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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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brennen -- zur großen Betrübniß der gebildeteren Bulgaren; denn wie sich
später herausstellte, wurde damit ein kostbarer Theil der alten Literatur des
Landes der Vernichtung Preis gegeben.

Aehnlich verfuhr man in einer andern Kirche Ternowo's. Hier befinden
sich zwei Säulen, welche bei genauer Betrachtung noch deutlich erkennen lassen,
daß sie einst Inschriften trugen. Aber nicht die Türken, sondern die Fanario-
ten haben die Buchstaben abgefeilt, um ein aus der Vorzeit stammendes Denk¬
mal zu nichte zu machen, welches durch die darauf verzeichneten Erinnerungen
Kenner des Alterthums daran hätte erinnern können, daß die Bulgaren einst
ein mächtiges Volk mit eignen Königen gewesen.

Die Bulgaren hatten nicht zu erröthen, wenn sie daran gedachten, daß
sie. der jungen noch in voller Kraft stehenden Türkenmacht erlegen waren.
Hatten vor dem Halbmond doch großmächtige Kaiser in Wien gezittert. Daß
Mitchristen sie in dieser Weise drückten, ihre nationalen Heiligthümer schände¬
ten, ihr Streben nach bessern Zuständen hemmten und mit den Türken im
Bunde den Geist des Volks zu entmannen suchten, war mehr als sich mit Ge¬
duld ertragen ließ. Aber die harte Nothwendigkeit zwang zur Unterwürfigkeit.
Das Volk fügte sich ins Unvermeidliche, erhob sich gelegentlich gegen zu arge
Mißhandlung und Auspressung durch Bischöfe oder Paschas in partiellen Auf¬
ständen, verstummte blutend wieder und galt lange Jahrhunderte als eines der
friedlichsten im türkischen Reiche. Im Stillen aber lebten in alten Sagen
und Liedern Neste von bessern Tagen fort und ebenso der alte Haß ge¬
gen die Unterdrücker, bis endlich in den letzten Jahrzehnten in weiten Krei¬
sen auch die scheinbar erstorbene Nationalität mehr und mehr wieder offen zu
Tage trat.

Bis vor dreißig Jahren etwa gab es im Lande nur sehr wenige, die bul¬
garisch (das heißt den südslavische" Dialekt, der hier statt der erloschenen fin¬
nischen Ursprache geredet wird) zu schreiben Verstanden, da in den Schulen nur
griechisch gelehrt und in den Kirchen, wenn überhaupt, nur griechisch gepredigt
wurde. Seitdem ist es fast allenthalben anders geworden. Trotz großer
Hindernisse, die im Wege standen, erhoben sich ernste kräftige Geister in der
Nation, die sich Kenntniß und Bildung zu erwerben verstanden. Freilich konn¬
ten sie nicht, wie sie wünschten, öffentlich wirken für das werdende Vaterland;
denn alle irgend einflußreichen Aemter waren und blieben mit Moslemin oder
Griechen besetzt. Aber im Stillen arbeiteten sie nach Kräften und mit edler
Begeisterung für die Erziehung ihres Volkes zu einer bessern Zukunft', und ihre
Mühen blieben nicht ohne Erfolg. Viele Stumpfe wurden lebendig, viele
Entmuthigte schöpften neue Hoffnung, und unmerklich für den Fernstehenden,
aber um so deutlicher für den Eingeweihten reifte ihre Saat zur Ernte.

An mehren Orten fand man jetzt die Willkür der griechischen Bischöfe un-


brennen — zur großen Betrübniß der gebildeteren Bulgaren; denn wie sich
später herausstellte, wurde damit ein kostbarer Theil der alten Literatur des
Landes der Vernichtung Preis gegeben.

Aehnlich verfuhr man in einer andern Kirche Ternowo's. Hier befinden
sich zwei Säulen, welche bei genauer Betrachtung noch deutlich erkennen lassen,
daß sie einst Inschriften trugen. Aber nicht die Türken, sondern die Fanario-
ten haben die Buchstaben abgefeilt, um ein aus der Vorzeit stammendes Denk¬
mal zu nichte zu machen, welches durch die darauf verzeichneten Erinnerungen
Kenner des Alterthums daran hätte erinnern können, daß die Bulgaren einst
ein mächtiges Volk mit eignen Königen gewesen.

Die Bulgaren hatten nicht zu erröthen, wenn sie daran gedachten, daß
sie. der jungen noch in voller Kraft stehenden Türkenmacht erlegen waren.
Hatten vor dem Halbmond doch großmächtige Kaiser in Wien gezittert. Daß
Mitchristen sie in dieser Weise drückten, ihre nationalen Heiligthümer schände¬
ten, ihr Streben nach bessern Zuständen hemmten und mit den Türken im
Bunde den Geist des Volks zu entmannen suchten, war mehr als sich mit Ge¬
duld ertragen ließ. Aber die harte Nothwendigkeit zwang zur Unterwürfigkeit.
Das Volk fügte sich ins Unvermeidliche, erhob sich gelegentlich gegen zu arge
Mißhandlung und Auspressung durch Bischöfe oder Paschas in partiellen Auf¬
ständen, verstummte blutend wieder und galt lange Jahrhunderte als eines der
friedlichsten im türkischen Reiche. Im Stillen aber lebten in alten Sagen
und Liedern Neste von bessern Tagen fort und ebenso der alte Haß ge¬
gen die Unterdrücker, bis endlich in den letzten Jahrzehnten in weiten Krei¬
sen auch die scheinbar erstorbene Nationalität mehr und mehr wieder offen zu
Tage trat.

Bis vor dreißig Jahren etwa gab es im Lande nur sehr wenige, die bul¬
garisch (das heißt den südslavische» Dialekt, der hier statt der erloschenen fin¬
nischen Ursprache geredet wird) zu schreiben Verstanden, da in den Schulen nur
griechisch gelehrt und in den Kirchen, wenn überhaupt, nur griechisch gepredigt
wurde. Seitdem ist es fast allenthalben anders geworden. Trotz großer
Hindernisse, die im Wege standen, erhoben sich ernste kräftige Geister in der
Nation, die sich Kenntniß und Bildung zu erwerben verstanden. Freilich konn¬
ten sie nicht, wie sie wünschten, öffentlich wirken für das werdende Vaterland;
denn alle irgend einflußreichen Aemter waren und blieben mit Moslemin oder
Griechen besetzt. Aber im Stillen arbeiteten sie nach Kräften und mit edler
Begeisterung für die Erziehung ihres Volkes zu einer bessern Zukunft', und ihre
Mühen blieben nicht ohne Erfolg. Viele Stumpfe wurden lebendig, viele
Entmuthigte schöpften neue Hoffnung, und unmerklich für den Fernstehenden,
aber um so deutlicher für den Eingeweihten reifte ihre Saat zur Ernte.

An mehren Orten fand man jetzt die Willkür der griechischen Bischöfe un-


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[0474] brennen — zur großen Betrübniß der gebildeteren Bulgaren; denn wie sich später herausstellte, wurde damit ein kostbarer Theil der alten Literatur des Landes der Vernichtung Preis gegeben. Aehnlich verfuhr man in einer andern Kirche Ternowo's. Hier befinden sich zwei Säulen, welche bei genauer Betrachtung noch deutlich erkennen lassen, daß sie einst Inschriften trugen. Aber nicht die Türken, sondern die Fanario- ten haben die Buchstaben abgefeilt, um ein aus der Vorzeit stammendes Denk¬ mal zu nichte zu machen, welches durch die darauf verzeichneten Erinnerungen Kenner des Alterthums daran hätte erinnern können, daß die Bulgaren einst ein mächtiges Volk mit eignen Königen gewesen. Die Bulgaren hatten nicht zu erröthen, wenn sie daran gedachten, daß sie. der jungen noch in voller Kraft stehenden Türkenmacht erlegen waren. Hatten vor dem Halbmond doch großmächtige Kaiser in Wien gezittert. Daß Mitchristen sie in dieser Weise drückten, ihre nationalen Heiligthümer schände¬ ten, ihr Streben nach bessern Zuständen hemmten und mit den Türken im Bunde den Geist des Volks zu entmannen suchten, war mehr als sich mit Ge¬ duld ertragen ließ. Aber die harte Nothwendigkeit zwang zur Unterwürfigkeit. Das Volk fügte sich ins Unvermeidliche, erhob sich gelegentlich gegen zu arge Mißhandlung und Auspressung durch Bischöfe oder Paschas in partiellen Auf¬ ständen, verstummte blutend wieder und galt lange Jahrhunderte als eines der friedlichsten im türkischen Reiche. Im Stillen aber lebten in alten Sagen und Liedern Neste von bessern Tagen fort und ebenso der alte Haß ge¬ gen die Unterdrücker, bis endlich in den letzten Jahrzehnten in weiten Krei¬ sen auch die scheinbar erstorbene Nationalität mehr und mehr wieder offen zu Tage trat. Bis vor dreißig Jahren etwa gab es im Lande nur sehr wenige, die bul¬ garisch (das heißt den südslavische» Dialekt, der hier statt der erloschenen fin¬ nischen Ursprache geredet wird) zu schreiben Verstanden, da in den Schulen nur griechisch gelehrt und in den Kirchen, wenn überhaupt, nur griechisch gepredigt wurde. Seitdem ist es fast allenthalben anders geworden. Trotz großer Hindernisse, die im Wege standen, erhoben sich ernste kräftige Geister in der Nation, die sich Kenntniß und Bildung zu erwerben verstanden. Freilich konn¬ ten sie nicht, wie sie wünschten, öffentlich wirken für das werdende Vaterland; denn alle irgend einflußreichen Aemter waren und blieben mit Moslemin oder Griechen besetzt. Aber im Stillen arbeiteten sie nach Kräften und mit edler Begeisterung für die Erziehung ihres Volkes zu einer bessern Zukunft', und ihre Mühen blieben nicht ohne Erfolg. Viele Stumpfe wurden lebendig, viele Entmuthigte schöpften neue Hoffnung, und unmerklich für den Fernstehenden, aber um so deutlicher für den Eingeweihten reifte ihre Saat zur Ernte. An mehren Orten fand man jetzt die Willkür der griechischen Bischöfe un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/474>, abgerufen am 29.08.2024.