Dabei blieb es, und
nicht einmal das Erstere wurde erfüllt, sondern man benutzte nur die Gelegen¬
heit, eine neue Steuer statt der alten einzuführen. Der Haradsch wurde in
Betel umgetauft, und diese neue Militärsteuer mußte jeder militärpflichtige Bul¬
gar entrichten, auch wenn er sich bereit erklärte, als gemeiner Soldat zu dienen.

So aber verhält sichs mit allen Zusagen von 1856. Europa wird sich,
so weit es auf die Balkanhalbinsel ankommt, erst dann eines gesicherten Friedens
erfreuen, wenn die christlichen Völker dort frei und selbständig sind. So lange
der Muselmann hier herrscht, ist kein Aufschwung möglich. Die allgemeine
Spannung und Aufregung, die stete fieberhafte Erwartung einer plötzlichen all-


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[0481] doch vielversprechende Anfänge, die mit Liebe gepflegt werden. Die Herren Türken haben in ihrer Sprache nur eine einzige Zeitung, die in Konstantinopel erscheint und trotz der Unterstützung, welche ihr die Regierung angedeihen läßt, kaum fünfhundert Abonnenten zählt. Wenn in Bulgarien selbst kein bulgarisches Blatt existirt, so liegt das einfach daran, daß die Regierung hier keine Druckerei duldet. Als im Jahr 1852 ein Herr Zankoff aus Wien in Sistow eine Buchdruckerei anlegen wollte, wurde ihm die Erlaubniß dazu abgeschlagen, und er mußte das Geschäft nach Konstantinopel verlegen. So müssen bulgarische Schriftsteller wohl oder übel ins Ausland gehen, wenn sie ihre Werke gedruckt sehen wollen. Ueberall an den Stätten europäischer Wissenschaft trifft man jetzt junge Leute aus Bulgarien, die sich mit Eifer den Studien widmen. Die Mehrzahl derselben geht freilich nach Rußland, aber nur, weil man sie dort am meisten unterstützt. Aber auch in Paris und Pesth, sowie in Prag und Wien studiren viele von ihnen. Im Ausland studirende Türken sind eine außerordentliche Seltenheit, und wenn sie (die sich dann immer zu Aerzten auszubilden beab¬ sichtigen) soviel Kenntnisse mit nach Hause bringen, als die jungen Militärs, welche die Pforte in östreichische und preußische Fähndrichsanstaiten zu schicken pflegt, so ist das Land, dem sie mit ihrem Wissen dienen sollen, wahrlich nicht zu beneiden; denn dann würde ihre Einbildung unzweifelhaft um dreihundert Procent größer sein als ihre Ausbildung. Weshalb aber widmet sich der Bulgar den Studien? Wir antworten: Nur aus Liebe zum Wissen und in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft seines Landes. Die Gegenwart hält ihm jeden Weg, in der Heimath mit den Früchten seiner Mühen zu nützen und von ihnen selbst Nutzen zu ziehen, ver¬ schlossen. Jedes Amt ist ihm entrückt, seine Dienste werden weder im Civil- noch im Militäretat angenommen. Als nach dem letzten Kriege der Haradsch (die Kopfsteuer der Christen) abgeschafft werden und die Christen Zutritt zum türkischen Militär haben sollten, meldeten sich mehre Bulgaren zur Militärschule. „Ja," sagte man ihnen da, „wir haben wohl versprochen, Christen zu Soldaten zu nehmen, aber nicht, sie zu Offizieren zu machen." Dabei blieb es, und nicht einmal das Erstere wurde erfüllt, sondern man benutzte nur die Gelegen¬ heit, eine neue Steuer statt der alten einzuführen. Der Haradsch wurde in Betel umgetauft, und diese neue Militärsteuer mußte jeder militärpflichtige Bul¬ gar entrichten, auch wenn er sich bereit erklärte, als gemeiner Soldat zu dienen. So aber verhält sichs mit allen Zusagen von 1856. Europa wird sich, so weit es auf die Balkanhalbinsel ankommt, erst dann eines gesicherten Friedens erfreuen, wenn die christlichen Völker dort frei und selbständig sind. So lange der Muselmann hier herrscht, ist kein Aufschwung möglich. Die allgemeine Spannung und Aufregung, die stete fieberhafte Erwartung einer plötzlichen all- Grenzboten III. 1SS2. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/481>, abgerufen am 29.08.2024.