Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gesinnungsverwandten*). Wollte ich alle die nicht selten durch blutige Ge¬
waltthaten unterstützten Räubereien dieser fcmariotischen Bischöfe hier aufzählen,
so könnte ich viele Bogen allein mit dem füllen, was in den letzten Jahren
geschah. Denkt man sich noch dazu die Mißhandlung und Aussaugung des
Volkes durch die Türken, die nach dem Kriege, in welchem sie den "Musk'off"
allein besiegt zu haben wähnen, da ihnen die Hülfe der Westmächte nur als
die Leistung von Vasallen ihres Padischcch erscheint, noch weit übermüthiger und
rücksichtsloser auftreten als vorher, so kann man sich vorstellen, unter welcher
Last von Leiden das unglückliche but garische Volk seufzen muß. Die Hals des
Sultans sind reine Spiegelfechtereien, Stücke beschriebenen Papiers, schätzbares
Material für eine zukünftige Geschickte des Untergangs der Türkei. In Kon-
stantinopel mögen sie für die Christen einige Bedeutung haben, da man vor
den Augen der Gesandten nicht wohl Skandale dulden kann. Für uns in der
Provinz haben sie nicht den geringsten Werth als den, daß sie Zeichen der
Schwäche des Pfortenregimcnts sind, welches nicht mehr wagen darf, die For¬
derungen der fremden Mächte trotzig zurückzuweisen, sondern diesen Forderungen
wenigstens durch Versprechungen gerecht werden muß. Wären diese Erlasse aber
auch aufrichtig gemeint, so haben sie doch keine Kraft, da das türkische Volk
ihnen die Anerkennung versagt und die Beamten sie nicht zu vollziehen, ja an
vielen Orten nicht einmal zu publiciren wagen dürfen.

Es ist die entschiedene Pflicht der christlichen Mächte, diesen Zuständen ab¬
zuhelfen. Nur politische Rücksichten, nur übelverstandcner Eigennutz, unbegrün¬
dete Furcht, falsche Vorstellungen von unsern Wünschen und Bestrebungen hal¬
ten sie ab, uns diese Hülfe zu gewähren. Die Herren Diplomaten^, die in
London und Konstantinopel sitzen, sollten, statt auf althergebrachte Vorurtheile
hin zu handeln, gerecht denkende und unbefangne Beobachter, Leute mit gu¬
ten Augen und Herzen unser Land bereisen lassen. Sie würden erfahren,
daß ihre Rücksichtnahme auf die Pforte unverständig, ihr Egoismus auf falscher
Fährte, ihre Furcht eine eitle ist.

Vor einiger Zeit hatte ich die Ehre mit einem englischen Herrn von der
Diplomatenzunft über unsere Angelegenheiten mich zu unterhalten. "Wir
kennen eure traurige Lage recht wohl," äußerte er und nahm die Miene beküm¬
merter Menschenfreundlichkeit an, "aber wir müssen es leider mit den Türken
halten, da wir niemals zugeben tonnen, daß ihr an Rußland fallt. Allein
könnt ihr euch nicht halten, und außerdem seid ihr Südslaven durchgehends
mehr oder minder russisch gesinnt."



-) Vor einiger Zeit versuchte man mit den Bischöfen dahin zu unterhandeln, daß man
ihnen ein bestimmtes Einkommen festsetzen wollte. Sie lehnten es ober oh, da ihre Kasse sich
durch die bisherigen willkürlichen Erpressungen weit besser füllt.

Gesinnungsverwandten*). Wollte ich alle die nicht selten durch blutige Ge¬
waltthaten unterstützten Räubereien dieser fcmariotischen Bischöfe hier aufzählen,
so könnte ich viele Bogen allein mit dem füllen, was in den letzten Jahren
geschah. Denkt man sich noch dazu die Mißhandlung und Aussaugung des
Volkes durch die Türken, die nach dem Kriege, in welchem sie den „Musk'off"
allein besiegt zu haben wähnen, da ihnen die Hülfe der Westmächte nur als
die Leistung von Vasallen ihres Padischcch erscheint, noch weit übermüthiger und
rücksichtsloser auftreten als vorher, so kann man sich vorstellen, unter welcher
Last von Leiden das unglückliche but garische Volk seufzen muß. Die Hals des
Sultans sind reine Spiegelfechtereien, Stücke beschriebenen Papiers, schätzbares
Material für eine zukünftige Geschickte des Untergangs der Türkei. In Kon-
stantinopel mögen sie für die Christen einige Bedeutung haben, da man vor
den Augen der Gesandten nicht wohl Skandale dulden kann. Für uns in der
Provinz haben sie nicht den geringsten Werth als den, daß sie Zeichen der
Schwäche des Pfortenregimcnts sind, welches nicht mehr wagen darf, die For¬
derungen der fremden Mächte trotzig zurückzuweisen, sondern diesen Forderungen
wenigstens durch Versprechungen gerecht werden muß. Wären diese Erlasse aber
auch aufrichtig gemeint, so haben sie doch keine Kraft, da das türkische Volk
ihnen die Anerkennung versagt und die Beamten sie nicht zu vollziehen, ja an
vielen Orten nicht einmal zu publiciren wagen dürfen.

Es ist die entschiedene Pflicht der christlichen Mächte, diesen Zuständen ab¬
zuhelfen. Nur politische Rücksichten, nur übelverstandcner Eigennutz, unbegrün¬
dete Furcht, falsche Vorstellungen von unsern Wünschen und Bestrebungen hal¬
ten sie ab, uns diese Hülfe zu gewähren. Die Herren Diplomaten^, die in
London und Konstantinopel sitzen, sollten, statt auf althergebrachte Vorurtheile
hin zu handeln, gerecht denkende und unbefangne Beobachter, Leute mit gu¬
ten Augen und Herzen unser Land bereisen lassen. Sie würden erfahren,
daß ihre Rücksichtnahme auf die Pforte unverständig, ihr Egoismus auf falscher
Fährte, ihre Furcht eine eitle ist.

Vor einiger Zeit hatte ich die Ehre mit einem englischen Herrn von der
Diplomatenzunft über unsere Angelegenheiten mich zu unterhalten. „Wir
kennen eure traurige Lage recht wohl," äußerte er und nahm die Miene beküm¬
merter Menschenfreundlichkeit an, „aber wir müssen es leider mit den Türken
halten, da wir niemals zugeben tonnen, daß ihr an Rußland fallt. Allein
könnt ihr euch nicht halten, und außerdem seid ihr Südslaven durchgehends
mehr oder minder russisch gesinnt."



-) Vor einiger Zeit versuchte man mit den Bischöfen dahin zu unterhandeln, daß man
ihnen ein bestimmtes Einkommen festsetzen wollte. Sie lehnten es ober oh, da ihre Kasse sich
durch die bisherigen willkürlichen Erpressungen weit besser füllt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0476" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114790"/>
          <p xml:id="ID_1868" prev="#ID_1867"> Gesinnungsverwandten*). Wollte ich alle die nicht selten durch blutige Ge¬<lb/>
waltthaten unterstützten Räubereien dieser fcmariotischen Bischöfe hier aufzählen,<lb/>
so könnte ich viele Bogen allein mit dem füllen, was in den letzten Jahren<lb/>
geschah. Denkt man sich noch dazu die Mißhandlung und Aussaugung des<lb/>
Volkes durch die Türken, die nach dem Kriege, in welchem sie den &#x201E;Musk'off"<lb/>
allein besiegt zu haben wähnen, da ihnen die Hülfe der Westmächte nur als<lb/>
die Leistung von Vasallen ihres Padischcch erscheint, noch weit übermüthiger und<lb/>
rücksichtsloser auftreten als vorher, so kann man sich vorstellen, unter welcher<lb/>
Last von Leiden das unglückliche but garische Volk seufzen muß. Die Hals des<lb/>
Sultans sind reine Spiegelfechtereien, Stücke beschriebenen Papiers, schätzbares<lb/>
Material für eine zukünftige Geschickte des Untergangs der Türkei. In Kon-<lb/>
stantinopel mögen sie für die Christen einige Bedeutung haben, da man vor<lb/>
den Augen der Gesandten nicht wohl Skandale dulden kann. Für uns in der<lb/>
Provinz haben sie nicht den geringsten Werth als den, daß sie Zeichen der<lb/>
Schwäche des Pfortenregimcnts sind, welches nicht mehr wagen darf, die For¬<lb/>
derungen der fremden Mächte trotzig zurückzuweisen, sondern diesen Forderungen<lb/>
wenigstens durch Versprechungen gerecht werden muß. Wären diese Erlasse aber<lb/>
auch aufrichtig gemeint, so haben sie doch keine Kraft, da das türkische Volk<lb/>
ihnen die Anerkennung versagt und die Beamten sie nicht zu vollziehen, ja an<lb/>
vielen Orten nicht einmal zu publiciren wagen dürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1869"> Es ist die entschiedene Pflicht der christlichen Mächte, diesen Zuständen ab¬<lb/>
zuhelfen. Nur politische Rücksichten, nur übelverstandcner Eigennutz, unbegrün¬<lb/>
dete Furcht, falsche Vorstellungen von unsern Wünschen und Bestrebungen hal¬<lb/>
ten sie ab, uns diese Hülfe zu gewähren. Die Herren Diplomaten^, die in<lb/>
London und Konstantinopel sitzen, sollten, statt auf althergebrachte Vorurtheile<lb/>
hin zu handeln, gerecht denkende und unbefangne Beobachter, Leute mit gu¬<lb/>
ten Augen und Herzen unser Land bereisen lassen. Sie würden erfahren,<lb/>
daß ihre Rücksichtnahme auf die Pforte unverständig, ihr Egoismus auf falscher<lb/>
Fährte, ihre Furcht eine eitle ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1870"> Vor einiger Zeit hatte ich die Ehre mit einem englischen Herrn von der<lb/>
Diplomatenzunft über unsere Angelegenheiten mich zu unterhalten. &#x201E;Wir<lb/>
kennen eure traurige Lage recht wohl," äußerte er und nahm die Miene beküm¬<lb/>
merter Menschenfreundlichkeit an, &#x201E;aber wir müssen es leider mit den Türken<lb/>
halten, da wir niemals zugeben tonnen, daß ihr an Rußland fallt. Allein<lb/>
könnt ihr euch nicht halten, und außerdem seid ihr Südslaven durchgehends<lb/>
mehr oder minder russisch gesinnt."</p><lb/>
          <note xml:id="FID_29" place="foot"> -) Vor einiger Zeit versuchte man mit den Bischöfen dahin zu unterhandeln, daß man<lb/>
ihnen ein bestimmtes Einkommen festsetzen wollte. Sie lehnten es ober oh, da ihre Kasse sich<lb/>
durch die bisherigen willkürlichen Erpressungen weit besser füllt.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0476] Gesinnungsverwandten*). Wollte ich alle die nicht selten durch blutige Ge¬ waltthaten unterstützten Räubereien dieser fcmariotischen Bischöfe hier aufzählen, so könnte ich viele Bogen allein mit dem füllen, was in den letzten Jahren geschah. Denkt man sich noch dazu die Mißhandlung und Aussaugung des Volkes durch die Türken, die nach dem Kriege, in welchem sie den „Musk'off" allein besiegt zu haben wähnen, da ihnen die Hülfe der Westmächte nur als die Leistung von Vasallen ihres Padischcch erscheint, noch weit übermüthiger und rücksichtsloser auftreten als vorher, so kann man sich vorstellen, unter welcher Last von Leiden das unglückliche but garische Volk seufzen muß. Die Hals des Sultans sind reine Spiegelfechtereien, Stücke beschriebenen Papiers, schätzbares Material für eine zukünftige Geschickte des Untergangs der Türkei. In Kon- stantinopel mögen sie für die Christen einige Bedeutung haben, da man vor den Augen der Gesandten nicht wohl Skandale dulden kann. Für uns in der Provinz haben sie nicht den geringsten Werth als den, daß sie Zeichen der Schwäche des Pfortenregimcnts sind, welches nicht mehr wagen darf, die For¬ derungen der fremden Mächte trotzig zurückzuweisen, sondern diesen Forderungen wenigstens durch Versprechungen gerecht werden muß. Wären diese Erlasse aber auch aufrichtig gemeint, so haben sie doch keine Kraft, da das türkische Volk ihnen die Anerkennung versagt und die Beamten sie nicht zu vollziehen, ja an vielen Orten nicht einmal zu publiciren wagen dürfen. Es ist die entschiedene Pflicht der christlichen Mächte, diesen Zuständen ab¬ zuhelfen. Nur politische Rücksichten, nur übelverstandcner Eigennutz, unbegrün¬ dete Furcht, falsche Vorstellungen von unsern Wünschen und Bestrebungen hal¬ ten sie ab, uns diese Hülfe zu gewähren. Die Herren Diplomaten^, die in London und Konstantinopel sitzen, sollten, statt auf althergebrachte Vorurtheile hin zu handeln, gerecht denkende und unbefangne Beobachter, Leute mit gu¬ ten Augen und Herzen unser Land bereisen lassen. Sie würden erfahren, daß ihre Rücksichtnahme auf die Pforte unverständig, ihr Egoismus auf falscher Fährte, ihre Furcht eine eitle ist. Vor einiger Zeit hatte ich die Ehre mit einem englischen Herrn von der Diplomatenzunft über unsere Angelegenheiten mich zu unterhalten. „Wir kennen eure traurige Lage recht wohl," äußerte er und nahm die Miene beküm¬ merter Menschenfreundlichkeit an, „aber wir müssen es leider mit den Türken halten, da wir niemals zugeben tonnen, daß ihr an Rußland fallt. Allein könnt ihr euch nicht halten, und außerdem seid ihr Südslaven durchgehends mehr oder minder russisch gesinnt." -) Vor einiger Zeit versuchte man mit den Bischöfen dahin zu unterhandeln, daß man ihnen ein bestimmtes Einkommen festsetzen wollte. Sie lehnten es ober oh, da ihre Kasse sich durch die bisherigen willkürlichen Erpressungen weit besser füllt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/476
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/476>, abgerufen am 29.08.2024.