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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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kannst Du täglich auf den Gassen wandeln sehen, es ist noch immer derselbe
Typus. So intensiv, so lebenskräftig ist dieses römische Blut, daß es sich
immer wieder zur Nacenherrschaft emporgearbeitet, alle andere Vermischung ver¬
wischt hat, obgleich die altrömische Bevölkerung der Umgegend gänzlich, die
Bevölkerung der Stadt selbst fast ganz vernichtet und durch gothische, longo-
bardische und germanische Colonisation ersetzt worden ist. Schön ist bei den
Weibern die Form des Kopfes, der Ansatz des Halses an den Nacken, die
Büste, die Haltung, der Gang; sie haben Neigung zum Starkwerden deshalb
volle Arme und Hände, voll, wohlgeformt der Fuß und die Wade, denn Du
mußt wissen, daß die Römerinnen, weniger neidisch als unsere deutschen Damen,
es lieben, beim Gehen das Kleid sehr hoch zu heben und daß die Frauen der
niederen Stände kurze Kleider tragen. In ihrer Toilette lieben sie grelle Far¬
ben, Sammt und Seide, selbst junge Mädchen verschmähen andere Stoffe. Das
niedere Volk weiß sehr wohl, wie schön und kleidsam die Nationaltracht ist;
eine Trasteverinerin ist zu stolz, als daß sie sich g, 1a tranoess kleiden würde;
sie geht aber, wenn sie irgend kann, in Seide und Spitzen, mit Schmuck über¬
laden und fährt im Miethwagen Sonntags auf dem Pincio auf und ab, wie
eine Prinzessin. Die römischen Elegants haben das Aussehen geputzter Bar¬
biere oder Friseure, sind alle sehr schön, keiner von ihnen aber anständig ge¬
kleidet. In Deutschland erkennt man den vornehmen Mann meist an der Art
und Weise, wie er sich kleidet, am Gesicht, an der Sitte, am ganzen Habitus.
Hier ist das nicht der Fall, hier sehen alle gleich schön, aber gleich gewöhnlich
aus, der Fürst wie der Kellner, der Handschuhmacher; wie kann ein Mensch,
der sich den Nacken kahl scheeren läßt, rothe, gelbe oder meergrüne Cravatten
und Handschuhe trägt, anständig aussehen? Ein englischer Bediente hat ein
vornehmeres Aeußere wie ein italienischer Conte; Piomlnno gleicht einem deut¬
schen Bierbrauer.und Torlonia einem Käsekrämer.

Es ist eine schöne Straße, diese Condotti. Welchen Reichthum, wel¬
chen gediegenen Geschmack, welche Pracht und vortreffliche Arbeit in Gold-
sachen, Mosaiken und geschnittenen Steinen entfalten diese Läden der Ju¬
weliere vor unseren Augen; welche Vollendung in der Photographie in dieser
sechs Fuß breiten und zwe.i Fuß hohen Ansicht des Forums, in den vielen
kleineren Ansichten aus Stadt und Land! Wir biegen in den Corso ein.
Von der Piazza bei Popolo, deren Obelisk wir in der Ferne wie einen
mächtigen Zahnstocher in die Luft hineinragen sehen, bis zum Venetianischen
Platze mit seinem kastellartigen, zinnengekrönten, so ernsten, imponirenden
Palast, dehnt sich die lange Straße aus, eine Pulsader des Verkehrs, wo
Kopf an Kopf sich auf den Trottoirs drängt Die Menschen eilen aber
nicht geschäftig dahin, wie in London. Paris, Berlin, wo Zeit Geld ist;
in breitem, trägem Strome fließt das Alltagsleben der ewigen Stadt dahin.


Grenzboten III. 1862. 55

kannst Du täglich auf den Gassen wandeln sehen, es ist noch immer derselbe
Typus. So intensiv, so lebenskräftig ist dieses römische Blut, daß es sich
immer wieder zur Nacenherrschaft emporgearbeitet, alle andere Vermischung ver¬
wischt hat, obgleich die altrömische Bevölkerung der Umgegend gänzlich, die
Bevölkerung der Stadt selbst fast ganz vernichtet und durch gothische, longo-
bardische und germanische Colonisation ersetzt worden ist. Schön ist bei den
Weibern die Form des Kopfes, der Ansatz des Halses an den Nacken, die
Büste, die Haltung, der Gang; sie haben Neigung zum Starkwerden deshalb
volle Arme und Hände, voll, wohlgeformt der Fuß und die Wade, denn Du
mußt wissen, daß die Römerinnen, weniger neidisch als unsere deutschen Damen,
es lieben, beim Gehen das Kleid sehr hoch zu heben und daß die Frauen der
niederen Stände kurze Kleider tragen. In ihrer Toilette lieben sie grelle Far¬
ben, Sammt und Seide, selbst junge Mädchen verschmähen andere Stoffe. Das
niedere Volk weiß sehr wohl, wie schön und kleidsam die Nationaltracht ist;
eine Trasteverinerin ist zu stolz, als daß sie sich g, 1a tranoess kleiden würde;
sie geht aber, wenn sie irgend kann, in Seide und Spitzen, mit Schmuck über¬
laden und fährt im Miethwagen Sonntags auf dem Pincio auf und ab, wie
eine Prinzessin. Die römischen Elegants haben das Aussehen geputzter Bar¬
biere oder Friseure, sind alle sehr schön, keiner von ihnen aber anständig ge¬
kleidet. In Deutschland erkennt man den vornehmen Mann meist an der Art
und Weise, wie er sich kleidet, am Gesicht, an der Sitte, am ganzen Habitus.
Hier ist das nicht der Fall, hier sehen alle gleich schön, aber gleich gewöhnlich
aus, der Fürst wie der Kellner, der Handschuhmacher; wie kann ein Mensch,
der sich den Nacken kahl scheeren läßt, rothe, gelbe oder meergrüne Cravatten
und Handschuhe trägt, anständig aussehen? Ein englischer Bediente hat ein
vornehmeres Aeußere wie ein italienischer Conte; Piomlnno gleicht einem deut¬
schen Bierbrauer.und Torlonia einem Käsekrämer.

Es ist eine schöne Straße, diese Condotti. Welchen Reichthum, wel¬
chen gediegenen Geschmack, welche Pracht und vortreffliche Arbeit in Gold-
sachen, Mosaiken und geschnittenen Steinen entfalten diese Läden der Ju¬
weliere vor unseren Augen; welche Vollendung in der Photographie in dieser
sechs Fuß breiten und zwe.i Fuß hohen Ansicht des Forums, in den vielen
kleineren Ansichten aus Stadt und Land! Wir biegen in den Corso ein.
Von der Piazza bei Popolo, deren Obelisk wir in der Ferne wie einen
mächtigen Zahnstocher in die Luft hineinragen sehen, bis zum Venetianischen
Platze mit seinem kastellartigen, zinnengekrönten, so ernsten, imponirenden
Palast, dehnt sich die lange Straße aus, eine Pulsader des Verkehrs, wo
Kopf an Kopf sich auf den Trottoirs drängt Die Menschen eilen aber
nicht geschäftig dahin, wie in London. Paris, Berlin, wo Zeit Geld ist;
in breitem, trägem Strome fließt das Alltagsleben der ewigen Stadt dahin.


Grenzboten III. 1862. 55
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/441>, abgerufen am 26.08.2024.