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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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das Auge jedes Gourmands und jedes Jagdliebhabers entzücken. In den
höheren Regionen des Hauses scheinen Neulinge angekommen zu sein, von denen
sicherlich einer die Prätension gestellt hat, daß seine Garderobe im Hause gerei¬
nigt werde, denn wir sehen, wie die Dienstmagd, nachdem sie eine Ladung trü¬
ben Wassers auf die Straße hinabgegossen hat, erst ein Pantalon, dann einen
Oberrock zum Fenster hinaushält und einige Mal damit hin und her weht,
wie sie die Schuhe angreift und mit dem Aermel ihres Kleides ein oder zwei¬
mal flüchtig darüber Hinstreist. Das ist es, was das liebe italienische Kind Klei-
derreinigen nennt. Daß wir. seit wir unsere Wohnung verlassen haben, schon
unendlich oft angebettelt worden sind, versteht sich von selbst; man wird in
Rom sehr bald so daran gewöhnt, daß man es gar nicht mehr merkt. Nur vor
dem ersten Male des Gebens muß man sich hüten; denn von diesem Augenblicke
an wird man von dem Empfänger als eine regelmäßig auszunutzende Domaine
betrachtet, während die Bettler den Nichtgeber allmälig kennen und ignoriren
lernen. Gewiß werden sie sich nie an einen Römer, sondern nur an Fremde
wenden. Die Männer verstehen sich ebenso wenig aus das Geben wie die
Weiber auf das Verweigern, sagt ein Sprichwort. In keinem Lande der Welt
gibt es so bedeutende Vermächtnisse, Stiftungen, Verbrüderungen zur Linderung
und Abhülfe der Armuth, so großartige öffentliche Anstalten zur Heilung kranker
oder verunglückter Menschen. Lürarita ist eine Sache des bürgerlichen Lebens
und berechtigt auf künftige Berücksichtigung im Himmel; weil aber ein jeder
zeitig und regelmäßig Bedacht nimmt, dieser Pflicht seine Schuld abzutragen, seine
Termine und Fristen hat und beobachtet, so fühlt sich niemand verpflichtet und
aufgelegt, der Detailbettelci entgegenzukommen. Geht man um die Mittags¬
stunde bei einer Klosterpforte oder Kasernenthüre vorüber, so wird man dicht
gedrängt, Kopf an Kopf, Haufen von Männern, Weibern und Kindern bemer¬
ken, jeder einen Topf in der Hand; es sind die Pranzatori, die Mittagesser;
die Mönche und die französischen Soldaten geben von dem Ueberflusse ihrer
Mahlzeit.

Begleite uns nun, gütiger Leser, auf einem Spaziergange, einem Kreuz-
und Querzüge durch die Stadt.

Wie classisch doch diese Menschen aussehen! Keine unklaren verschwommenen
Gesichter; markirte, scharfgeschnittene Profile, dunkle Augen mit langen Wim¬
pern und geschwungenen Brauen, wie -schön der Ansatz des'Haupthaares an
die Stirn! Welche vollen, kräftigen Gestalten bei Männern und Frauen! Unter
den Männern bemerkt man wahrhaft ideale Schönheiten; unter den Frauen
mehr wirklich schöne, als verhältnißmäßig bei uns, indeß weniger hübsche Ge¬
sichter; der Teint ist nicht so frisch, als im Norden, blühende Farben sind sel¬
ten. Aber die Häupter eines Antinous, Augustus, Tiber, Mqrc Aurel, der
Livia, Julia oder Faustina, die Du im Vatikanischen Museum bewunderst,


das Auge jedes Gourmands und jedes Jagdliebhabers entzücken. In den
höheren Regionen des Hauses scheinen Neulinge angekommen zu sein, von denen
sicherlich einer die Prätension gestellt hat, daß seine Garderobe im Hause gerei¬
nigt werde, denn wir sehen, wie die Dienstmagd, nachdem sie eine Ladung trü¬
ben Wassers auf die Straße hinabgegossen hat, erst ein Pantalon, dann einen
Oberrock zum Fenster hinaushält und einige Mal damit hin und her weht,
wie sie die Schuhe angreift und mit dem Aermel ihres Kleides ein oder zwei¬
mal flüchtig darüber Hinstreist. Das ist es, was das liebe italienische Kind Klei-
derreinigen nennt. Daß wir. seit wir unsere Wohnung verlassen haben, schon
unendlich oft angebettelt worden sind, versteht sich von selbst; man wird in
Rom sehr bald so daran gewöhnt, daß man es gar nicht mehr merkt. Nur vor
dem ersten Male des Gebens muß man sich hüten; denn von diesem Augenblicke
an wird man von dem Empfänger als eine regelmäßig auszunutzende Domaine
betrachtet, während die Bettler den Nichtgeber allmälig kennen und ignoriren
lernen. Gewiß werden sie sich nie an einen Römer, sondern nur an Fremde
wenden. Die Männer verstehen sich ebenso wenig aus das Geben wie die
Weiber auf das Verweigern, sagt ein Sprichwort. In keinem Lande der Welt
gibt es so bedeutende Vermächtnisse, Stiftungen, Verbrüderungen zur Linderung
und Abhülfe der Armuth, so großartige öffentliche Anstalten zur Heilung kranker
oder verunglückter Menschen. Lürarita ist eine Sache des bürgerlichen Lebens
und berechtigt auf künftige Berücksichtigung im Himmel; weil aber ein jeder
zeitig und regelmäßig Bedacht nimmt, dieser Pflicht seine Schuld abzutragen, seine
Termine und Fristen hat und beobachtet, so fühlt sich niemand verpflichtet und
aufgelegt, der Detailbettelci entgegenzukommen. Geht man um die Mittags¬
stunde bei einer Klosterpforte oder Kasernenthüre vorüber, so wird man dicht
gedrängt, Kopf an Kopf, Haufen von Männern, Weibern und Kindern bemer¬
ken, jeder einen Topf in der Hand; es sind die Pranzatori, die Mittagesser;
die Mönche und die französischen Soldaten geben von dem Ueberflusse ihrer
Mahlzeit.

Begleite uns nun, gütiger Leser, auf einem Spaziergange, einem Kreuz-
und Querzüge durch die Stadt.

Wie classisch doch diese Menschen aussehen! Keine unklaren verschwommenen
Gesichter; markirte, scharfgeschnittene Profile, dunkle Augen mit langen Wim¬
pern und geschwungenen Brauen, wie -schön der Ansatz des'Haupthaares an
die Stirn! Welche vollen, kräftigen Gestalten bei Männern und Frauen! Unter
den Männern bemerkt man wahrhaft ideale Schönheiten; unter den Frauen
mehr wirklich schöne, als verhältnißmäßig bei uns, indeß weniger hübsche Ge¬
sichter; der Teint ist nicht so frisch, als im Norden, blühende Farben sind sel¬
ten. Aber die Häupter eines Antinous, Augustus, Tiber, Mqrc Aurel, der
Livia, Julia oder Faustina, die Du im Vatikanischen Museum bewunderst,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/440>, abgerufen am 26.08.2024.