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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Rücksichtslos bleibt jeder vor den Läden stehen, mit denen aber auch der ent¬
schiedenste Flcineur bald fertig ist. denn sie können sich nicht mit denen mes¬
sen, die andere große Städte aufzuweisen haben. Wie duldsam der Italiener
ist! Hier liegt eine Gruppe von Arbeitern quer über das Trottoir gelagert;
einige von ihnen verzehren ihr Mahl, andere spielen Karten, noch andere
schlummern ruhig, auf dem Gesichte liegend, unbekümmert denjenigen Theil
ihres Korpers, den die Natur am fleischigsten ausgestattet bat, der Bewunderung
oder dem Neide Vorübergehender preisgebend. An einer andern Stelle hat
ein Krämer seine Waaren auf dem Boden ausgebreitet und ein zahlreiches Publi-
cum um sich versammelt, dem selbst die Wagen ausweichen. Aus dem Palaste
Ruspolr, dessen lange Front im ersten Stock vom Cafe Nuovo eingenommen
ist, weht eine mächtige französische Tricolore, denn General Gvyvn, der Dic¬
tator, wohnt dort; auf dem Balcon eines anderen Palastes an Piazza Co-
lonna wiederum eine Tricolore, es ist der Cercle der französischen Offiziere;
Tricoloren rechts, Tricolvren links, denn jeder General, jeder Oberst der Occu-
pationstruppen hat seine Wohnung am Corso gefunden und sie mit einer
Fahne gekennzeichnet. Aber es ist nicht blos auf diese Weise, es sind die
Schaaren der französischen hcrumspazierenden Soldaten mit ihrem insolenten
Wesen, durch die wir an die leidige Fremdherrschaft auf jedem Schrille er¬
innert werden. Französische Aushängeschilder! Französische Sprache um uns
herum! Selbst der Bettler redet uns mit "Moufflon!" an, und der Fiakerkutscher
streckt den Zeigefinger empor und ruft: "Vole bon vatour- An>u"Sion!" Es
ist unausstehlich. Eine rauschende Militärmusik in sehr lebendigen Tempo tönt
die Straße herab; wieder ist es eine Compagnie von diesen fatalen pi"upivug
die den Adler von ihrem Oberst abgeholt hat und nach dem Vatikan auf Wache
zieht, um die Person des heiligen Vaters zu schützen.

Wenden wir uns lieber den Facaden aller dieser Paläste zu, hier Nus-
poli, dort Fiano, Chigi, Nicolini. Simonetti, Dona, Sciarra, Bonaparte,
Torlonia, wie sie alle beißen; wie sind sie aus dem Vollen gearbeitet, mit
welchem Aufwand von Gestein und Marmor. Worin liegt der Reiz dieser an¬
deren Häuser? Es ist nicht ihre vorwaltende künstlerische Vollendung, nicht ihre
prachtvolle Erhaltung, ihr malerischer Verfall, es liegt nicht in den flachen
Dächern und zahlreichen Bcilconen -- sondern vornehmlich darin, daß keine
allgemeine Regel hindurchgeht und zu vielen gleichartigen Wiederholungen,
wie bei uns führt; so wie die Individualität des Jtalieners scharf ausgeprägt
ist, so auch die seiner Häuser, Fenster, Dächer, Schornsteine, Loggien :c.
ordnet jeder, wie es ihm gerade recht ist, unbekümmert um Gesetz, Urtheil der
Nachbarn und Kritiker. Auf Schönheit gibt der Italiener wenig, er richtet sich
nur praktisch ein und sieht vor allen Dingen ans große und luftige Zimmer,
die ihm Schutz gegen die Hitze gewähren. Das solide Material erlaubt alle


Rücksichtslos bleibt jeder vor den Läden stehen, mit denen aber auch der ent¬
schiedenste Flcineur bald fertig ist. denn sie können sich nicht mit denen mes¬
sen, die andere große Städte aufzuweisen haben. Wie duldsam der Italiener
ist! Hier liegt eine Gruppe von Arbeitern quer über das Trottoir gelagert;
einige von ihnen verzehren ihr Mahl, andere spielen Karten, noch andere
schlummern ruhig, auf dem Gesichte liegend, unbekümmert denjenigen Theil
ihres Korpers, den die Natur am fleischigsten ausgestattet bat, der Bewunderung
oder dem Neide Vorübergehender preisgebend. An einer andern Stelle hat
ein Krämer seine Waaren auf dem Boden ausgebreitet und ein zahlreiches Publi-
cum um sich versammelt, dem selbst die Wagen ausweichen. Aus dem Palaste
Ruspolr, dessen lange Front im ersten Stock vom Cafe Nuovo eingenommen
ist, weht eine mächtige französische Tricolore, denn General Gvyvn, der Dic¬
tator, wohnt dort; auf dem Balcon eines anderen Palastes an Piazza Co-
lonna wiederum eine Tricolore, es ist der Cercle der französischen Offiziere;
Tricoloren rechts, Tricolvren links, denn jeder General, jeder Oberst der Occu-
pationstruppen hat seine Wohnung am Corso gefunden und sie mit einer
Fahne gekennzeichnet. Aber es ist nicht blos auf diese Weise, es sind die
Schaaren der französischen hcrumspazierenden Soldaten mit ihrem insolenten
Wesen, durch die wir an die leidige Fremdherrschaft auf jedem Schrille er¬
innert werden. Französische Aushängeschilder! Französische Sprache um uns
herum! Selbst der Bettler redet uns mit „Moufflon!" an, und der Fiakerkutscher
streckt den Zeigefinger empor und ruft: „Vole bon vatour- An>u»Sion!" Es
ist unausstehlich. Eine rauschende Militärmusik in sehr lebendigen Tempo tönt
die Straße herab; wieder ist es eine Compagnie von diesen fatalen pi»upivug
die den Adler von ihrem Oberst abgeholt hat und nach dem Vatikan auf Wache
zieht, um die Person des heiligen Vaters zu schützen.

Wenden wir uns lieber den Facaden aller dieser Paläste zu, hier Nus-
poli, dort Fiano, Chigi, Nicolini. Simonetti, Dona, Sciarra, Bonaparte,
Torlonia, wie sie alle beißen; wie sind sie aus dem Vollen gearbeitet, mit
welchem Aufwand von Gestein und Marmor. Worin liegt der Reiz dieser an¬
deren Häuser? Es ist nicht ihre vorwaltende künstlerische Vollendung, nicht ihre
prachtvolle Erhaltung, ihr malerischer Verfall, es liegt nicht in den flachen
Dächern und zahlreichen Bcilconen — sondern vornehmlich darin, daß keine
allgemeine Regel hindurchgeht und zu vielen gleichartigen Wiederholungen,
wie bei uns führt; so wie die Individualität des Jtalieners scharf ausgeprägt
ist, so auch die seiner Häuser, Fenster, Dächer, Schornsteine, Loggien :c.
ordnet jeder, wie es ihm gerade recht ist, unbekümmert um Gesetz, Urtheil der
Nachbarn und Kritiker. Auf Schönheit gibt der Italiener wenig, er richtet sich
nur praktisch ein und sieht vor allen Dingen ans große und luftige Zimmer,
die ihm Schutz gegen die Hitze gewähren. Das solide Material erlaubt alle


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[0442] Rücksichtslos bleibt jeder vor den Läden stehen, mit denen aber auch der ent¬ schiedenste Flcineur bald fertig ist. denn sie können sich nicht mit denen mes¬ sen, die andere große Städte aufzuweisen haben. Wie duldsam der Italiener ist! Hier liegt eine Gruppe von Arbeitern quer über das Trottoir gelagert; einige von ihnen verzehren ihr Mahl, andere spielen Karten, noch andere schlummern ruhig, auf dem Gesichte liegend, unbekümmert denjenigen Theil ihres Korpers, den die Natur am fleischigsten ausgestattet bat, der Bewunderung oder dem Neide Vorübergehender preisgebend. An einer andern Stelle hat ein Krämer seine Waaren auf dem Boden ausgebreitet und ein zahlreiches Publi- cum um sich versammelt, dem selbst die Wagen ausweichen. Aus dem Palaste Ruspolr, dessen lange Front im ersten Stock vom Cafe Nuovo eingenommen ist, weht eine mächtige französische Tricolore, denn General Gvyvn, der Dic¬ tator, wohnt dort; auf dem Balcon eines anderen Palastes an Piazza Co- lonna wiederum eine Tricolore, es ist der Cercle der französischen Offiziere; Tricoloren rechts, Tricolvren links, denn jeder General, jeder Oberst der Occu- pationstruppen hat seine Wohnung am Corso gefunden und sie mit einer Fahne gekennzeichnet. Aber es ist nicht blos auf diese Weise, es sind die Schaaren der französischen hcrumspazierenden Soldaten mit ihrem insolenten Wesen, durch die wir an die leidige Fremdherrschaft auf jedem Schrille er¬ innert werden. Französische Aushängeschilder! Französische Sprache um uns herum! Selbst der Bettler redet uns mit „Moufflon!" an, und der Fiakerkutscher streckt den Zeigefinger empor und ruft: „Vole bon vatour- An>u»Sion!" Es ist unausstehlich. Eine rauschende Militärmusik in sehr lebendigen Tempo tönt die Straße herab; wieder ist es eine Compagnie von diesen fatalen pi»upivug die den Adler von ihrem Oberst abgeholt hat und nach dem Vatikan auf Wache zieht, um die Person des heiligen Vaters zu schützen. Wenden wir uns lieber den Facaden aller dieser Paläste zu, hier Nus- poli, dort Fiano, Chigi, Nicolini. Simonetti, Dona, Sciarra, Bonaparte, Torlonia, wie sie alle beißen; wie sind sie aus dem Vollen gearbeitet, mit welchem Aufwand von Gestein und Marmor. Worin liegt der Reiz dieser an¬ deren Häuser? Es ist nicht ihre vorwaltende künstlerische Vollendung, nicht ihre prachtvolle Erhaltung, ihr malerischer Verfall, es liegt nicht in den flachen Dächern und zahlreichen Bcilconen — sondern vornehmlich darin, daß keine allgemeine Regel hindurchgeht und zu vielen gleichartigen Wiederholungen, wie bei uns führt; so wie die Individualität des Jtalieners scharf ausgeprägt ist, so auch die seiner Häuser, Fenster, Dächer, Schornsteine, Loggien :c. ordnet jeder, wie es ihm gerade recht ist, unbekümmert um Gesetz, Urtheil der Nachbarn und Kritiker. Auf Schönheit gibt der Italiener wenig, er richtet sich nur praktisch ein und sieht vor allen Dingen ans große und luftige Zimmer, die ihm Schutz gegen die Hitze gewähren. Das solide Material erlaubt alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/442>, abgerufen am 26.08.2024.