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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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das Tageslicht eindringen lassen und eine mephitische Ausdünstung , wie die
Kloaken entwickeln, sitzen Männer, Weiber und Kinder, eine megärenhafte. von
Schmutz starrende Bevölkerung mit struppigen, ungekannten Haaren, im Un¬
geziefer fast verkommen, auf fußhohen Misthaufen, unter Lumpen und altem
Hausgeräth und arbeiten" essen und trinken und flicken und scharren, als ob
es gelte, der Welt ein Harlekinskleid zu nähen; wie die Ferkel wühlen die Kin¬
der in denselben Düngerhaufen, auf denen Alt und Jung seine natürlichen
Bedürfnisse verrichtet bat. Und welches Chaos von alten Uniformen, Männer-
und Weiberkleidern, von allen Gegenständen, die andere Menschen schon lange
als unbrauchbar weggeworfen haben, hängt in den Hausthüren. Wie sonst in
der Welt, so beschäftigen sich auch die römischen Juden am liebsten mit Wu¬
cher und Kleinhandel; sie haben aber Verbindungen in den höchsten Regionen,
und es soll einflußreiche Leute unter ihnen geben; gelangte doch ein jüdisches
Geschlecht in der Person Anaklets auf den päpstlichen Stuhl, Die römischen
Juden halten sich für die vornehmsten der Welt, durch directe Abstammung
und Reinheit des Bluts vor anderen ausgezeichnet und betrachten jede Heirath
in einen anderen Stamm als eine Mesalliance; sie haben ihre Aristokratie, und
die Pracht und Herrlichkeit im Inneren ihrer Wohnungen soll seltsam contra¬
stiren mit dem Elende des Aeußeren. Erst Pius der Neunte hat die entehren¬
den Gesetze aufgehoben, welche auf dem Volke lasteten, die Thore gebrochen,
mittelst deren man sie allabendlich wie unreine Thiere einschloß und ihnen das
Recht ertheilt, sich in der übrigen Stadt anzusiedeln. Wie ein Alp fällt es
von unserer Seele, als wir bei dem Marcellustheater aus dem Ghetto heraus¬
treten.

Ein mächtiger hoher Karren, aus Balken roh gezimmert, mit Blockrädern,
beladen mit einem großen Marmorquader und gezogen von acht Büffeln, bewegt
sich vom Tiberufer, von der Marmorata kommend, langsam bei uns vorüber,
irgend einem Künstleratelier in der modernen Stadt zu. Wer weiß, in wel¬
ches entfernte Land der Block einst wandert, wenn der Genius ihn mit Form
und Schönheit belebt hat? In diesen Büffeln liegt etwas Aegyptisches, an den
Nil, die Sphinx, die Pyramiden Erinnerndes. Es sind Thiere mit gedrunge¬
nem Gliederbau, langem zottigem Haar, das auf dem Nacken und über den
Augen besonders buschig ist, mit kleinen, tückisch aussehenden Augen, von wil¬
dem Aussehen. Drei oder vier Menschen, Beine und Schultern im Ziegenfelle
gehüllt, lenken mit starken, langen Stangen das träge Gespann. Die Tiber-
Niederungen nach dem Meere zu°, die Pontinischen Sümpfe sind die Heimat
dieser Büffel; dort finden sie, bis an den Hals im Schlamm liegend, oft nur
die Nase daraus hervorstreckend, in dem ihnen lieben Element Schutz gegen
Fliegen und Hitze.

Durch die Straße des lor de Spcchi, welche den Verkehr der südlich von


das Tageslicht eindringen lassen und eine mephitische Ausdünstung , wie die
Kloaken entwickeln, sitzen Männer, Weiber und Kinder, eine megärenhafte. von
Schmutz starrende Bevölkerung mit struppigen, ungekannten Haaren, im Un¬
geziefer fast verkommen, auf fußhohen Misthaufen, unter Lumpen und altem
Hausgeräth und arbeiten» essen und trinken und flicken und scharren, als ob
es gelte, der Welt ein Harlekinskleid zu nähen; wie die Ferkel wühlen die Kin¬
der in denselben Düngerhaufen, auf denen Alt und Jung seine natürlichen
Bedürfnisse verrichtet bat. Und welches Chaos von alten Uniformen, Männer-
und Weiberkleidern, von allen Gegenständen, die andere Menschen schon lange
als unbrauchbar weggeworfen haben, hängt in den Hausthüren. Wie sonst in
der Welt, so beschäftigen sich auch die römischen Juden am liebsten mit Wu¬
cher und Kleinhandel; sie haben aber Verbindungen in den höchsten Regionen,
und es soll einflußreiche Leute unter ihnen geben; gelangte doch ein jüdisches
Geschlecht in der Person Anaklets auf den päpstlichen Stuhl, Die römischen
Juden halten sich für die vornehmsten der Welt, durch directe Abstammung
und Reinheit des Bluts vor anderen ausgezeichnet und betrachten jede Heirath
in einen anderen Stamm als eine Mesalliance; sie haben ihre Aristokratie, und
die Pracht und Herrlichkeit im Inneren ihrer Wohnungen soll seltsam contra¬
stiren mit dem Elende des Aeußeren. Erst Pius der Neunte hat die entehren¬
den Gesetze aufgehoben, welche auf dem Volke lasteten, die Thore gebrochen,
mittelst deren man sie allabendlich wie unreine Thiere einschloß und ihnen das
Recht ertheilt, sich in der übrigen Stadt anzusiedeln. Wie ein Alp fällt es
von unserer Seele, als wir bei dem Marcellustheater aus dem Ghetto heraus¬
treten.

Ein mächtiger hoher Karren, aus Balken roh gezimmert, mit Blockrädern,
beladen mit einem großen Marmorquader und gezogen von acht Büffeln, bewegt
sich vom Tiberufer, von der Marmorata kommend, langsam bei uns vorüber,
irgend einem Künstleratelier in der modernen Stadt zu. Wer weiß, in wel¬
ches entfernte Land der Block einst wandert, wenn der Genius ihn mit Form
und Schönheit belebt hat? In diesen Büffeln liegt etwas Aegyptisches, an den
Nil, die Sphinx, die Pyramiden Erinnerndes. Es sind Thiere mit gedrunge¬
nem Gliederbau, langem zottigem Haar, das auf dem Nacken und über den
Augen besonders buschig ist, mit kleinen, tückisch aussehenden Augen, von wil¬
dem Aussehen. Drei oder vier Menschen, Beine und Schultern im Ziegenfelle
gehüllt, lenken mit starken, langen Stangen das träge Gespann. Die Tiber-
Niederungen nach dem Meere zu°, die Pontinischen Sümpfe sind die Heimat
dieser Büffel; dort finden sie, bis an den Hals im Schlamm liegend, oft nur
die Nase daraus hervorstreckend, in dem ihnen lieben Element Schutz gegen
Fliegen und Hitze.

Durch die Straße des lor de Spcchi, welche den Verkehr der südlich von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/448>, abgerufen am 27.08.2024.