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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Extravaganzen; braucht er eine Fenster- oder Thüröffnung, so wird einfach die
Mauer durchgeschlagen.

Bewundre hier am Corso die wundervollen Blumenbouquets, die man für
wenige Bajochi an jeder Straßenecke seil bietet; ^welche Farbenpracht und
Fülle der Blumen! Wie geschmackvoll gewunden! Im Januar und Februar die
Veilchen, Krokus, Kamellien und Frühlingsblumen aller Art, im Sommer die
prächtigsten Rosen. Doch wende Dich ab por den lieblichen Kindern Flora's
sieh, welche eigenthümliche, unheimliche Gestalt, an die Zeiten der Inquisition
erinnernd, hier vor Dir steht und schweigend die Blechbüchse hinhält; es ist
sicherlich ein kirchliches Gewand, welches die Gestalt umhüllt, aber viel schauer¬
licher als das der Weltgeistlichen und Mönche, denen wir bisher so häufig be¬
gegnet sind; ein Mann vom Kopf bis zu den Füßen in ein langes härenes
Gewand gekleidet, das Haupt in eine spitzzulaufende Kappe gehüllt, welche nur
die Augen durch wie in eine Maske eingeschnittene Augenlöcher hindurch sehen
läßt, die Lenden mit einem Strick umgürtet! Die bloßen, mit Sandalen ver¬
sehenen Füße sind weiß und zart wie die Hände und lassen auf einen Men¬
schen aus den höheren Ständen schließen. Es ist einer von der büßenden
Brüderschaft der Sacconi, welcher für die Armen Almosen einsammelt. Es
gibt graue, gelbe, schwarze, blaue und rosenrothe Sacconi. Laien, die sich zu
mildthätigen Zwecken, um ein Gelübde, eine Kirchenbuße zu lösen, vereinigt
haben. Gespenstisch durchziehen sie zuweüen in der Fastenzeit die Straßen, in
Reihen geordnet, die vordersten Menschenschädel und Knochen in der Hand,
die anderen ein Licht tragend.

Doch wir verlassen den Eorso und wenden uns in der Richtung des
Navonaplatzes. Bald umfangen uns die engen und kleinen Gassen ächt
römischer Stadttheile, himmelhohe Häuser, eine mephitische Ausdünstung.
Da liegt auf einem officiellen Kehrichthaufen, den die Ueberschrift "IiniuouclLö-
2^"" an der Mauer des danebenstehenden Hauses legitimirt, ein todter Huno
im Zustande weit vorgeschrittener Verwesung, und aus dem Fenster schaut
aus einer reichen Garnirung von Strümpfen, Hemden. Unterröcken, Frauen¬
hofer und Bettlaken eine elegante Frauengestalt herab; sie, deren Geruchs-
"organe sich beleidigt fühlen würden durch den Parfüm von Patschouli, Eau de
Cologne, scheint keine Empfindung für die Dünste zu haben, welche dem
Kehrichthaufen entströmen. Wir Passiren den Platz della Minerva; ein Trupp
päpstlicher Zvuaven in geschmackvoller grauer, rothverbrämter Tracht, begegnet
uns an einer Stelle, wo einer ihrer Kameraden jüngst durch Meuchelmord siel;
denn diese Truppe ist verhaßt, weil das Volk von ihr weiß, daß sie sich rück¬
sichtslos für die Sache schlagen werde, der sie sich geweiht hat. Wir erreichen
den Platz vor dem Pantheon. Da steht es vor uns durch anderthalb Jahr¬
tausende geschwärzt, ooschon seines äußeren Schmuckes beraubt, wiederholt


5?*

Extravaganzen; braucht er eine Fenster- oder Thüröffnung, so wird einfach die
Mauer durchgeschlagen.

Bewundre hier am Corso die wundervollen Blumenbouquets, die man für
wenige Bajochi an jeder Straßenecke seil bietet; ^welche Farbenpracht und
Fülle der Blumen! Wie geschmackvoll gewunden! Im Januar und Februar die
Veilchen, Krokus, Kamellien und Frühlingsblumen aller Art, im Sommer die
prächtigsten Rosen. Doch wende Dich ab por den lieblichen Kindern Flora's
sieh, welche eigenthümliche, unheimliche Gestalt, an die Zeiten der Inquisition
erinnernd, hier vor Dir steht und schweigend die Blechbüchse hinhält; es ist
sicherlich ein kirchliches Gewand, welches die Gestalt umhüllt, aber viel schauer¬
licher als das der Weltgeistlichen und Mönche, denen wir bisher so häufig be¬
gegnet sind; ein Mann vom Kopf bis zu den Füßen in ein langes härenes
Gewand gekleidet, das Haupt in eine spitzzulaufende Kappe gehüllt, welche nur
die Augen durch wie in eine Maske eingeschnittene Augenlöcher hindurch sehen
läßt, die Lenden mit einem Strick umgürtet! Die bloßen, mit Sandalen ver¬
sehenen Füße sind weiß und zart wie die Hände und lassen auf einen Men¬
schen aus den höheren Ständen schließen. Es ist einer von der büßenden
Brüderschaft der Sacconi, welcher für die Armen Almosen einsammelt. Es
gibt graue, gelbe, schwarze, blaue und rosenrothe Sacconi. Laien, die sich zu
mildthätigen Zwecken, um ein Gelübde, eine Kirchenbuße zu lösen, vereinigt
haben. Gespenstisch durchziehen sie zuweüen in der Fastenzeit die Straßen, in
Reihen geordnet, die vordersten Menschenschädel und Knochen in der Hand,
die anderen ein Licht tragend.

Doch wir verlassen den Eorso und wenden uns in der Richtung des
Navonaplatzes. Bald umfangen uns die engen und kleinen Gassen ächt
römischer Stadttheile, himmelhohe Häuser, eine mephitische Ausdünstung.
Da liegt auf einem officiellen Kehrichthaufen, den die Ueberschrift „IiniuouclLö-
2^»" an der Mauer des danebenstehenden Hauses legitimirt, ein todter Huno
im Zustande weit vorgeschrittener Verwesung, und aus dem Fenster schaut
aus einer reichen Garnirung von Strümpfen, Hemden. Unterröcken, Frauen¬
hofer und Bettlaken eine elegante Frauengestalt herab; sie, deren Geruchs-
»organe sich beleidigt fühlen würden durch den Parfüm von Patschouli, Eau de
Cologne, scheint keine Empfindung für die Dünste zu haben, welche dem
Kehrichthaufen entströmen. Wir Passiren den Platz della Minerva; ein Trupp
päpstlicher Zvuaven in geschmackvoller grauer, rothverbrämter Tracht, begegnet
uns an einer Stelle, wo einer ihrer Kameraden jüngst durch Meuchelmord siel;
denn diese Truppe ist verhaßt, weil das Volk von ihr weiß, daß sie sich rück¬
sichtslos für die Sache schlagen werde, der sie sich geweiht hat. Wir erreichen
den Platz vor dem Pantheon. Da steht es vor uns durch anderthalb Jahr¬
tausende geschwärzt, ooschon seines äußeren Schmuckes beraubt, wiederholt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/443>, abgerufen am 26.08.2024.